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Dieter Wunderlich:
Buch- und Filmtipps

Hintergrundinformationen zu Buch- und Filmtipps von Dieter Wunderlich

 
   
 

Joseph Goebbels
im "Tempel des Materialismus"

Auszug aus dem Buch "Göring und Goebbels. Eine Doppelbiografie" von Dieter Wunderlich
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002


 


Else Janke bemüht sich um eine Anstellung für ihren Geliebten, und tatsächlich bringt einer ihrer Verwandten den promovierten Germanisten als Depotbuchhalter bei einer Kölner Bankfiliale unter. Verzweifelt versucht Goebbels, eine Alternative zu finden, aber es gelingt ihm nicht: Er muss am 2. Januar 1923 die Arbeit aufnehmen. Bis er ein Zimmer in Köln gefunden hat, fährt er jeden Morgen mit dem Zug um 5.30 Uhr. Abends wartet Else am Bahnsteig in Rheydt auf ihn. "Gehalt gleich Null", klagt Goebbels. Er bleibt auf Geldanweisungen seines Vaters und Lebensmittelpakete seiner Mutter angewiesen.

Von den Vermögen der Vorkriegszeit ist 1923 nicht mehr viel übrig: Ein Bankguthaben aus dem Jahre 1914 ist auf weniger als ein Promille des ursprünglichen Wertes geschrumpft. Im Januar 1923 müssen für einen US-Dollar 10 000 Papiermark gezahlt werden, im Mai 50 000, im August 4,6 Millionen, im Oktober 25 Milliarden, und im Dezember bis zu 12 Billionen. Dieter Wunderlich: Göring und Goebbels © Verlag F. Pustet 2002 Goebbels erlebt, wie Rentner durch die Inflation ihre Ersparnisse einbüßen, während Spekulanten davon profitieren. Als Angestellte der Bank ihren Wissensvorsprung über einen Kurssprung der Aktien des eigenen Hauses nutzen, um einem nichts ahnenden Aktionär rasch noch Papiere zum alten Preis abzukaufen, stellt Goebbels einen von ihnen zur Rede: "Eine ganz gemeine, lumpige Betrügerei" sei das. Aber der Kollege hat nur "ein mitleidiges Achselzucken" für ihn übrig. "Die heilige Spekulation", kommentiert Goebbels sarkastisch.

Er bekennt sich als "deutscher Kommunist" und empfindet die Tätigkeit im "Tempel des Materialismus" als Verrat an seinen sozialistischen Idealen. Geld – an dem es ihm ständig fehlt – beginnt er zu verabscheuen: "Wer viel mit Geld umgeht, besudelt sich [...] Zum Teufel mit dem dreimal verfluchten Geld! Mit ihm kommt alles Übel der Welt. Es ist, als wäre der Mammon die Verlebendigung des Bösen im Prinzip der Welt. Ich hasse das Geld aus dem tiefsten Grund meiner Seele."

[...]

Ein halbes Jahr hält es Goebbels in der Bank aus. Zwischendurch denkt er wieder an Selbstmord. "Krank an Körper und Geist" sucht er zwei Ärzte auf. Sie weigern sich, ihm Arbeitsunfähigkeit zu attestieren. Erst in der dritten Praxis erhält er eine entsprechende Bescheinigung. Die Schulferien verbringt er mit Else auf Baltrum. Er tut so, als habe er Urlaub. Im Liegestuhl erfährt er aus einem Brief, dass sein Freund Richard Flisges, der das Studium abgebrochen hatte, bei einem Grubenunglück in einem bayrischen Bergwerk ums Leben gekommen ist. Da fühlt er sich plötzlich "allein auf der Welt", obwohl Else bei ihm ist. "Ich bin krank und werde kränker", klagt er und steigert sich in eine Verzweiflung über die Inflation, den Ruhrkampf und das "Parteiengezänk" hinein. Niedergeschlagen packt er die Koffer. Else weint, aber sie begleitet ihn auf der vorzeitigen Rückreise.

Im September kündigt ihm die Bank. Er wagt nicht, es seinen Eltern mitzuteilen und schreibt ihnen aus Köln, er sei krank. Erst nach vier Wochen fährt er heim.

© Dieter Wunderlich
Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002
ISBN 3-7917-1787-1, 269 S., 23 Abb., 24.90 €

Fußnoten wurden in der Leseprobe weggelassen. Zitate:
Ralf Georg Reuth (Hg.): Joseph Goebbels. Tagebücher. 5 Bände, 1999, S. 83 / 84 / 85
Joseph Goebbels: Aus meinem Tagebuch, 1923
Ralf Georg Reuth: Goebbels. Eine Biographie, 1995, S. 60

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