3.-6.9.2017 – borderline

3.9.2017

Der Fluss ist aus meinen Tagen gegangen. Geschwommen. Die Erlen werden im Wasser hängen. Ich steige im kalten Regen nicht hinein.
Wenn ich es in diesem September noch einmal tue, wird es etwas ganz anderes sein. Jetzt-erst-recht! – werde ich denken müssen, die Luft anhalten und die Zähne zusammenbeißen.
Ich brauche eine Strickjacke.

4.9.2017

Was tun an einem Montag um sieben Uhr achtzehn, wenn der Kaffee schon getrunken ist, die Blumen wieder aufgestellt sind, die der Tau niedergedrückt hat, und es oben kalt und unten nass ist. Über allem ist es blau.

Ich bin gestern noch ins Wasser gegangen, auch wenn es schon spät war, weil ich Besuch bekommen hatte, und mir die Sonne nicht mehr helfen konnte beim Warmwerden. Es war, wie ich erwartet hatte: sehr viel kaltes Wasser. Aber ich habe es länger darin ausgehalten, als erwartet. Dabei wusste ich noch nicht, wie schwer das Herausklettern sein würde an dem nassen, aufgeweichten, steilen Ufer. An der glatten Erde bin ich immer und immer wieder abgerutscht, das Gras gab keinen Halt, das hatte ich sofort in der Hand. Irgendwie habe ich es geschafft, verschmiert bis zu den Knien. Ich werde mir etwas ausdenken müssen – eine Strickleiter mitbringen? Die müsste ich mir erst noch stricken. Aber vielleicht arbeitet die Zeit für mich und die Sonne trocknet das Gras und die Erde. Schaumermal.
Die Sonne steigt über den Wald, und der Haselnussbusch dampft. Dann die Wiese, dann auch der Acker.

Es ist die letzte Ferienwoche in Bayern. Ich habe Lust auf die Arbeit am Schreibtisch.
Oder rechnen. Ich habe nichts dagegen, mir die Steuer vorzunehmen.
Ich muss mich auf die Schule gefreut haben. Wenn ich nicht verreisen durfte, ging ich gerne in die Schule. Und es gab so viele neue Sachen: Hefte, Stifte, Umschläge in bestimmten Farben für jedes Fach, Bücher, die ich einbinden musste. Alles frisch, alles auf Anfang.

    Das Krächzen der Raben
    ist auch ein Stück –
    dumm sein und Arbeit haben:
    Das ist das Glück.

Ja. Benn.
Ich arbeite. Mache Pläne für meinen Text. Wie er aussehen soll, wenn er ein Jahr hier ist und nicht mehr mir allein gehört.
Was soll mit diesem Jahr rund werden.

borderline. Meine Reise nach Palästina (1994) – die ganze Reise ohnesinn ?
Zurückgekommen aus Israel – Ägypten – Jordanien – Syrien – Israel wollte ich davon erzählen.
Und so fing ich an:

die Freiheit des Vogels, im Käfig zu singen  

                ante scriptum

Still soll es sein um mich. Stille.
Die Bilder zu sehen, die ich nicht gesehen habe.

Ich höre die Welt nicht mehr.
Ich bin taub. Sie ist stumm.
Versinkt um mich, taucht weg, dringt nicht mehr in meine Ohren.

Ich höre nichts, ich sehe nichts.

An keinem Ort habe ich mich so verloren gefühlt, wie jetzt hier, wo ich zuhause
bin. Ich gehe herum, auf und ab, hin und her, von unten nach oben, von oben nach
unten, von Süden nach Norden, von Osten nach Westen, suche einen Punkt, wo
ich bleiben kann und weiß: Es gibt ihn nicht.
Jetzt. Hier.

So setze ich mich manchmal in einer Ecke, manchmal mitten im Zimmer auf
den Boden, halte meine Knie in den Armen und weiß nicht, wo ich bin.
Warum hier, warum jetzt.
Es gibt keinen Grund.

Keine Erde, die mich anzieht.

Und nichts ist zu sehen als das Unsichtbare.

Ich fange an zu schreiben.

 

                            Der Weg

          Nazareth. Herbstanfang.

          Taba. Wo bin ich eigentlich?

          Aqaba. Und wer?

          Amman. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt.

          Aleppo. Jamal, der Hübsche.

          Palmyra. Raida, die Vorbildliche.

          Damaskus. Adnan, der Gerechte.

          Madaba. Wo aber liegt Palästina?

          Jerusalem. Mein Jerusalem.

ohnesinn springe ich auf diesem Weg hin und her.

6.9.2017

Nur weil ich wusste, dass der Mond heute vollkommen rund sein würde, konnte ich gestern Abend erkennen, dass ihm an der linken Seite noch ein ganz klein wenig fehlte, um kugelrund zu sein. Schäfchenwolken flogen schnell an ihm vorbei und ließen ihn gleich wieder strahlen über meinem Bett.

Gegen drei Uhr bellte der Hund. Hörte nicht auf, bis ich aufstand und ihn herausließ. Er rannte los, und das Bellen ging weiter, nicht drohend, sondern hilflos und laut. Hörte nicht auf. Jetzt wollte ich nachschauen, es war ganz nah, nicht so weit hinten im Garten wie beim letzten Mal. Hell genug war es ja. Da steht Yalla vor einem kleinen Igel, der sich nicht einmal zusammenrollt, und bellt und bellt. Mal nähert sie sich bis auf zehn Zentimeter, dann weicht sie zurück und bellt noch lauter. Zureden hilft nicht, ich nehme sie unter den Arm und gehe mit ihr ins Haus. Alles gut.

Es könnte sein, dass es der Zaunkönig war, der mich aufgeweckt hat. Die kleine Stimme war ganz nah. Vielleicht dort, wo ich später den Vogel sehe, hüpfend, pickend und das Schwänzchen aufstellend. Und so winzig.

Bei meiner wöchentlichen Wanderung den Berg hinauf und herunter bin ich in den Regen gekommen und – unvorbereitet wie ich war – bis auf die Haut nass geworden. Nur manchmal haben mich Buchen oder Eichen ein bisschen geschützt.

Mamadou meldet sich nicht. Holt auch die angebotenen 100 € für September nicht ab.
Ich möchte glauben, dass meine klaren Worte ihn auf neue Gedanken gebracht haben. Wie ich es ihm wünsche!
Ich werde eine Mail schreiben und fragen, wie es ihm geht.