Joseph Heller: Catch 22 (Roman) |
Kritik: Statt eine durchgängige Handlung zu entwickeln, reiht Joseph Heller in "Catch 22" groteske Episoden und Anekdoten aneinander. Dabei überzeichnet er die Figuren und Situationen karikaturhaft. ![]() |
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Joseph Heller: |
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Inhalt: Der amerikanische Bomberschütze Captain Yossarián ist im Zweiten Weltkrieg auf der Mittelmeerinsel Pianosa stationiert. Mehrmals versucht er, sich vor weiteren Feindflügen ins Lazarett zu verdrücken. Der Militärarzt könnte ihn wegen Wahnsinns fluguntauglich schreiben, doch mit einem entsprechenden Antrag würde Yossarián nur beweisen, dass er nicht verrückt ist, denn angesichts der realen Gefahr ist die Sorge um die eigene Sicherheit durchaus vernünftig. Eine Zwickmühle! ![]() |
Originalausgabe: Catch 22 |
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Joseph Heller: Catch 22 |
Inhaltsangabe:"Männer", redete Colonel Cargill Yossariáns Staffel an und bemaß sorgfältig seine Pausen. "Männer, ihr seid amerikanische Offiziere. Das können die Offiziere keiner anderen Armee der Welt von sich behaupten. Denkt mal darüber nach." (Seite 33)
Der amerikanische Bomberschütze Captain John Yossarián ist im Zweiten Weltkrieg auf der (fiktiven) Mittelmeerinsel Pianosa stationiert. Von hier aus fliegt die amerikanische Luftwaffe Angriffe gegen die Deutschen in Italien und Südfrankreich. General Dreedle, der die Truppen Westliches Mittelmeer befehligt, ist ebenso wie der Geschwaderkommandant Colonel Cathcart auf Pianosa vor allem an Bombenteppichen interessiert, die sich auf den Luftaufnahmen gut machen. "Soll das heißen, ich kann nicht erschießen, wen ich will?" (Seite 269) Weil Colonel Cathcart unbedingt in einem Magazin erwähnt werden möchte, erhöht er ständig die Zahl der Feindflüge, die jemand absolviert haben muss, bevor er abgelöst und nach Hause geschickt wird: Seine Männer sollen mehr Feindflüge durchführen als die der anderen Geschwader.
Colonel Cathcart war ein aalglatter, erfolgreicher, liederlicher, unglücklicher Mensch von sechsunddreißig Jahren, der beim Gehen watschelte und gerne General sein wollte. (Seite 227)
Wenn Hungry Joe die erforderliche Anzahl von Feindflügen erreicht hat, um nach Hause geschickt zu werden, bricht er unter der nervlichen Belastung des Wartens auf den Marschbefehl jedes Mal zusammen und ist froh, wenn Colonel Cathcart die Zahl der Flüge hinaufsetzt.
"Wollen Sie sagen, Unteroffiziere und Mannschaften beten zu dem gleichen Gott wie wir?"
Auf Tappmans Frage, was die Atheisten während der Gebete tun sollen, meint Cathcart, es könne doch gar keine Atheisten in seiner Einheit geben, denn Atheismus sei gesetzlich verboten. Verblüfft nimmt er zur Kenntnis, dass es nicht so ist. Sogar beim Gehilfen des Kaplans, Corporal Whitcomb, handelt es sich um einen Atheisten, der übrigens überzeugt ist, er könne das geistliche Amt besser ausüben als Tappman. Im Lazarett verschwand man nicht einfach auf geisterhafte Weise in einer Wolke, wie Clevinger das getan hatte. Man verspritzte sich nicht als blutiges Geklumpe in die Gegend. Man ertrank nicht, wurde nicht vom Blitz getroffen, von Maschinen zermalmt oder unter Lawinen begraben. Man wurde nicht bei Raubüberfällen erschossen, von Sexualverbrechern erwürgt, in Kneipen erstochen, mit einer Axt von den Eltern oder Kindern erschlagen oder durch einen anderen göttlichen Gewaltakt vom Leben zum Tode befördert. Niemand erstickte. Man starb vornehm auf dem Operationstisch oder hauchte kommentarlos unter einem Sauerstoffzelt seinen Geist aus [...] Es gab keine Hungersnot und kein Hochwasser. Kinder