Paule Constant: Ouregano (Roman) |
Paule Constant: Ouregano |
Inhaltsangabe: Verkommenes Land, verdammte Sauerei! Mamadou hebt sich im Eingang ab, ein Schatten streckt sich über den Boden der Werkstatt, eine Schulter lehnt sich an die Tür, ein trunkenes Lächeln. Er wird nicht Entschuldigung Chef sagen, einfach so eine Idee, nicht Entschuldigung Chef zu sagen, mal sehen, was passiert. Sag mal, willst du mich verarschen? Weißt du, wie spät es ist? Wo warst du, du Saukerl? Sag Entschuldigung Chef, Mamadou, Chef Entschuldigung, so ist's recht, Chef Entschuldigung, das ist schon besser. Mamadou öffnet den Mund, er sieht Beretti gerade ins Gesicht. Beretti schnappt sich einen Schraubenschlüssel, den größten, und Mamadou bekommt ihn an der Schläfe ab, er fällt hin, er ist tot, das ist überraschend, dumm. (Seite 10) Nachdem er den Schwarzen getötet hat, schließt Louis Beretti vorsorglich seine Werkstatt und setzt sich ins Landesinnere ab, nach Ouregano. Da er nicht nur Auto fahren und Motoren reparieren, sondern auch Blech schmieden und elektrische Leitungen verlegen kann, wird er schon wieder Arbeit finden. Er hofft nur, dass niemand annimmt, er habe etwas Schlimmeres getan, als einen Neger zu erschlagen. In Ouregano stellt er sich bei Monsieur Alexandrou vor, einem Schwarzen, dem der einzige Laden am Ort gehört und der zugleich für die gesamte Versorgung und den Maschinenpark der Bezirksverwaltung, das Schulmaterial sowie die Arzneimittelbestellungen des Krankenhauses zuständig ist. Monsieur Alexandrou stellt Beretti ein. [...] er hatte Lust, einen Weißen herumzukommandieren, ihn anzubrüllen, herumzuschreien [...] Er wollte sehen, wie so ein Weißer spurte, wenn er, Alexandrou, brüllen würde. Und außerdem hatte er auch Lust, einen Weißen zu lieben, nett zu ihm zu sein, er wollte der Komplize eines Menschen dieser Rasse sein. (Seite 16) An der Spitze der Gesellschaft in Ouregano stehen der Statthalter Dubois und seine Frau sowie der Richter Jean Bonenfant und dessen Frau Marie. Ihre Häuser befinden sich auf Hügeln außerhalb des Dorfes inmitten großer Plantagen. Michel und Mathilde Murano werden in diesen Kreis aufgenommen, nicht aber das Schulleiterehepaar, der schwarze Arzt N'Diop, der das Krankenhaus monatelang allein geleitet hatte oder gar die Gendarmen. Allabendlich lädt eines der drei Ehepaare die anderen beiden zum Essen ein – was sie nicht daran hindert, heimlich übereinander herzuziehen. Sonn- und Feiertags sehen sie sich in der Kirche der holländischen Mission am Ortsrand. Marie Bonenfant geht jedes Mal zur Kommunion und tut dabei, als werde sie von mystischen Wonnen überwältigt. Das ist doch nicht zu fassen, sagte Madame Dubois zum Statthalter, am Ende wird das noch zu Madame Bonenfants Privatmesse! (Seite 76) In Ouregana gibt es zwar einen Markt, aber dort kaufen nur die Schwarzen ein.
