Phyllis Kiehls Gewebeproben: Opulenz ohne Dekadenz
Sie weiß genau, dass gute Präparate nicht kämpfen. Diese Sammlung unterschiedlich differenzierter Wortzellen bildet ein schimmerndes Sprach-Gewebe. Der geliebte und verletzte Organismus wird nicht analysiert, sondern erprobt. Häute atmen, Drüsen schwitzen: „Warum ist es nur so vertrackt, bei sich zu bleiben.“ Sie spricht nicht selten von „Wir“: „Meine Freundinnen spüre ich ständig in der Rinde.“ Struktureller Zusammenhalt der Körperwortwelten ergibt sich auch aus Knorpeln und Fettgewebe: „Schließ´ die Augen und NIMM SIE, dick und fett von allen Seiten.“ Denn: Beste Texte haben Fleisch an den Knochen. Jutta Piveckova
In Fortsetzung
Gewebeproben
Text und Zeichnungen von Phyllis Kiehl

Satisfaktion
Er ist ja nicht ohne Reiz, der Gedanke, es könnte Orte geben, wo Mann sich auch mal ungestraft dem Größenwahn hingeben kann. Öffentlich hat er ja kaum Möglichkeiten, seine private parts zu preisen – so wie ein Schlafloser heut’ Nacht hier auf TT – ohne sich als Maniac zu outen. (wenn ich was definitiv n i c h t brauche, ist’s ein virtueller, übrigens) Doch wen wundert’s, dass sein Gesang so ungekonnt ist? Wo soll er denn üben? Oder wo kann er, wie Brossmann anmerkte, „Intensität mit den Weibspersonen ironiefrei mit Herzblut und nichtsdestotrotz erheblicher Leichtigkeit“ praktizieren? Dazu die Angst, nicht zu genügen. Des Möchtegern-Größenwahnsinnigen, meine ich. Also kauft man ein, zwei Flaschen Wein, wartet, bis alles schläft und keiner wacht, und haut dann mal kräftig auf die Pauke. Mit dem Teil. Ho, hey, ho, und ’ne Buddel Rum. Hören Sie, Schlafloser – Sie sind auf dem richtigen Weg. Nur den ganzen Alk und was sonst noch so an enthemmenden Konsumgütern rumliegt, das sollten Sie mal weglassen. Kandidaten, die _nüchtern _weibstoll sind, die findet das Weib toll. Besonders, weil’s mittels pointierter Ausdrucksweise einfach mehr zu gewinnen gibt. Doch das nur nebenbei. Oder sagen wir, vorab. Denn was Schlinkert heute Morgen schrieb, zielt auch auf den Schlaflosen mit: „Ja, das ist die Frage, Sein oder Nichtsein. Künstlerisch, meine ich. An sich kann man natürlich aus jeder Haltung zum Leben künstlerisch Profit ziehen, doch dann muß man unter Umständen sein Leben lang den selben Schlager singen, weil alle schunkeln wollen. Ich denke, hier und da seinem Grundgefühl mal das Wasser abzugraben, ist wichtig, sonst bleibt man stecken. In sich selbst.“ Ich stimme zu. Wenn Wasser abgraben nicht impliziert, dass man es loswerden kann, das Grundgefühl. Kann man nämlich nicht, meiner Erfahrung nach. Man kann nur zusehen, dass man Form gewinnt. An den Punkt komme ich immer wieder … Form gewinnen. Der Zaghafte für seine Zaghaftigkeit, der Größenwahnsinnige für seinen Größenwahnsinn. Die Zornige für ihre Wut. Die Aggressive. Der Wehrlose. Die Angstbesetzte. Der Schwanzgesteuerte. Ich will das nicht alles in einen Topf werfen. Also denke ich an das Bild dieser Malerin, die einen „Buckel macht, damit die Welt darauf herunterrutschen kann“, wie Ralf darunter formulierte. Abwehr. Um bei sich selbst bleiben zu können. Wenn man den Schubladen schon in Zukunft nicht würde entrinnen können, dann sollte es eine selbst gezimmerte sein. (Wer hätte ahnen können, wie lange das dauert? Und wie oft sie sich verwerfen und klemmen würde?) Mein Grundgefühl war, mir selbst nicht genügen zu können. Nie waren es die „Anderen“, die mir das suggeriert haben; ich traf als Studentin auf weit mehr Wohlwollen und Anerkennung als viele der anderen Künstler:innen, die ich damals kannte. Nein, die Ablehnung produzierte ich mir selbst. Als Flucht nach vorn. Als würden ganze Heerscharen von Kritikern auf mich warten, gegen deren Boshaftigkeit ich mich nur wappnen konnte, indem ich selbst kein gutes Haar an mir ließ. So. Unnötig zu sagen, ich habe inzwischen ein paar Weichen gestellt. Worauf wollte ich hinaus? Auf Sie, glaube ich. Uns. Was uns zum Laufen bringt. Was mich letztendlich zum Laufen brachte, war Trotz. Beharrlichkeit. (Nicht fremdes Lob, obwohl ich es extrem genieße, gewürdigt zu werden. Auch umschmeichelt. Was soll ich’s leugnen.) Nein, es war vor allem, in meinem Fall, die Abkehr von den nicht gut genug sein- Keulen: Nicht robust genug sein. Nicht klug genug, talentiert genug, angemessen genug, durchsetzungsfähig genug. Nicht klischeefrei genug. Genug genug genug genug genug genug. Genug. Genu. Gnu. (Allein, das Wort zwanzigmal zu wiederholen, macht es schon auf höchst angenehme Weise albern) Oje, der Text wird zu lang. Alle behaupten ja, im Web muss man sich kurz fassen. Dabei war ich noch gar nicht bei der Pointe angelangt.

