Ursula Ackrill: Zeiden, im Januar (Roman) |
Ursula Ackrill: Zeiden, im Januar |
Inhaltsangabe:Leontine Philippi wird 1888 als sächsische Patriziertochter in Kronstadt geboren. 1906 bis 1911 studiert sie Geschichte in Wien und befasst sich in dieser Zeit auch mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Einer der Männer, die sie umschwärmen, ist der gleichaltrige, in Zeiden als Sohn eines armen Bauern zur Welt gekommene Albert Ziegler, der seinen 20. Geburtstag in London feiert, sich seit 1906 im Ausland mit Flugzeugmotoren beschäftigt und 1913 in Siebenbürgen als Pilot bejubelt wird. Leontine lässt sich mit dem Flugpionier, der sie gern heiraten würde, allerdings nur auf eine kurze Affäre ein. "Komm zu mir", hatte Albert zu ihr gesagt, die ersten Worte, die er an sie richtete, seit er zurückgekehrt war. Doch Leontine war am Morgen in den Zug nach Freck gestiegen, sie hatte genug vom Kronstädter Lärm und Wirbel um das bevorstehende Fest, bei dem Albert seine große Idee an Kapitalanleger vermitteln sollte, etwas mit Flieger chartern zum Vergnügen oder zum Transport. Er hatte zwei Schauflüge am Morgen getan, nachdem die Sonne den Herbstnebel weggebrannt hatte, über Berg und Tal in glänzenden Primärfarben, hatte sich am Tag festlich empfangen lassen und sollte am Nachmittag die Finanziers im Hotel Krone unterhalten.
Immerhin kauft Leontine Albert Zieglers Elternhaus und zieht gegen Ende des Ersten Weltkriegs nach Zeiden. Das Haus ihrer eigenen Eltern in Kronstadt vermietet sie. Herfurth hatte seine Studien abgeschlossen, als der Weltkrieg begann, aber sein Vater befahl ihm, in Budapest zu bleiben, arrangierte es, dass er sich dort im Krankenhaus nützlich machen konnte. Danach wollte er zunächst in Kronstadt eine eigene Praxis eröffnen, aber 1928 zog er als Schularzt nach Zeiden. Als Herfurth 1928 nach Zeiden umzog aus seinem heimatlichen Kronstadt, mehr als ein Jahrzehnt nach Leontine Philippi, führte er ein bequemes Junggesellenleben.
Am 11. Juli 1940 besucht er Leontine zum letzten Mal, und sie geben sich nicht einmal mehr beim Streiten Mühe.
"Kinder, Kinder, die Euthanasie beseitigt nur Ballastexistenzen, die uns auf der Tasche liegen und verbrauchen. Joseph ist ein braver Junge, er arbeitet fleißig und hilft unserer Edith." Edith bedient sich des acht Jahre jüngeren Dorftrottels auch im Bett. Eine Zeit lang muss sie geglaubt haben, dass die Lust, die man sich eigenhändig zufügt, die beste ist. Dann überraschte Joseph sie. Sein Ejakulat unerwartet heiß in ihr, Magma aus einer Tiefe, nach der keiner fragt. Sie wird ihn kaum angerührt haben. Sich weich durchhängend ganz seinen Sinnen überlassen haben. Warum Joseph? Warum nicht Herfurth? Jeden Mittag, das wird ihm jetzt klar, wenn Edith den Laden schließt, nimmt sie den Joseph in ihr Bett. Dann blättern sie in den Atlanten ihres Vaters und kichern, Trostmann und Trostfrau, über den Bildtafeln botanischer oder anatomischer Querschnitte von Organen mit lateinischen Unterschriften, in einem Nest von Leinen und Papier. Denn Herfurth hat sie nicht zu trösten gewusst. Er war einer der Männer, die Edith hungrig angingen, sie wie eine lebendige Auster auszuschlürfen, und von ihr geringer als von einem Wirbeltier dachten. Edith Reimer war von Leontine Philippi zunächst kaum beachtet worden. "Ich kann mich darauf nicht besinnen", sagt Leontine und ebnet das wollene Tuch ihres Kleides. Wann war sie mit Edith bekannt geworden? Leontine hatte die junge Frau nur flüchtig bemerkt, bevor Herfurth nach Zeiden kam und um sie zu werben begann. Ediths Vater mischte zuerst bei der Selbsthilfebewegung mit, die ab 1928 mit Hakenkreuzen und Programm "selbstloser, gemeinnütziger Arbeit" den Sachsen Hoffnung auf bessere Zeiten machte, wechselte dann zur radikaleren Splittergruppe