Friedrich Hebbel: Maria Magdalena. Ein bürgerliches Trauerspiel in drei Akten |
Friedrich Hebbel: Maria Magdalena |
Inhaltsangabe:1. Akt
Klaras Mutter Therese ist gerade erst von einer schweren Krankheit genesen. Ihr Bruder Karl, der an diesem Morgen eine goldene Kette trägt, die Klara noch nicht kennt, möchte von der Mutter einen Gulden leihen, und als diese ihm das Geld verweigert, beschwert er sich darüber, dass sie alles für Klaras Hochzeitskleid spart. Er gilt als schwarzes Schaf in der Familie.
Klara: Ach!
Da Leonhard nicht mehr arbeitslos ist, sondern gerade eine Stelle als Kassierer bekommen hat, rechnet er mit der Einwilligung ihres Vaters. Klara wundert sich darüber, dass er die Stelle bekam, denn sie weiß von dem Mitbewerber Herrmann. Den hatten Kumpane Leonhards jedoch vor dem entscheidenden Gespräch mit dem Bürgermeister betrunken gemacht. Klara ist entsetzt, dass sie durch ihre Schwangerschaft an so einen gewissenlosen Mann gekettet ist. Ja, wir Alten sind dem Tod vielen Dank schuldig, dass er uns noch so lange unter euch Jungen herumlaufen lässt, und uns Gelegenheit gibt, uns zu bilden. Früher glaubte die dumme Welt, der Vater sei dazu da, um den Sohn zu erziehen. Umgekehrt, der Sohn soll dem Vater die letzte Politur geben, damit der arme einfältige Mann sich im Grabe nicht vor den Würmern zu schämen braucht. Gottlob, ich habe in meinem Karl einen braven Lehrer, der rücksichtslos und ohne das alte Kind durch Nachsicht zu verzärteln gegen meine Vorurteile zu Felde zieht [...] Erstlich hat er mir gezeigt, dass man sein Wort nicht zu halten braucht, zweitens, dass es überflüssig ist, in die Kirche zu gehen. (Seite 286)
Leonhard interessiert sich mehr für die 1000 Taler, die der Tischlermeister besitzen soll. Die möchte er als Mitgift, doch er weiß, dass der Tischler sie vor längerer Zeit dem Apotheker lieh und warnt ihn vor dessen Überschuldung. Damit will er Meister Anton dazu bewegen, sich das Geld zurückzuholen. Der klärt ihn darüber auf, dass er die 1000 Taler zwar vom Apotheker längst zurückbekam, aber das Geld später einem früheren Wohltäter schenkte: dem inzwischen verstorbenen Meister Gebhard. Adam: So hör Er! Sein Sohn hat Juwelen gestohlen. Den Dieb haben wir schon. Nun wollen wir Haussuchung halten! (Seite 295)
Der Schock tötet Klaras Mutter Therese auf der Stelle.
Ich als Kassierer – dein Bruder – Dieb – sehr leid – aber ich kann nicht umhin, aus Rücksicht auf mein Amt – – (Seite 309) 2. Akt Meister Anton fällt auf, dass seine Tochter nichts isst. Wer keinen Appetit hat, der hat kein gutes Gewissen! [...] Geh zum Teufel mit deiner blassen Leidensmiene, die du der Mutter des Heilands gestohlen hast! Rot soll man aussehen, wenn man jung ist! (Seite 297) Obwohl Klara ihn darauf hinweist, dass Karls Schuld noch nicht bewiesen ist, rechnet er mit einer zehnjährigen Zuchthausstrafe für seinen Sohn und überlegt, was er tun wird, wenn Karl nach deren Verbüßung mit geschorenem Kopf nach Hause kommt. Er setzt nun alle Erwartungen auf Klara und droht, sich das Leben zu nehmen, falls auch Klara ihm Schande machen würde. Dein Bruder ist der schlechteste Sohn, werde du die beste Tochter! [...] Werde du ein Weib, wie deine Mutter war, dann wird man sprechen: An den Eltern hats nicht gelegen, dass der Bube abseits ging, denn die Tochter wandelt den rechten Weg und ist allen anderen vorauf. (Seite 299)
Wegen der Verantwortung, die sie nun zu tragen hat, ist Klara verzweifelt.