Präparat
Sie produziert nicht. Sie hasst sich dafür, steht aber zu den Konsequenzen: wer keine Substanz schafft, muss von der eigenen lassen, so ist das eben.
Drüben in der Wellblechbaracke, gesund wie ein Stier unter seinen drei vor Dreck steifen Mänteln, wohnt Herr T. Er ist resistent gegenüber jeder Art von Komfort. Lacht sich erstmal kaputt morgens, das reicht ihm als Decke. Der erfolgreichste Clown war immer jener, der hinter seiner Nase in Traurigkeit ersoff. Genau dem hat sie die Hütte überlassen.?Jeden Morgen vor dem ersten Kaffee geht sie rüber. Dann nimmt er das Gehirn entgegen, das sie ihm hinhält und schneidet wieder eine dünne Scheibe ab. Wer bist Du, Fleisch. ?Das Präparat ist sehr aktiv. Er untersucht es lange; sein riesiges Auge glotzt ihr von oben aufs Glas. Dann drückt er mit dem Daumen die Kanten zurecht: Du gehörst nicht mehr dazu, befindet er.
Es ist angenehm zwischen den Glasscheibchen.
Lassen Sie mich bloß nicht fallen, Herr Präparator.
Oh. Es hat keine Stimme, um ihn zu warnen. Vielleicht ein interessantes Luftbläschen produzieren, um zu zeigen, wie toll sie aktiv ist? Vielleicht über den Rand tropfen.?Mehr kann sie nicht tun. Ein gutes Präparat kämpft nicht.

Fleisch
Ereignisse sind keine Behälter für wahr oder falsch: wir schon. In unserem Blick darauf. Ein Blick aber ist noch lange kein Einblick. Für den braucht’s die Kläranlage. Mit der Zeit lernen wir, das unablässige Quirlen der Anlage zu überhören, solang’ sie ein sauberes Endprodukt liefert, eine gültige Interpretation. Doch die ist immer schon weit: weg von den Ereignissen. Wir sind alleine mit unserem Quirl, man täusche sich da nicht. Er entfernt uns von der Gegenwart, schickt uns nach hinten oder voran, im Guten wie im Schlechten. Bis dass der Tod uns scheidet. Von unserem Fleisch.
Das sein Vergehen nicht leugnet. Manche von uns tragen mehr davon, andere weniger, egal, es ist unser einziges, und es nutzt sich (damned shit) schneller ab, als wir quirlen können. Kann sein, Kinder sind so eine Art Fortsetzungsroman, nicht nur des Geistes: Man neigt dazu, sein Fleisch zu ehren, um das neue möglichst lange begleiten zu können. Für jene von uns ohne Fortsetzung: Machen Sie sich vertraut. Mit sich selbst. Durchschreiten Sie Ihre dröhnenden Hallen und halten Sie den Quirl gelegentlich an. Vermischen Sie sich mit Ihrem Fleisch, anstatt es zu gängeln. Es lügt nicht und es sagt Ihnen nicht, dass Sie Unrecht haben. Wir sind nie falsch. Wir sind auch nie richtig. Wir sind einfach, weiß der Henker warum, hier. Mit unseren schmatzenden Zellen.