der Deutschen Volkspartei Rumäniens über, die nun sowohl den alten Volksrat als auch die Selbsthilfe beiseite geschoben hat und de facto Berlin direkt untersteht. Seine Tochter war Leontine damals kaum aufgefallen. Sie hatte eine schlechte Haltung. Das merkte man, unter den strammen Jugendlichen. Sie führte mit den Lauschern, wie die Goldmarie mit dem gebeutelten Schürzchen führt. Im September 1940 betritt Leontine noch einmal ihr früheres Elternhaus in Kronstadt, in dem die deutsche Volksgruppenführung ihr Hauptquartier eingerichtet hat. An der Fassade hängt eine übergroße Hakenkreuzfahne. Einer der Männer bietet ihr einen Sessel an und sagt: "Sie sind erstens ewiggestrig, zweitens verdammt ungerecht: Sie wissen nicht, was es bedeutet, ein Auskommen zu verdienen, wenn der Ertrag von heute auf morgen entscheidet, ob die Familie das Nötige zusammenbekommt. Man hat uns genug über den Tisch gezogen. Wir können nur mithilfe einer gewissen Biegsamkeit des Gewissens über die Hindernisse hinwegkommen. Die uns mit der Absicht in den Weg gelegt werden, uns unterzukriegen. Lernen wir etwas von unseren rumänischen Konkurrenten." Leontine hält mit ihrer kritischen Haltung gegenüber der Judenverfolgung nicht zurück.
"Also", krächzte Leontine [...], "mir ist Ihr Begriff von Deutschsein noch grün. Ich kenne aber die Geschichte unseres Volks hier in Siebenbürgen. Es geht uns gegen den Strich, dass wir uns auf die Seite der Vielen schlagen und den Wenigen in den Rücken fallen. Denn wir haben erlebt, was es heißt, wenn die Vielen die Wenigen plagen. Ich sag nicht, dass wir uns den Enteignungen widersetzen; das ist eine Politik, an der wir nichts ändern können. Aber wäre es nicht passender, uns herauszuhalten?" Während sich Maria Tatu bei ihrer Mutter in Bukarest aufhält, lädt der jüdische Händler Oskar Brick sie am 19. Januar 1941 in seinem Geschäft im Stadtteil Lipscani auf eine Tasse Kaffee ein und bietet ihr das Du an. Er kauft den Juden, die auswandern wollen, die Habseligkeiten ab und übernimmt auch den von der Rumänisierungs-Kommission requirierten Plunder. (Die wertvollen Stücke erhält SS-Sturmbannführer Kurt Geißler, der Sonderbeauftragte der Sicherheitspolizei in Bukarest, der sie weitergibt, um wichtige Leute zu bestechen.) Aufgrund des Überangebots sind für die Hinterlassenschaften der Juden allerdings kaum noch kostendeckende Preise zu erzielen. Nicht die Geschäftsleute und Industriellen unter den Sachsen erwecken ihren Argwohn so unvermittelt wie die Gelehrten. Es ist nachvollziehbar, dass man gaunert, wenn der Staat die Strafe dafür erlässt. Die Sachsen, die den Juden ihre Geschäfte abnehmen, wobei sie den Spottpreis der Rumänisierungs-Kommissare überbieten, meinen vielleicht sogar, sauber gehandelt zu haben. Der Jud wäre ohne ihr Zutun mit noch weniger, oftmals mit nichts, abgefertigt worden! Und die armen Sachsen müssen wieder mehr blechen, um ihr Recht zu bekommen. "Immer nur bestraft werden wir. Immer nur ..."
Oskar Bricks Sohn soll Rechtsanwalt werden. Seine Töchter hatte er als Buchhalterinnen im Bukarester Außenbüro des führenden Petrochemiekonzerns untergebracht, aber als der ehemalige Wiener Bürgermeister Hermann Neubacher zur deutschen Gesandtschaft in Bukarest versetzt wurde, entließ der Konzern in vorauseilendem Gehorsam alle Jüdinnen. Weil der Junge nuschelte, hörte er sich vertraulicher an, als beabsichtigt. Er nuschelte, weil Blut in seinem Mund schneller zusammenquoll, als er schluckte. [...] Da gaben die Beine unter ihm nach. Maria fasste rasch seinen Rücken aber ihre Hand glitt aus und mit dem Hemd zusammengerafft hoch. Sie prallten hart auf die Treppenstufen, und als Maria versuchte, ihn aufzurichten, sah sie, dass sein Rücken ein Rinnsal war, glatt vom Blut aus einer Schusswunde im Nacken.
