Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus (Roman) |
Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus |
Inhaltsangabe:
In einer früheren, ferneren Version dieser Geschichte sagt Daniel Defoe, er habe eines der unglaublichsten und abenteuerlichsten Leben gehabt. Der Ich-Erzähler, der sich in einem Chatroom als Robinsonsuchtfreitag angemeldet hat, weil es den Nickname Robinson bereits 15-mal gab, chattet regelmäßig mit einer Person, die sich Freitag nennt. Wenn er sich in Grevesmühlen aufhält, wo man ihn übrigens für Butte Beerbohm hält, geht er dazu in Bodos Internet-Café in der Otto-Grotewohl-Straße. Sein Nachhauseweg führt in einen Fußgängertunnel und durch einen unauffälligen Seitenausgang mit der Aufschrift "Bhn W4". Er wohnt dort in einer 284 mal 238 Zentimeter großen, 314 Zentimeter hohen Gerätekammer in der dritten Etage der Bahnmeisterei, die er nach dem Kauf exklusiv einrichten ließ.
Willkommen im Besenschrank.
Seine Türe hat er mit einer acht Millimeter dicken Stahlplatte verstärken lassen, weil er verfolgt wird. Grund dafür sind frühere Machenschaften seines inzwischen verstorbenen Vaters. Sie taten mir ja nichts, im allgemeinen, aber es war wieder ein solcher Tag gewesen, an dem ich unglücklicherweise den genauen Lichtweg oder die Lichtwege konvexer und konkaver Linien gewusst hatte, was ja nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Ging also besser hinten herum [...]
Die Mitschüler verstellten ihm den Weg und forderten ihn auf, in "die Kuhle" zu springen. Da ging es zehn Meter tief. Er erklärte sich bereit zu der Mutprobe, vertröstete die anderen jedoch auf den nächsten Montag. Das war der erste Ferientag. Da brauchte er nicht in die Schule zu gehen und konnte sich verstecken. Aus einem alten Badeofen baute er sich eine Taucherglocke im Färbergraben und verbrachte darin die Ferien. Im Herbst zog die Familie dann ohnehin aus Minden weg. In Kaiserslautern in der Einkaufszone betrete ich als blonder langhaariger Mensch das große Untergeschoss des Hertie und komme als Rentner mit Mütze in Saarbrücken wieder heraus. Er überlegt, ob er seinen Wohnsitz ganz auf die Schiene verlegen soll, etwa durch eine permanente Schlafwagenreservierung. Auch einen Gefängnisaufenthalt zieht er in Betracht.
Ich hatte von jeher eine Neigung zu Gefängnissen, sind sie doch, meiner Meinung nach, der einzig sichere Ort, an dem man sich aufhalten kann [...] Ich denke an die ungeheuerlichen Sicherheitsmaßnahmen, die zu bezahlen kein normal lebender Mensch in der Lage wäre [...] Die Kosten für die teuerste Hollywoodvilla wären ein Pappenstiel gegen diesen ungeheuerlichen Luxus. Ähnliche Wohnungen wie in Grevesmühlen besitzt er auch in anderen Städten. Als ihn die Verfolger aufgespürt haben, reist er ab. In Schwerin schlagen sie ihn zusammen. Bewusstlos war ich nicht, doch tot, oh ja, tot bin ich sicherlich gewesen. Er setzt sich in die Südsee ab. Das Internet-Café auf dem Atoll Funafuti heißt "Island Dream". Man hält mich hier für einen Säufer. Und zwar zu Recht. Er heuert auf dem Zweimaster "Cook" an. Sechs Mann gehören zur Besatzung. Käpten Kuk ist Melanesier. Seine Vorfahren waren noch Menschenfresser. Niemand an Bord weiß, dass das Schiff dem Erzähler gehört. Der Schiffsjunge Freitag wird von den anderen gemobbt. Käpten Kuk persönlich macht sich einen Spaß daraus, ihn in seiner Kajüte mit schwarzer Schuhcreme einzureiben. Als Freitag vor der unbewohnten Insel Naoumu vollständig schwarz eingefärbt und nur mit einem Baströckchen bekleidet das Deck schrubben soll, ermutigt der Erzähler ihn, mit ihm zusammen über Bord zu springen. Sie schwimmen zur nahen Insel. Dort wälzt Freitag sich im weißen Sand, und der Erzähler denkt bei dem Anblick an gezuckerte Lakritze. Am nächsten Tag verschwindet Freitag spurlos. Meine eigene Abreise stellte dann kein Problem dar, in dieser heutigen Welt. In einer früheren hätte ich vielleicht dreißig Jahre lang am Strand gesessen und auf ein vorbeifahrendes Schiff gewartet, das dann tatsächlich vorbeigefahren wäre. Bis endlich das nächste, nach weiteren dreißig Jahren, ebenso vorbeifährt. Heute zücke ich mein Mobilphone und bestelle mir ein Taxi – es sind ohnehin nur anderthalb Flugstunden bis Pago Pago, also kein Problem (sprich Pengo Pengo). Er kehrt nach Grevesmühlen zurück. Im Chatroom plaudert er weiter mit Freitag und verabredet schließlich mit der Person ein Treffen im Bahnhof von Grevesmühlen. Erkennungsmerkmal: eine rote Tasche. Von den zur vereinbarten Zeit aus einem Zug ausgestiegenen Fahrgästen trägt niemand außer einer schönen Frau eine rote Tasche. Er folgt ihr gebannt ein paar Meter und vergisst darüber Freitag. Wieder im Internet-Café, beschwert er sich, dass Freitag nicht gekommen sei. Aber Freitag widerspricht:
Ich bin gekommen.
Freitag ist eine Frau! Und sie scheint in einer Besenkammer im 4. Stockwerk genau über der seinen zu wohnen. Zunächst stellt er sich einen verbindenden Durchbruch vor, aber dann teilt er Freitag im Chatroom mit, er habe Größeres vor: eine gemeinsame Wohnung in New York. Hineingeht ein Mr Dobs. Herauskommt Marco Marconi, auch genannt Don Marco oder einfach M. M., und den sollte man besser nicht kennen.
Den Architekten Frank C. Wainright bringt er mit seinen ausgefallen Wünschen so zur Verzweiflung, dass dieser sich schließlich erschießt.
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Buchbesprechung:
Angeregt von den Erlebnissen des Seemanns Alexander Selkirk (1676 ‐ 1721), der viereinhalb Jahre auf der zum Juan-Fernández-Archipel vor der chilenischen Küste gehörenden unbewohnten Isla Más a Tierra verbracht hatte (1704 – 1709), veröffentlichte der Journalist Daniel Defoe 1719, im Alter von 59 Jahren,
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Ernst Augustin (kurze Biografie / Bibliografie) |