Volker Harry Altwasser: Glückliches Sterben, Roman über Bruno Franks Bericht, in dem Chamfort seinen Tod erzählt |
Volker Harry Altwasser: Glückliches SterbenVolker Harry Altwassers Roman über Bruno Franks Bericht, in dem Chamfort seinen Tod erzählt |
Inhaltsangabe:
Der am Tag nach dem Reichstagsbrand mit seiner Ehefrau Elisabeth aus Deutschland emigrierte Schriftsteller Bruno Frank liegt am 13. Juni 1945 in der Villa "Aurora" des befreundeten Ehepaars Marta und Lion Feuchtwanger in Los Angeles im Sterben. Damit beginnt Volker Harry Altwasser seinen Roman "Glückliches Sterben". Kein Mädchen, das ihm nicht wenigstens die Brüste überlassen hatte.
Während eines Ausflugs im Buchenwald von Weimar mit Walter Benjamin, Wilhelm Speyer und Erich von Mendelsohn sah er den Lehrer Theodor Lessing und dessen Ehefrau bei einer Jagd. Er beobachtete, dass der Lehrer es nicht fertigbrachte,
Sebald blieb in den deutschen Landen zurück, verwirrt und auf Jahre verdorben. Er begann zu spielen und spielsüchtig zu werden.
1904 machte er am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart sein Abitur. Im Jahr darauf veröffentlichte der 18-Jährige in Heidelberg seinen ersten Gedichtband: "Aus der goldnen Schale". Mit Bankgeschäften wollte er beruflich nichts zu tun haben, und das Jurastudium, das ihm der Vater aufgedrängt hatte, brach er nach einem Semester ab. Stattdessen studierte er in Tübingen, München, Straßburg und Heidelberg Philosophie. Dies ist der Anfang einer Autobiografie des französischen Schriftstellers Chamfort, die er nie geschrieben hat.
Als Nicolas Chamfort am 15. November 1793 in Paris erneut verhaftet werden sollte, ging er unter dem Vorwand, packen zu wollen, ins Kabinett und schoss sich in den Kopf. Die Kugel zerfetzte ein Auge, aber nicht das Gehirn. Er versuchte vergeblich, sich die Kehle durchzuschneiden, stach sich in die Brust, schnitt in Schenkel und Waden, ohne jedoch eine Arterie zu treffen. Keine der 22 Verletzungen war tödlich. Ins Gefängnis musste Chamfort nicht mehr. Stattdessen wurde er auf eigene Kosten in seiner Wohnung von dem Gendarm Louis Le Courcheux bewacht. Damals liebte ich die Frauen noch – und sie mich. Ich pflückte Jungfernhäutchen [...], und die mächtigsten Frauen von Paris intrigierten zu meinem Wohle [...]
Im Alter von 25 Jahren infizierte ihn eine Hure mit einer Geschlechtskrankheit, und er begann die Frauen zu verabscheuen. Marthe war anders als die dummen Püppchen mit den feuchten Mösen und die alten Weiber mit ihrem Mundgeruch und ihren Millionen. Da war – eine Frau! Unglaublich: Da war ein Hirn in einer Frau, das nicht dem Herz gehorchte!
Sie war die Ehefrau eines Arztes. Nach dessen Tod im Jahr 1787 zog Marthe mit Chamfort aufs Land. Aber ihr Glück währte nur noch ein halbes Jahr. Dann starb Marthe-Anne Buffon in seinen Armen.
"Nur weil du selbst von dieser Lehrergattin verführt worden bist, als du sechzehn warst, nur weil du mich verführt hast, als ich sechzehn war, nur weil in deinen ersten Texten, Im dunklen Zimmer, Die Nachtwache, Die Fürstin, ich rede gar nicht erst von deinen Novellen und Gedichten, nur weil immer alle sechzehn sind, wenn sie verführt werden, musst du doch nicht auch in deinem letzten Werk …>" Bruno Frank lässt Chamfort in der Silvesternacht 1793 mit dem Diktat beginnen. Er selbst diktiert Elisabeth unter anderem folgende Passage. Und es ist der Kult um den Charakter, den ich als Moralist ins Unermessliche steigere, zu erahnen in meinen Maximen und Anekdoten [...] So dringt dieser Nichtroman bis ins Absolute vor, das sich in der Wut der Vernichtung vollendet, auch wenn nach mir neue Arbeiter kommen, wie dieser Kafka, der seine Quelle nie angeben wird, sich im Tode schämend, so dreist Ideen gestohlen zu haben, dass er seine Werke vernichtet wissen will. An dieser Stelle bricht er ab: "Halt, halt, meine liebe Elisabeth, das alles muss leider gestrichen werden. Von Kafka kann Chamfort ja noch gar nichts wissen. Das wäre ein Festschmaus für die Herren Rezensenten!" Denise schreibt nicht nur auf, was Chamfort ihr diktiert, sondern greift auch unter die Bettdecke und streichelt sein "schlaffes, sterbendes Geschlecht". Sie zieht sich aus, legt seine Hände auf ihre Brüste, schlüpft zu ihm ins Bett und bewegt sich vorsichtig auf ihm. [...] und mir bleibt nur, das Becken ein paar Mal zu heben, aber unter Höllenqualen, die mich aufschreien lassen. Wieder protestiert Elisabeth:
"Bruno! Das ist doch Pornografie, das ruiniert deinen Namen …"
Elisabeth verabscheut nicht nur die Altmänner-Sexfantasien, sondern sie ist auch entsetzt darüber, dass Bruno ihre eigene erste Liebesnacht in einem Roman verwertet. Sie war damals 16 Jahre, er doppelt so alt. Ein Mann muss sich eben etwas einfallen lassen, wenn seine Standfestigkeit verschwindet, die Geilheit aber bleibt. Als er sie wie ein Pferd reitet und ihr einen künstlichen Schwanz in den Po steckt, alarmiert ihr Kreischen den Onkel, die Haushälterin und deren Ehemann. Sie reißen die Türe auf, und der Gendarm schlägt Chamfort mit einer Peitsche. Der Schriftsteller sagt zu ihm: "Mein lieber Sancho Panza, sieh doch nur, was ich mit deiner Nichte getrieben habe! Was muss ich denn noch alles machen, damit du die Bestie erschießt?" Und er denkt: Der Moralist versaut das junge Ding fürs Leben, was wird sie reich werden in den Bordellen von Paris!
