Pierre Bost: Ein Sonntag auf dem Lande (Roman) |
Pierre Bost: Ein Sonntag auf dem Lande |
Inhaltsangabe:Der verwitwete Porträtmaler Urbain Ladmiral ist 76 Jahre alt. Er wurde mit dem Prix-de-Rome ausgezeichnet und ist Mitglied des Institut de France. Vor zehn Jahren verließ er Paris und zog nach Saint-Ange-des-Bois, in ein Haus, das er sich dort gekauft hatte. Als Monsieur Ladmiral zehn Jahre zuvor Paris verlassen hatte, um nach Saint-Ange-des-Bois zu ziehen, hatte er, um mit dem Haus zu prahlen, das er gekauft hatte, alle wissen lassen, dass es acht Minuten vom Bahnhof entfernt liege. Damals stimmte das fast. Später lag das Haus, je älter Monsieur Ladmiral wurde, zehn Minuten vom Bahnhof entfernt, dann eine gute Viertelstunde. Monsieur Ladmiral hatte dieses Phänomen sehr langsam begriffen und es nie zu erklären gewusst, richtiger gesagt, hatte er es nie zugegeben. Es war eine ausgemachte Sache, dass er immer noch acht Minuten vom Bahnhof entfernt wohnte, was nicht dazu angetan war, sein Leben zu vereinfachen: Man musste Spielchen mit den Wanduhren machen, bei den Zeitplänen falsche Berechnungen einbauen und behaupten, dass die Bahnhofsuhr vorgehe oder dass der Fahrplan heimlich geändert worden sei. Die Haushälterin Mercédès kennt die Marotten ihres Dienstherrn, aber sie schätzt ihn, ohne es zu zeigen. Und Monsieur Ladmiral nimmt ihre "respektvollen Unverschämtheiten" gelassen hin, denn er weiß, dass er auf sie angewiesen ist. Mercédès hütete sich wie alle Frauen davor, die Situation auszunutzen; sie bediente sich ihrer, und das reichte.
Wie nahezu an jedem Sonntagmorgen kommen Monsieur Ladmirals Sohn Gonzague Edouard, dessen Ehefrau Marie-Thérèse und die drei Kinder – Emile (14), Lucien (11), Mireille (5) – mit dem Zug aus Paris zu Besuch. Mireille wird es während der Bahnfahrt jedes Mal übel. Auch diesmal hat sie sich wieder übergeben. Monsieur Ladmiral will die Gäste vom Zug abholen, weil er jedoch von einem achtminütigen Fußweg zum Bahnhof ausgeht, kommt ihm die kleine Reisegesellschaft schon unterwegs entgegen. Während Monsieur seinen Sohn wie eh und je Gonzague nennt, benutzt Marie-Thérèse nur den zweiten Vornamen: Edouard. Die Bewunderung des Sohnes für seinen Vater ging so weit, dass Gonzague erstens zu malen begonnen hatte und das zweitens trotz verheißungsvoller Anfänge sehr rasch aufgegeben hatte. Für ihn zählte die Malerei seines Vaters zum Schönsten, was es gab, und er hatte eine Art Sakrileg darin gesehen, zu versuchen, ihm auf diesem Gebiet zu folgen, wo er ihn nie erreichen würde. Dass er dann im Büro einer Kolonialwarenfirma anfing, war Monsieur Ladmiral ein Greuel: "Ins Büro gehen", das war für Monsieur Ladmiral das Zeichen von Knechtschaft und Armseligkeit. Etwas so Hässliches wie wenn eine Frau ohne Kopfbedeckung aus dem Haus ging oder die Kinder auf der Straße spielten.
Drei Jahre nach seinem Firmeneintritt wurde Gonzague eine Stelle in Dakar angeboten, aber er schlug sie mit der Begründung aus, er müsse in der Nähe seines älter werdenden Vaters bleiben. Als ihm dann zum zweiten Mal eine Versetzung nach Afrika vorgeschlagen wurde, wies er darauf hin, dass er inzwischen verheiratet war und lehnte auch dieses Angebot ab.