Am nächsten Morgen kehrt Maria mit der Bahn nach Zeiden zurück. Vorbei am Haus der Liebhaberin des Doktor Petersberger, der eigentlich privat über der Apotheke gewohnt hatte, aber im Haus dieser Frau gestorben war. Als die Gemeinde ihn mit Nichtachtung strafte, war er zum Glück schon morsch im Kopf. Er gestand jedem, der's hören wollte, was für einen gesunden Körper seine Schakerakerin hatte, bis er tot von ihr weggeschafft wurde. Franz Herfurth erinnert sich an ein Gespräch mit seinem früheren Mitschüler und Kommilitonen Fritz Klein. Der wurde 1888 in Zeiden geboren. Seine früh verwitwete Mutter zog ihn und sechs Geschwister auf. Den Lebensunterhalt verdiente sie als Putzfrau. Fritz Klein praktiziert als Arzt in seiner Heimatstadt und gehört dem Vorstand des Männerchors an. Über die Nationalsozialisten sagte er zu seinem Kollegen: "Die Nazis haben den steilen Aufstieg gewählt. Das ist ohne Gewalt, meinetwegen Brutalität, nicht zu machen. Es fällt dir bestimmt nicht leicht, zu verstehen, dass sie die Arbeiterpartei sind. Du mit deinen Bürgerrechten, mit deiner Leontine Philippi, die mir weismachen wollte, dass Gewalt die Gewalttäter degradiert. Ihr habt keine Ahnung, was es bedeutet, eine Gesellschaft, in der man akzeptiert wird, zu Lebzeiten in Aussicht gestellt zu bekommen. Ihr habt eure bürgerliche Satisfaktion seit Generationen. Die Nazis wollen eine Entwicklung, die in hundert Jahren unvermeidlich eintreten würde, heute, hier, für uns verwirklichen. Die Germanen werden dominieren. Ja, wir beschleunigen den Lauf der Geschichte und einigen von uns wird schwindelig davon. Stellen wir uns nicht so an! Warum nicht wissenschaftlich, ja chirurgisch vorgehen, und das schwächende Geschwür vom Körper der Nation entfernen? Erst die Blutgefäße abbinden, dann kommt das Messer dran. Heilen ist brutal, das sollte dir doch einleuchten!" Unlängst wurde Franz Herfurth von der Volksführung über Leontine Philippi und Albert Ziegler befragt. Er sagte ihnen offen seine Meinung zum Klatsch über das andere Zeidner Ass, den Aviatiker. Es war gewiss kein Unfall, dass Alberts Flieger unter den Beschuss der Deutschen kam – von wegen, irrtümlich! Er hebt einfach nur so ab, in seiner ältesten Maschine, von diesem stillgelegten Aerodrom in der Picardie ... und dann fehlt jede Spur von ihm. Nicht einmal wo die Absturzstelle war, weiß man. Dabei kannte Albert die Gegend gut, hatte sich doch als junger Mann zwei volle Jahre dort herumgetrieben. Maschinen eingeflogen für eine Firma in Paris. Unzweifelhaft für Herfurth, dass Albert keine Absicht hatte, sich den deutschen Truppen anzuschließen. Leontine sucht am Nachmittag des 21. Januar 1941 Edith in der Apotheke auf. Edith, die gerade erst vom Skifahren zurückkam, sagt: "Ich verstehe nichts mehr. Mein Vater will, dass ich Broschüren aus Deutschland für Siebenbürgen bearbeite. Zur Hebung der gesundheitlichen Lebensführung. Ich soll alle diese Rezepte nachkochen und unserer Küche anpassen, denn Sparsamkeit hilft siegen. Marmeladen mit wenig Zucker, ohne Apparate und so. Aber wenn wir sparen, wenn wir selbst so wenig haben, wie ernähren wir die vielen Gefangenen, die wir machen? Mein Vater erzählte mir von Zügen voll Leuten – was brauchen wir so viele Gefangene? Wenn Deutschland siegt, geht es uns besser, aber warum müssen wir unsere Verrückten umbringen?" Dass Edith Joseph einen Schein besorgt hat, der ihn vom Militärdienst freistellen soll, hält Leontine für einen Fehler: "Du denkst nicht weit genug. Dass dein Vater mit Nazis verkehrt, ist seine Sache. Es ist aber dein Fehler, dass du Joseph diesen Leuten vor die Füße laufen lässt. Es ist deine Eitelkeit, zu denken, dass du ihn beschützen kannst. Du hast gehört, was die Nazis vorhaben." An diesem Abend, am 21. Januar 1941, findet im Rathaus von Zeiden ein Vortrag statt. Andreas Schmidt, der 28-jährige Führer der deutschen Volksgruppe in Rumänien, will den Bürgern klarmachen, wie wichtig der Sieg des Deutschen Reichs für sie ist.