Im Fiebertraum glaubt Bruno Frank, Denise sei bei ihm und spreche ihn als "Monsieur Frank" an. Elisabeth hört ihn murmeln und nimmt an, er rede mit sich selbst. So kann er glücklich sterben. Von der Kirche und den Sterbesakramenten hält Chamfort nichts. Er sagt zum Pfarrer, der ihm in der Todesstunde die Hostie geben will, er müsse sie verweigern, weil der Arzt ihm Mehlspeisen verboten habe.
Am 13. April 1794 stirbt Chamfort in den Armen seiner Frau. Denis de Chamfort legt es aufs Manuskript der fiktiven Autobiografie, die nicht fiktiv ist, da nur die Schreiberin selbst fiktiv ist, nicht aber der Diktierende, dem sterbend das Papier und die Feder fehlten.
Dann streicht sie mit der Dolchspitze über ihre Brüste, zielt dazwischen und stößt zu. Das Blut der Selbstmörderin tropft auf das Herz ihres Geliebten. Ihr Bruno, sie wusste es, hatte an den großen Werken Thomas Manns mitgeschrieben: während der vielen privaten Vorleseabende, in Form unendlicher Berufsgespräche einer fast vierzigjährigen Freundschaft oder während des einen oder andren stillen Lektorats. Und einiges, was Bruno passiert war, war in die Mann'schen Romane eingeflossen, doch niemals hatten die beiden Männer darüber ein Wort verloren. Bruno hatte die stille Teilhaberschaft genügt, und Thomas war missmutig über sie hinweggegangen [...] Als Bruno Frank am 20. Juni 1945 in der Villa "Aurora" stirbt, sind außer Elisabeth und dem Ehepaar Feuchtwanger Ludwig Marcuse, Salka und Berthold Viertel bei ihm. Thomas Mann erhält die Nachricht im Flughafenbus. Er schreibt in sein Tagebuch: "Schmerzlicher Verlust. Ein Mensch, der mich liebte und dem ich mehrmals aus Nachlässigkeit wehgetan habe. 35 Jahre kaum unterbrochener Nachbarschaft und Austausches."
Obwohl Lion Feuchtwanger der Witwe die Notlüge gesteht, will sie Gottfried Bermann Fischer das Manuskript "Chamfort erzählt seinen Tod – zu Ende" nach Frankfurt schicken. Auf dem Weg zum Postamt überlegt sie es sich jedoch anders und wirft das Paket in einen Papierkorb neben einer Parkbank. |
Buchbesprechung:
Der Schriftsteller Bruno Frank (1887 – 1945) hinterließ tatsächlich das Fragment einer fiktiven Autobiografie seines französischen Kollegen Nicolas Chamfort. Ein Auszug erschien in der Sonderausgabe der "Neuen Rundschau" zu Thomas Manns 70. Geburtstag am 6. Juni 1945: "Chamfort erzählt seinen Tod" (S. 121ff). Den Text gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Hans Jochim Schädlich (Hamburg 1999, ISBN 3-934120-33-4). Volker Harry Altwasser ließ sich davon zu dem Roman "Glückliches Sterben" inspirieren. Die Zitate aus "Chamfort erzählt seinen Tod" und anderen Quellen sind durch fett gedruckte Anfangsworte gekennzeichnet. Eine wichtige Rolle spielt auch Bruno Franks Roman "Trenck. Roman eines Günstlings" (1926).
Je höher die Moral gehängt wird, umso breiter fließt der Blutstrom.
Das im Verlag Matthes & Seitz erschienene Buch ist fadengeheftet. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Nicolas Chamfort (kurze Biografie) |