Bilderhaut
Gib dem Feuer, was des Feuers ist. Wir bringen die falschen Opfer, Monjou, doch welche Freude, sie brennen wie die richtigen, nur ihr Rauch, der beißt Löcher ins Dach: a hole to see the sky through. Auf der Haut schabt er wie Sand. Stundenlang schwelt das gute Wort, bis es dem falschen folgen darf. Wir gießen Tinte ins Feuer. Wir werden Meister im Luftanhalten, Monjou, wir legen uns hin. Auf den Rücken legen wir uns. Wir strecken die Handgelenke vor, halten den Atem an. Wir sind die mit der Bilderhaut; alles zeichnet sich ab.
„Die Tatoos sind nur im Kopf“ sagst du. Ich zähl’ meine freien Stellen.

Stay hungry
Ein sehr sauberer Leopard schlendert die Stufen zu Cartier hoch. Eine Dame mit Lipstick und Streichholzbeinen trägt eine schwarze Katze um die Schultern, während alle XXL-Models längst zurück im Dorf sind, oder heimlich schlank gecoacht. Eine junge Start-up Designerin nimmt sich ihre Unterlagen vor. Lila ist so was von out, sagt sie, in dieser Saison wollen wir das neue Weiß. Ihr Assistent knabbert an einem Crabstick. Und Neon, sagt er. Weiß und Neon.
Was Woody Allen macht?
Hat eine neue Muse, bisher weiß niemand ihren Namen. Sai Baba indes ist seit vorgestern tot: Bye, bye, Baba, und Frieden deinen Gläubigen.
Der Pudel muss gefönt werden; er ist nicht fluffy. Cindy, die das niemals sein wollte, stellt sich eben vor ihr Publikum; sie trägt eine neue Dessouskombination von Agent Provocateur, keinerlei Bauchspeck. Der Dandy sieht zur Seite: zu viel Haut schlägt ihm auf’s Gemüt; er bevorzugt die kultivierte Dame. Von Welt, doch das versteht sich von selbst.
Im Museum staubt das Effizienzteam die Büsten der Großen Denker ab. Mit Federwuscheln natürlich, damit nichts schief geht. Lauter bronzene Männer mit Nasobialfalten: Die Muse im Brokatkleid sinkt auf die Besucherbank, als wäre sie schon von Berufs wegen überwältigt. Vielleicht Liebe? Ihr kleiner Kopf, das große Kleid, man möchte ihr eine Spritze in die Wange geben. Na komm schon, wünsch dir was.
Was tun mit einem Gehirn, das nichts will?
Höchstens multiple choice. Seit ich die schöne Ottobong tanzen sah, weiß ich, man braucht dazu einen Arsch. Plus Lust. Maskottchen. Und Obsessionen. Oral history. Louise Bourgeois führte bis ins hohe Alter einen Salon. Tusker bevorzugt Schweigen, würde dazu aber niemals Hosen mit Camouflagemuster tragen, im Gegensatz zu Wladimir Putin, der allerdings grundsätzlich mit nacktem Oberkörper und Rolex. Hinter dem Sattel zwei nackte Weiber, bouncing. Erzähl’ was über Tundra, Mister President. Drüben in der Hauptstadt kann man sich den Mund machen lassen. Oder Häute. Rasierklingen. Masken. Desinfektionsmittel. Anal bleaching.
Oder doch lieber Schrumpfkopf? Die Revolutionen, das Öl, die Atome: breiten sich aus. Wünschen Sie sich was. Geben Sie sich nicht zufrieden.
erstellt am 10.12.2011
Phyllis Kiehls erster Roman »Fettberg« ist bei Kulturmaschinen, Berlin erschienen. Jutta Piveckova hat ihn gelesen:
BUCHKRITIK: Phyllis Kiehl, Fettberg