Michèle Desbordes: Die Bitte. Eine Geschichte |
Michèle Desbordes: Die Bitte |
Inhaltsangabe:Der greise italienische Maler-Bildhauer-Architekt-Ingenieur reitet im Frühjahr mit vier seiner Schüler in 73 Tagesetappen über Mailand nach Lyon, wo sie im Auftrag des französischen Königs mit frischen Pferden und einem Wagen abgeholt werden. Er ahnt, dass es seine letzte Reise ist und er nicht mehr nach Italien zurückkehren, sondern in der Fremde sterben wird. Der König versprach ihm fürstlichen Lohn und einen Landsitz mit Dienstboten als Gegenleistung für seine Beratung beim Bau eines Schlosses in Romorantin. [...] er sollte für die Vollkommenheit der Säulen und Kuppeln und der Statuen einstehen, schöner noch als tausend Jahre zuvor die der Gärten Etruriens, sie baten ihn, worum sie nur die Italiener baten, um die Schönheit, und um mehr noch als die Schönheit, um die Gewissheit der Schönheit. Im Tausch für das Haus und den Park und den Bach unten am Hang, im Tausch für ihre Bewunderung und ihr grenzenloses Wohlwollen – und sie waren es, die sich geehrt fühlten, sagten sie – würde er sich Schlösser und Treppen ausdenken, die Fassaden und die Tiefe der Gärten studieren, Gräben, Mühlen, vier an jedem Ende der Stadt, den Verlauf der Flüsse, Verbindungskanäle planen, und wie man mit Schleusen das Niveau des Flusses anheben und die Wassermassen dann ablaufen lassen konnte, er würde Dämme quer durch das Wasser vorsehen und einplanen, dass die Fluten, wo sie über die Dämme stürzten, ihren Bodensatz ablagerten. Der Greis bringt einen Diener aus Italien mit, aber die meisten anfallenden Arbeiten – Wasserholen, Kochen, Putzen, Waschen – werden von Tassine erledigt, einer etwa 40 oder 45 Jahre alten Bediensteten, die hier bereits seit mehr als 20 Jahren beschäftigt ist. Sie berichtet, was man sich in der Stadt erzählt, aber ansonsten redet sie nicht viel. Der Italiener, der in seine Hefte zeichnet und sich Notizen über alles macht, was er über Himmel und Erde erfährt, schweigt ebenfalls die meiste Zeit.
Er betrachtet sie, wie man betrachtet, was man entdeckt, ohne Gefälligkeit oder besondere Gunst. Das zweite Jahr seines Aufenthalts in Frankreich beginnt. Noch einmal kündigte sich der Sommer an, heiß und ohne Regen, mit nackten Füßen in den Schnürstiefeln, die er ihr geschenkt hatte, setzte sie die Böden unter Wasser, ging mit den Eimern über den Hof und schüttete sie auf den Steinplatten aus, lag später vor den Pfützen auf den Knien, schrubbte, schabte, scheuerte, wenn sie schwankend und halb ohnmächtig wieder aufstand, schob sie mit dem Handgelenk eine Strähne zurück, die ihr in die Schläfe gefallen war, oder hielt sich, Gesicht und Hals in einem nicht enden wollenden Luftholen nach hinten geworfen, mit beiden Händen das Kreuz, ging im nächsten Moment die Eimer wieder füllen [...]
Weil es mit den Bauarbeiten nicht vorangeht und die Handwerker sich auch nicht an die Pläne halten, reitet der Maler-Bildhauer-Architekt-Ingenieur mit seinen Schülern nach Romorantin hinüber, um nach dem Rechten zu sehen. Die Magd bleibt mit dem italienischen Diener auf dem Landsitz.
Erschöpft, wie sie war, sei es nicht unmöglich, dass sie als erste gehen würde, sie sage das nicht, um sich zu beklagen oder weil sie ihn hätte verpflichten wollen, sie sei nicht unglücklich hier, und sie habe in dieser Hinsicht nichts zu beklagen, aber nichts sei mehr so wie früher, es sei nötig, dass er das wisse, abends, wenn sie schlafen gehe, und morgens, wenn sie aufstehe, spüre sie zugleich mit der Erschöpfung einen Schmerz in der Brust und die Beine trügen sie nicht mehr, ehrlich gesagt, sehe sie den Moment kommen, wo sie ihm nicht mehr würde dienen können, es falle ihr schwer, so zu reden, sich zu sagen, dass sie ihn enttäuschen würde, sie hoffe, er würde verstehen. Sie weiß, dass er auch Sterbende und sezierte Leichen zeichnet, einige Male auch Frauen, in deren aufgeschnittenem Bauch noch ein ungeborenes Kind liegt. Deshalb äußert sie die Bitte, er möge nach ihrem Tod über ihren Körper verfügen. Sie gab ihren Körper, bot ihn an, ein letztes Mal würde er studieren, wie eine Frau gemacht war [...]
Nachdem sie die ungewöhnliche Bitte vorgebracht hat, reden sie nicht mehr darüber. |
Buchbesprechung:
Leonardo da Vinci lebte von 1516 bis zu seinem Tod am 2. Mai 1519 im Landschloss Cloux (heute: Clos-Lucé) bei Amboise in Frankreich. Obwohl Michèle Desbordes in dem Kurzroman "Die Bitte" nie den Namen des Protagonisten nennt, den sie als Maler-Bildhauer-Architekt-Ingenieur bezeichnet, ist doch anzunehmen, dass sie dabei an das italienische Genie dachte. Den Namen der
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
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