Der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger nimmt vom Philologen Werner Hamacher, der am 7. Juli 2017 nach schwerer, relativ kurzer Krankheit verstorben ist, Abschied und ruft sich dabei jene Orte ins Gedächtnis zurück, an denen die Begegnungen ephemer, aber auch denkwürdig blieben.
Nachruf auf Werner Hamacher
»Wir müssen uns einmal treffen«
Von Hans-Jörg Rheinberger
Es ist merkwürdig, aber für mich verbindet sich die Erinnerung an Werner Hamacher mit einer intensiven Spur der Orte, an denen wir uns trafen. Unsere erste Begegnung geht zurück auf die frühen siebziger Jahre. Mir steht das Bild des langen, schmalen Flurs der Wohnung von Norbert und Vreni Haas in der Berliner Xantener Straße vor Augen, in der wir uns versammelt hatten, es muss um die Übersetzung der Ecrits von Jacques Lacan gegangen sein. Die mächtige Figur von Werner in dem engen Gang. Ich musste zu ihm aufschauen, um mit ihm zu sprechen und ihm in die Augen zu sehen. Um seine Mundwinkel spielte so etwas wie eine Herablassung, ein Ausdruck seiner Statur. Zwanzig Jahre später. Wir begegneten uns diesmal in seinem Büro im German Department an der Johns Hopkins University. Als ich die Tür öffnete, lag Werner am Boden, in Übungen versunken, mit denen er seinen lädierten Rücken stärkte. Noch einmal zehn Jahre später. Werner war zurück in Deutschland. Wir bogen um die Ecke an der Knesebeckstraße in Berlins Charlottenburg, vor der legendären Buchhandlung Kiepert, er aus Richtung Savigny-Platz, ich von der U-Bahn am Ernst Reuter-Platz kommend. Ein zufälliges und flüchtiges Wiedersehen, verbunden mit einer dieser unbestimmten Verabredungen: „Wir müssen uns einmal treffen.“
Dann ein denkwürdiger Auftritt am Berliner Zentrum für Literaturforschung. Werner hatte eine halbe Stunde Zeit, sprach anderthalb Stunden und ließ das Auditorium dann wissen, er sei an eben diesem Morgen leider nicht mit dem Schreiben seines Vortrags fertig geworden. Schließlich die Rede, an Norbert Haas’ siebzigstem Geburtstag, im Vortragssaal der Musikschule in Vaduz, über Paul Celans Begegnung mit Martin Heidegger auf dem Todtnauberg. Im Zentrum stand Celans Gedicht, das 1968 in Robert Altmanns Brunidor Verlag erschienen war. Zwei Stunden bei brütender Hitze dauerte Werners Auslegung, es herrschte atemlose Stille im Raum, unterbrochen immer wieder durch den Stundenschlag der Glocken vom nahen Kirchturm. Unsere Wege kreuzten sich sporadisch, aber immer wieder, unsere Begegnungen blieben ephemer, aber denkwürdig. Es verband uns etwas Stillschweigendes, Selbstvergessenes, Asemisches. Wie Gaston Bachelard einmal über den Kupferstecher Albert Flocon bemerkte, mit dem er doch jahrelang verkehrte: „De lui à moi, pas de discours.“ Jetzt ist die Zeit vorbei, in der man sich nicht zu verständigen brauchte. Kein Ort und keine Begegnung kann mehr hinzugefügt werden.

Hans-Jörg Rheinberger war von 1996 bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.
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erstellt am 16.7.2017