Die Damen gingen nie auf den kleinen Markt, was hätten sie dort auch gefunden? Das Elend brachte hier allen Unrat aus dem Bauch der Erde zutage: Packen schmuddeliger Salatblätter, Büschel Gras, verendete Küken, halb von Ameisen abgenagte Vögel, bläuliche Haufen Schafsaugen, wie graue Fäden aussehende Schweineschwänze, auf eine Schnur aufgefädelte Wespen [...] (Seite 32)
Monsieur Alexandrou ist auch für die Fleischversorgung zuständig. Einmal in der Woche wird "ein langes, hochbeiniges, abgezehrtes Zebu" mit heftigen Stockhieben in seinen Hof getrieben. Tiffany beobachtet, wie mehrere Männer das Tier zu Boden werfen und wie dessen Körper bebt. Der mit einem einzigen Schnitt durchtrennte Hals erbricht Blut. Die Männer holen Schüsseln und fangen an, das Tier auszuweiden und zu zerlegen. Filet für den Statthalter und den Richter, eine Schüssel für das Krankenhaus, eine für die Missionsstation; Herz, Lungen und Knochen für die dreihundert Leprakranken. Hin und wieder lässt Monsieur Alexandrou außer dem Zebu zwei Schafe schlachten. Dann bekommen der Statthalter und der Richter zusätzlich zum Zebu-Filet die Keulen, und der ausgeweidete Schafskopf wird in die Schüssel für die Leprakranken geworfen. Nach dem Schlachten fährt Beretti das Fleisch mit dem Pick-up aus. Dubois machte keine Inspektionsreisen mehr. Wozu auch? Sie sagten einem das eine und verlangten etwas anderes. Immer die gleiche Leier: Nahrung, Medikamente. Man war schließlich nicht der liebe Gott! Man wiederholte gern das chinesische Sprichwort: Wenn du einem Mann einen Fisch gibst, ernährst du ihn einen Tag. Wenn du ihm das Fischen beibringst, ernährst du ihn sein ganzes Leben. Er brachte ihnen nichts bei, tröstete sich aber damit, dass er ihnen nichts gab. (Seite 60)
Tiffany, die Lesen, Schreiben und Rechnen von ihren Großeltern gelernt hat, besucht in Ouregano die von Elise Refons geleitete Mädchenschule. Ein Klassenkamerad, ein namenloser Schwarzer, zu dem die Lehrerin allenfalls "du da hinten" sagt, den Tiffany jedoch "Moïse" nennt, hat ständig irgendwelche kleinen Tiere in seinen Taschen. Einmal zieht er ein beige-schwarz gestreiftes Tier heraus und gibt es Tiffany in die Hand. Sie streichelt das weiche Fell und ist begeistert, will das Tier nicht mehr hergeben. Der Junge überlässt es ihr und wundert sich über das Gehabe, denn das Fleisch dieser Tiere ist minderwertig und er kann im Dschungel andere fangen. Tiffany rechtfertigt ihren Besitzanspruch auf das Tier vor sich selbst damit, dass der Schwarze sich nicht richtig darum kümmern würde. Sie hat das Tier nun immer bei sich, auch als Madame Dubois vorbeikommt. Deren Hündin Brigitte bellt. Da springt das beige-schwarze Tier davon. Tiffany sucht es – und findet es nach einer Weile mit zerquetschem Schädel zuckend am Boden liegen: Jemand muss aus Versehen darauf getreten sein. Er [der Anführer] ließ eine große Wanne auf die Treppe bringen, deren Inhalt zwei Leprakranke ausschütteten. Schmutzigrosa, blutig, zitternd, mit Erde und Fliegen bedecktes Fleisch. Mit einem Stock verteilten sie die ekelhafte, zähe, klebrige Masse auf dem Stein, wie sie es mit ihren Wunden getan hätten, um deren Umfang und Schwere zu zeigen. Erst als Tiffany den Kopf eines Schafs mit weißen Augen, den vor Fett gelben Höcker eines Zebus, einen Huf, ein Horn erkannte, wurde ihr klar, dass es geschlachtetes Fleisch war und nicht ihr eigenes, was die Leprakranken da zur Schau stellten. Sie wollten Fleisch, richtiges Fleisch, nicht das, was Beretti ihnen wieder einmal hingeworfen hatte. (Seite 192f)
Murano befiehlt seinen Boys, alles Essbare aus dem Haus zu den Leprakranken hinauszutragen, aber sie beruhigen sich nicht. Erst als Beretti mit dem LKW kommt und einige Gendarmen von der Ladefläche springen, flüchten die Leprakranken. Mit dem Kopf in einer zu früh gelesenen Geschichte, die ihren Geist erregte, das Herz bei dem zuletzt gestreichelten Tier, die Finger im Fell des Schafes, das man für die Opferung unter einem Vordach angebunden hatte, dachte Tiffany morgens weder an ihre Aufgaben noch an ihr Frühstück, noch an ihre Kleider, die sie nicht wiederfand, noch an ihr Haar, das sie nicht zu frisieren verstand. (Seite 185) Elise Refons, die schwanger nach Ouregano gekommen war, den Embryo jedoch verlor, kann die inzwischen neunjährige Schülerin Tiffany nicht ausstehen, nimmt sie aufs Korn und gibt ihr eine schlechte Schulnote nach der anderen. Doch als Mathilde ihre Tochter fragt, wie es in der Schule gewesen sei, lügt sie, sie habe im Diktat keinen Fehler gemacht und eine Rechenaufgabe als einzige gelöst. Da ist die Mutter stolz – bis sie der Lehrerin im Club begegnet. Elise kam auf Mathilde zu, und Mathilde, die so glücklich war, über Tiffanys Fortschritte sprechen zu können, dazu – noch in der Öffentlichkeit, ging auf Elise zu. Sie trafen sich in der Mitte der Hütte, unter dem Ventilator. Wer würde zuerst sprechen? (Seite 274)
Tiffany läuft fort. Louis Beretti findet sie am Fluss, und sie wird mit dem nächsten Flugzeug eine Woche später in ein Internat nach Frankreich geschickt. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 Textauszüge: © Frankfurter Verlagsanstalt Seitenanfang |