Andreas Schmidt wird heute Abend seine Überzeugung vortragen, dass wir uns Deutschlands Sieg zum Anliegen machen müssen als wären wir Reichsdeutsche Patrioten, denn unser Schicksal als Prominenz Südosteuropas hängt vom ritterlich versehenen Kriegsdienst für Deutschland ab. Er stolziert auf und ab, erster Pionier, der den Bezug zwischen Rumäniendeutschen und Macht auf dieser Welt wieder herstellte. Wir sind dann wieder wer, sofern noch welche von uns übrig bleiben, wenn Deutschland siegt.
Im Sommer 1940 stellte Rumänien 1060 Männer für die Waffen-SS ab. Hans Otto Roth erhielt dafür die Garantie, dass keine weiteren Rekrutierungen von Rumäniendeutschen in reichsdeutsche Einheiten stattfinden würden. Während Andreas Schmidt im Rathaus-Saal redet, untersuchen allerdings Franz Herfurth und Fritz Klein in einem der anderen Räume 19-Jährige, die sich in Wien zur Waffen-SS melden wollen, um dem Kriegsdienst in der rumänischen Armee zu entgehen.
"Wie kommt es nur her, dass Sie, Herr Schmidt, unsere Militärs durch das Nadelöhr Bukarest befördern müssen, damit sie ins deutsche Heer kommen?"
Während der Volksgruppenführer spricht, wird sein Pressechef Walter May ans Telefon gerufen. Kurz darauf kehrt May zurück, richtet aus, dass Geißler mit Schmidt reden wolle und übernimmt den Vortrag.
"Es ist eine Katastrophe." [...] Als der Volksgruppenführer Leontine rät, vorerst nicht nach Hause zu gehen, ahnt sie, dass seine Männer ihr Haus durchsuchen. Andreas Schmidt leugnet es nicht:
"Ich habe mich, wie gesagt, erkundigt. Sie haben keine Kinder, keinen Mann und keine Eltern mehr. Das ist rar. Es macht Sie ziemlich unangreifbar. Wir überzeugen am leichtesten, wenn wir Leute vor die Wahl stellen, ihre Kinder auf die rumänische Schule zu versetzen. Sie können nicht wissen, welch ein Heulen und Zähneklappern!" Schmidt zündet sich eine Zigarette an. Auf Leontines Frage, was er von ihr erwarte, will er von ihr wissen, wo sich der vor einiger Zeit nach einem Start in der Picardie verschwundene Pilot Albert Ziegler versteckt habe.
"Ich habe mit Albert seit über zwanzig Jahren nicht gesprochen ", erklärt Leontine vorsichtig, wie man schlechte Nachrichten gibt. Es ist die Wahrhaftigkeit in ihrer Stimme, der die beiden ausweichen, wittert Leontine und fasst sich. Ich weiß einfach, was er sieht, wenn ein Bild durch ihn fährt, sehe ich es, gelegentlich, unerwartet. Ich weiß aber nicht, was er denkt. Auf dem Weg vom Rathaus zu ihrem Haus wird Leontine gegen 21 Uhr von Franz Herfurth angesprochen. Sie weiß, dass sie nicht in Zeiden bleiben kann, und er sagt: "Ich habe mit dem Leutnant gesprochen. Welcher morgen die Rekruten ins Reich einschleust. Wenn du mitwillst, niemand wird dich etwas fragen." Sie wendet sich wortlos ab. Zehn Minuten später taucht Maria, die krank aus Bukarest zurückgekehrt ist, bei Leontine auf.
