Saskia Fischer: Ostergewitter (Roman) |
Saskia Fischer: Ostergewitter |
Inhaltsangabe:
Am Ostersonntag besucht die Doktorandin Aleit mit ihrem Lebensgefährten, dem Grafiker Christian, und ihrer fünfjährigen Tochter Amina die Mutter und den Stiefvater, den sie nur "Feindtling" nennt. Auf dem Sofa liegend kommt sie zu sich und erfährt, dass sie am Tisch einen epileptischen Anfall hatte. Ihre Mutter meint, das sei auf das genetische Material der Familie von Aleits Vater Michael zurückzuführen. Sobald Aleit sich einigermaßen erholt hat, wollen sie und Christian mit Amina vorzeitig nach Hause fahren, aber im Auto erleidet Aleit einen weiteren Anfall, und sie übernachten deshalb bei Aleits Mutter und Feindtling. Ich reiße die Tür auf, Amina sitzt in Feindtlings Bett, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die nackten Beine ausgestreckt im rechten Winkel über denen Feindtlings, der unter einer Wolldecke liegt, seine Hände sind im Nacken verschränkt, auf ihrem Schoß ein aufgeklappter, bunter Laptop, ein Kinderlerncomputer; das Außenrollo ist zur Hälfte heruntergelassen, die Innenjalousie ganz unten, die Lamellen, ohnehin schwarz, auf Dunkel gekippt; Amina lachend, das hat mir Opa geschenkt, sagt sie, aus dem Romalager; im Fernsehen wackeln Frauen mit ihren Brüsten und Popacken, lediglich stringtangabekleidet [...] eine erste Anbahnung ist das, ein Austesten, was geht hier vor!, brülle ich in Feindtlings Richtung, und Amina zuckt zusammen, klemmt den Kopf zwischen ihre kleinen Schultern und fängt zu weinen an [...]
Aleit reist sofort mit Amina ab. Obwohl es wegen des Risikos, einen erneuten Anfall zu erleiden, nicht ungefährlich ist, fährt sie zu Rikje, um Christian dort abzuholen. Emotionalen Stress vermeiden, sagt er, in jedem Fall Alkohol und Schlafmangel, Überkopfarbeiten in der Höhe, Blitzlicht und Stroboskopeffekte, Bildschirmtätigkeit einschränken. Ruhen Sie sich in jeder Hinsicht aus. Ach so, absolutes Fahrverbot. Brauchen Sie ein Attest?
Durch die aktuellen Erlebnisse aufgewühlt, wird Aleit von ihren Erinnerungen heimgesucht. Als ich, sechs Wochen alt, aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war ich bereits gewöhnt an Mutterlosigkeit und streng durchrhythmisierte Wach- und Schlafzeiten, im Sinne dieser heruntergebrochenen Logik perfekt vorbereitet auf die Krippe.
Aleit war noch ein Kind, als die Eltern sich scheiden ließen. Ihr Vater Michael galt in der DDR wegen seiner Kirchennähe als Außenseiter, sein Sohn aus zweiter Ehe lehrt inzwischen evangelische Theologie, und dessen Schwester wurde Organistin und Kantorin. [...] als ich noch mit Mutter allein lebte, versuchte sie, wenn sie es abends eilig hatte, um zurück zu ihren Gästen ins Wohnzimmer zu kommen oder auszugehen, mir die Gutenachtgeschichte schlecht zu machen, indem sie sie auf fünfzehn Sekunden verkürzte und verhunzte; der Wolf sagte sie, geht heute zum Bockwurststand, statt wieder so lang nach den Geißlein zu suchen; ich protestierte, aber der Bus oder das hupende Auto, die durstigen Freunde, alles zog stärker an ihr als mein Dackelblick.
Als die Mutter mit einem Koch zusammenlebte, wurde Aleit gezwungen, Rinderleber und -hirn zu essen, obwohl sie sich davor ekelte. Bei den Großeltern brauchte sie das nicht. Da bestand auch ihre Mutter nicht darauf, sondern fügte sich den Anordnungen ihrer Eltern. Als der Koch sich immer häufiger betrank [Alkoholkrankheit] und das Kind verprügelte, drohte Oma Frieda, es dem Jugendamt zu melden und der Mutter das Sorgerecht entziehen zu lassen. Daraufhin trennte diese sich von dem Kerl. Schon vor dem Ausreisegesuch lief nichts mehr zwischen ihnen [Mutter und Feindtling]. Feindtling ging mit der Nachbarin aus dem ersten und dem dritten Stock fremd, je nachdem, wer gerade Zeit hatte. Ich hatte den Auftrag, ihm auf Strümpfen zu folgen. Mutter ging nie fremd, aber nachts mit einem langen Küchenmesser auf ihn los. Sie schrie wie am Spieß.
Ein Stasi-Oberst machte ihr klar, dass Rikje nicht mit ihr ausreisen dürfe, sondern beim Vater bleiben müsse. Daraufhin zog die Mutter den Ausreiseantrag zurück. Ein Jahr später stellten sie und ihr Mann erneut einen, diesmal gemeinsam. Ich wusste nie, was ich werden wollte, ein Medizinstudium kam nicht in Frage; Mutter, Großmutter, zwei Tanten, allesamt Krankenschwestern, ich hätte als Ärztin hierarchisch und vor allem finanziell über ihnen gestanden, vor allem über Mutter, was sie nicht mit Stolz erfüllt hätte, sondern mit Neid.
Nach der Schule jobbte Aleit erst einmal 40 Wochen lang als Aushilfe in der Schokoladenfabrik. Zwischendurch ging sie zu einem Vorsprechen, aber man sagte ihr, sie sei als Schauspielerin ungeeignet, das Körpergefühl fehle ihr, und einer der Herren meinte geradewegs, die sei frigid. Schließlich zog sie in eine andere Stadt und studierte Geschichte. Ich glaub es nicht, schreit sie wieder, du hast ja wirklich alles genau durchdacht und geplant, ich dachte, du wärst verrückt geworden, die totale neuronale Katastrophe, anstaltsreif sozusagen, aber nein, du bist auf nichts als Rache aus, du, mit deiner schlimmen Kindheit, dem ganzen eingebildeten Zeug, den Schlägen und Vergewaltigungen, weißt du, du gehörst einfach nicht zur Familie, das hast du noch nie, niemand aus meiner Familie würde so etwas jemals tun, du bist und bleibst von diesem Michael-Schlag, also verschwinde dorthin zurück.
Als Christian erzählt, er sei mit Amina, ihrer Freundin Emilia und deren Mutter Kathleen im Tierpark und in einer Pizzeria gewesen, mutmaßt Aleit, dass er sie mit Kathleen betrügt. Vielleicht übernachtete nicht nur Amina bei Emilia und Kathleen. |
Buchbesprechung:
Der Titel "Ostergewitter" bezieht sich auf epileptische Anfälle der Ich-Erzählerin während eines Osterbesuchs bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater. Aleit lässt sich am Dienstag nach Ostern medizinisch untersuchen und wird nach einem weiteren Anfall am nächsten Tag ins Krankenhaus gebracht. Das verlässt sie am vierten Tag auf eigenes Risiko. Die Rahmenhandlung umspannt also den Zeitraum vom Ostersonntag bis zum folgenden Sonntag, und die Kapitel sind mit den Namen der einzelnen Wochentage überschrieben. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012 |