Aus Feingefühl verlangsamte auch Edouard seinen Schritt, ein wenig zu sehr sogar, sodass er leicht ins Hintertreffen geriet. Sein Vater drehte den Kopf nach ihm um: Bei Tisch wendet Monsieur Ladmiral sich an seinen Sohn: "Wenn du dein Jackett ausziehen möchtest …" Gonzague weiß, dass sein Vater dies nur aus Höflichkeit sagt und es schrecklich finden würde, wenn er es täte. Er behält also das Jackett an. Marie-Thérèse tadelt ihn deshalb: "… wo es dein Vater dir doch erlaubt! Sieh nur, wie du schwitzt …!" Zu Hause mache er es sich doch auch bequem, meint sie, warum also nicht auch auf dem Land. Er [Monsieur Ladmiral] nahm es seinem Sohn übel, sich so zu zieren, und er war ihm auch gram angesichts der Vorstellung, dass er seine Jacke vielleicht wirklich wie ein Fuhrmann ablegen würde. Und da Gonzague schließlich, um seinem Vater nicht zu missfallen, das Jackett anbehielt, verübelte er ihm, nicht den Mut zu haben, zu seinen Meinungen zu stehen.
Nach dem Essen zieht Monsieur Ladmiral sich zum Mittagsschlaf ins Gartenhaus zurück. Auch Edouard und Marie-Thérèse legen sich hin. "Das ist für dich, Tante Irène. Ein Herr, ich habe den Namen nicht verstanden."
Schon an Irènes Miene während des Telefongesprächs erkennen die Jungs, dass aus der Autofahrt nichts mehr wird. Irène will sofort nach Paris zurück. Sie verabschiedet sich hastig und fährt los. "Ja", sagte Monsieur Ladmiral, "von meiner Tochter." |
Buchbesprechung:
Unaufgeregt und ohne Effekthascherei erzählt Pierre Bost eine kleine melancholische Geschichte, die auf engstem Raum und (bis auf einen kurzen Epilog) an einem "Sonntag auf dem Lande" spielt. Sie handelt von unerfüllten und aufgegebenen Träumen. Aufmerksam, sensibel und mit feinem Humor geht Pierre Bost den uneingestandenen, zumindest unausgesprochenen Ängsten und Enttäuschungen der Personen nach. Zugleich veranschaulicht er die zwischenmenschlichen Beziehungen vor allem zwischen dem verwitweten Vater und seinen beiden erwachsenen Kindern. Ein Sonntag auf dem Lande – Originaltitel: Un dimanche à la campagne – Regie: Bertrand Tavernier – Drehbuch: Colo Tavernier, Bertrand Tavernier, nach dem Roman "Ein Sonntag auf dem Lande" von Pierre Bost – Kamera: Bruno de Keyzer – Schnitt: Armand Psenny – Musik: Gabriel Fauré, Louis Ducreux, Marc Perrone, Philippe Sarde – Darsteller: Louis Ducreux, Michel Aumont, Sabine Azéma, Geneviève Mnich, Monique Chaumette, Thomas Duval, Quentin Ogier, Katia Wostrikoff, Claude Winter, Jean-Roger Milo, Pascale Vignal, Jacques Poitrenaud, Valentine Suard, Erika Faivre, Marc Perrone u.a. – 1984; 90 Minuten Der Pastorensohn Pierre Bost wurde am 5. September 1901 in Lasalle norwestlich von Nîmes geboren und wuchs in Le Havre auf. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg zog er nach Paris. Seine Karriere als Autor begann er als Dramatiker: 1923 wurde seine Komödie "L'imbécile" im Théâtre du Vieux-Colombier in Paris uraufgeführt. Pierre Bost schrieb Bühnenstücke, Romane, Drehbücher und Zeitungsartikel, er arbeitete einige Zeit als Lektor bei Gallimard und als Chefredakteur der Zeitschrift "Marianne". "Ein Sonntag auf dem Lande" war sein letzter Roman. Das Buch erschien im Oktober 1945. Pierre Bost starb am 6. Dezember 1975 in Paris. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013 |