Maria schafft gerade einen Halbspagat über eine Moränenlandschaft von Materie, die sie zu sortieren bemüht ist. Sie fährt Leontine an, kopflos und mit Irrlichtern in den Augen: "Wenn du schon packen willst, warum lässt du mich nicht holen?" und zeigt gekränkt auf die Haufen Kleider und Papiere auf dem Fußboden verstreut. Nachdem Leontine die von ihr heimlich verfasste Chronik der Stadt Zeiden und andere Papiere in einer Schatulle im Garten vergraben hat, macht sie sich reisefertig. Sie hat einen Rucksack gepackt und trägt selbst Alberts Konfirmandenanzug – guter Kammgarn von der Weberei ihres Oheims Scherg – und Alberts hohe Stiefel, vom Schuster auf Maß gearbeitet. Sie sieht sich im Nebel vor Morgengrauen in Richtung Bahnhof eilen, es ist zu dunkel, um den Zeidner Glockentum noch einmal zu sehen, sie ist eine graue Gestalt, zu der mehr und mehr Gestalten stoßen, Jugendliche, stur dem Tag entgegenstierend. In dem Viehwagen, in dem Leontine mit 19-Jährigen Richtung Wien fährt, wird sie aufgefordert, die Gruppe mit einer Geschichte zu unterhalten. Leontine erzählt von einer Bauerntochter, die beim Abendessen an einer Speckschwarte erstickt, während ihr Ehemann im Wirtshaus sitzt. Man beerdigt sie, aber zwei fahrende Studenten, die es auf Goldzähne abgesehen haben, graben sie nachts wieder aus. Einer stieß ihr ein Knie in den Rücken, damit der Kopf zurückfallen konnte, der andere sollte ihren Kiefer aufstemmen. Auf einmal fährt die Leiche zusammen, hustet kräftig und spuckt etwas Widerwärtiges aus ihrem Rachen. Die Räuber flüchten. Die Frau kommt zu sich und geht frierend nach Hause, aber ihr Ehemann hält sie für ein Gespenst und lässt sie nicht ein. Ebenso ergeht es ihr bei den Eltern. Da besinnt sie sich auf den ärmeren der beiden Männer, die um sie warben und den sie im Gegensatz zu ihren Eltern als Ehemann bevorzugt hätte. Der öffnet ihr sofort die Tür, zündet ein Feuer an, wickelt sie in eine Decke und wärmt eine Suppe für sie auf. |
Buchbesprechung:
Siebenbürgen (Transsilvanien) ist ein Landstrich in den südlichen Karpaten, in den ab Mitte des 12. Jahrhunderts Siedler aus Flandern, aus dem Maas-Mosel-Gebiet und vom Mittelrhein geholt wurden. Die Bezeichnung "Siebenbürger Sachsen" ist wohl dadurch zu erklären, dass die überwiegend deutschen Siedler lateinisch "Saxones" genannt wurden. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts scheiterte das Vorhaben des Deutschen Ritterordens, in Siebenbürgen einen eigenen Staat zu errichten. Im Zuge der Gegenreformation wanderten Protestanten nach Siebenbürgen ein, weil dort Glaubensfreiheit herrschte. Siebenbürgen gehörte lange Zeit zu Ungarn; nach dem Ersten Weltkrieg wurde es Rumänien zugesprochen. Was den Sachsen mangelt, denkt Leontine, ist indigene Selbstverständlichkeit. Dass wir endlich einmal nicht mehr rechtfertigen, unsere Existenz erklären und Meldung erstatten müssen, wer wir sind, wie wir hergekommen sind, wieso wir leben wollen, so wie wir wollen, wieso wir uns unterstehen, hier zu leben.
Der Kern der Handlung – wenn man überhaupt von einem Plot sprechen kann – spielt am 21. Januar 1941 in Zeiden. Was an diesem Tag geschieht, schildert Ursula Ackrill in zahlreichen Fragmenten, immer wieder unterbrochen von Rückblenden. Dass diese mal nur wenige Zeilen, mal mehrere Seiten langen
Die Sonne kämpft gegen die grauen Hüllen an, ein dampfender Knödel aus der Ursuppe. Einige Passagen in "Zeiden, im Januar" sind so verschwurbelt, dass man ratlos zurückbleibt:
Fast ließ er jeder eine persönliche Bürgschaft zurück, er würde allezeit in Abwesenheit so gut oder besser. Und erst die Ledigen. "Aber dafür haben wir doch den Stein da, im Kirchhof, mit der Kette." "Ida, endlich!", man lachte. "Ja", erzählte weiter die Apothekerin Edith, unverfroren schulterzuckend, "ich habe gehört, der Andreas Schmidt soll nichts anbrennen lassen, ob alt, ob jung, er kann eben gut."
Die Stadt Zeiden im Burzenland, 20 Kilometer westlich von Kronstadt (Braşov) gibt es tatsächlich. Sie heißt heute Codlea. Auch bei einigen Romanfiguren in "Zeiden, im Januar" griff Ursula Ackrill auf Personen aus der Realität zurück: Albert Ziegler, Fritz Klein, Victor Capesius, Andreas Schmidt und Walter May, Kurt Geißler, Hermann Neubacher, Hans Otto Roth, Ion Victor Antonescum Gottlob und Christa Berger. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015 |