Sekretär: So liebt du ihn? Dann – Nachdem Klara ihm ihre Liebe gestanden hat, drängt der Sekretär sie, ihn zu heiraten, aber sie glaubt, die Ehe mit Leonhard sei ihr einziger Ausweg. Friedrich entschließt sich, den Verführer zum Duell zu fordern. 3. Akt Klara sucht Leonhard auf und bittet ihn, seine Absage von vor acht Tagen zurückzunehmen: Mein Vater schneidet sich die Kehle ab, wenn ich – heirate mich! (Seite 312) Leonhard fordert sie auf, ihm Liebe zu schwören, aber das kann sie nicht: Nein, das kann ich nicht schwören! Aber dies kann ich schwören: ob ich dich liebe, ob ich dich nicht liebe, nie sollst dus erfahren! Ich will dir dienen, ich will für dich arbeiten und zu essen sollst du mir nichts geben, ich will mich selbst ernähren, ich will bei Nachtzeit nähen und spinnen für andere Leute, ich will hungern, wenn ich nichts zu tun habe [...] Wenn du mich schlägst [...], so will ich eher meine Zunge verschlucken als ein Geschrei ausstoßen, das den Nachbarn verraten könnte, was vorfällt [...] Heirate mich – ich lebe nicht lange. Und wenns dir doch zu lange dauert und du die Kosten der Scheidung nicht aufwenden magst, um von mir loszukommen, so kauf Gift aus der Apotheke und stells hin, als obs für deine Ratten wäre, ich wills, ohne dass du auch nur zu winken brauchst, nehmen und im Sterben zu den Nachbarn sagen, ich hätts für zerstoßenen Zucker gehalten! (Seite 313) Leonhard erklärt seiner verzweifelten Besucherin, inzwischen sei die Tochter des Bürgermeisters seine Braut. Und er warnt sie:
Leonhard: Du kannst gottlob nicht Selbstmörderin werden, ohne zugleich Kindsmörderin zu werden!
Sobald Klara gegangen ist, schwankt Leonhard, ob er ihr nicht doch folgen und sich mit ihr versöhnen sollte. In diesem Augenblick tritt der Sekretär ein und fordert ihn zum Pistolenduell. Aus Angst erklärt Leonhard sich sofort bereit, Klara zu heiraten, aber das will Friedrich nicht zulassen. Er zwingt Leonhard, ihn zu begleiten.
Klara: Und du willst den Vater allein lassen? Er ist sechzig Jahr!
Karl fordert seine Schwester auf, ihm ein Glas Wasser zu holen und warnt sie vor einem losen Brett am Brunnen. Karl: Klara! Tot! Der Kopf grässlich am Brunnenrand zerschmettert, als sie – Vater, sie ist nicht hineingestürzt, sie ist hineingesprungen, eine Magd hats gesehen! (Seite 325) "Ich verstehe die Welt nicht mehr!", klagt Meister Anton. |
Buchbesprechung:
Friedrich Hebbel setzt sich in dem bürgerlichen Trauerspiel "Maria Magdalena" nicht mit der Frage auseinander, ob es eine Schande ist, wenn eine unverheiratete Frau ein Kind erwartet. (Das wird in Deutschland erst seit wenigen Jahren nicht mehr so gesehen.) Stattdessen wirft er den Bürgern Heuchelei vor, weil es ihnen mehr um das Gerede der anderen Leute als um moralisches Verhalten geht. Nicht aufgrund von moralischen Überzeugungen unterlässt man eine anstößige Handlung, sondern aus Angst vor dem Getuschel der Nachbarn. Und bei einem Fehltritt kommt es darauf an, dass niemand etwas davon erfährt. Mit dem Stück "Maria Magdalena" zeigt Friedrich Hebbel, wie das starre, inhumane, verständnislose Festhalten an Moralvorstellungen in einer Katastrophe endet. Meine größte Pein war, dass ich so ungeschickt blieb, ich konnte darüber mit mir selbst hadern, als obs meine eigene Schuld wäre, als ob ich mich im Mutterleibe nur mit Fresszähnen versehen, und alle nützliche Eigenschaften und Fertigkeiten wie absichtlich darin zurückgelassen hätte, ich konnte rot werden, wenn mich die Sonne beschien. (Seite 290)
"Maria Magdalena" gilt als eines der charakteristischen Stücke des Poetischen Realismus und letztes bürgerliches Trauerspiel in Deutschland, eines Genres, das durch das naturalistische Sozialdrama abgelöst wurde. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Friedrich Hebbel: Agnes Bernauer |