erstickten nicht in Wiegen oder Kühlschränken, sie fielen auch nicht von Lastwagen. Niemand wurde zu Tode geprügelt. Man steckte den Kopf nicht in den Gasherd, warf sich nicht vor die U-Bahn und kam auch nicht wie ein Bleiklumpen schschsch mit einer Beschleunigung von sechzehn Fuß pro Sekunde aus dem Hotelfenster gestürzt, um mit gräßlichem Platsch auf dem Bürgersteig zu landen und vor aller Augen einen widerwärtigen Tod zu sterben, wie ein mit haarigem Erdbeereis gefüllter Baumwollsack, blutend und mit abgespreizten, rosigen Zehen. (Seite 201) Als Yossarián über seine Lage klagt, weist Doc Daneeka ihn zurecht: "Du glaubst wohl, es ginge dir schlecht?", tadelte Doc Daneeka jammernd. "Was soll ich da erst sagen? Acht Jahre lang habe ich auf Arzt studiert und mich dabei von Erdnüssen ernährt. Dann habe ich in meiner eigenen Praxis Hühnerfutter gegessen, bis die Unkosten herauskamen. Und als der Laden endlich anfing, Gewinn abzuwerfen, da hat man mich eingezogen." (Seite 34) Der Arzt, der eine Praxis auf Staten Island hatte, erzählt Yossarián, er habe sich selbst gemustert und für den Militärdienst untauglich befunden, sei damit jedoch bei der Musterungskommission nicht durchgekommen: "Ich hatte mich sehr eingehend untersucht und war zu dem Ergebnis gelangt, dass ich dienstuntauglich sei. Nun hätte man denken sollen, dass meine eigene Beurteilung hinreichte, denn schließlich war ich bei meiner Ärztekammer gut angeschrieben und hatte die besten Beziehungen zur örtlichen Industrie- und Handelskammer, aber nein, das war nicht genug, man schickte mir diesen Kerl ins Haus, der sich davon überzeugen sollte, dass eines meiner Beine an der Hüfte amputiert und ich mit unheilbarer Arthritis hoffnungslos bettlägerig war. Yossarián, wir leben in einem Zeitalter des Misstrauens und des fortgesetzten Verschleißes aller geistigen Werte. Es ist schrecklich", klagte Doc Daneeka, und seine Stimme bebte gefühlig. "Es steht schlimm um uns, wenn das Wort eines approbierten Arztes von den Behörden des von ihm so heißgeliebten Vaterlandes angezweifelt wird." (Seite 49)
Ob der Arzt Verrückte fluguntauglich schreiben könne, fragt Yossarián und hofft, auf diese Weise nach Hause geschickt zu werden. Daneeka hält alle Soldaten für verrückt, die ohne weiteres gefährliche Einsätze fliegen, doch aufgrund einer Dienstanweisung kann er jemand nicht aus eigener Initiative, sondern nur auf Antrag fluguntauglich schreiben. Beantragt allerdings ein Soldat, für verrückt erklärt zu werden, um keine weiteren Feindeinsätze fliegen zu müssen, beweist er damit, dass er nicht verrückt ist, denn angesichts einer realen, unmittelbaren Gefahr ist die Sorge um die eigene Sicherheit durchaus vernünftig. Eine Zwickmühle! (Seite 55). Geehrte Frau, Herr, Fräulein, oder Herr und Frau Daneeka: Worte können nicht den tiefen persönlichen Schmerz ausdrücken, den ich empfand, als ihr Gatte, Sohn, Vater oder Bruder gefallen, verwundet oder vermisst gemeldet wurde. (Seite 419)
Eine Woche lang trauert Mrs Daneeka um ihren Mann, dann erhält sie einen Feldpostbrief von ihm. Er sei gar nicht tot, beteuert er, es handele sich um einen Irrtum. Mrs Daneeka unterrichtet das Kriegsministerium darüber. Im Antwortschreiben warnt man sie vor einem sadistischen Brieffälscher, und der Brief an ihren Mann kommt mit dem Stempel "gefallen" zurück. Während es für Daneeka keine PX-Rationen mehr gibt, erhält seine Frau die Lebensversicherungen ausbezahlt und eine Rente. Obwohl sie daraufhin von den Männern ihrer Freundinnen umworben wird, zieht sie mit den Kindern nach Lansing, Michigan, und teilt niemandem die neue Adresse mit.
"Jetzt machen wir wirklich Fortschritte. Haben Sie jemals gute sexuelle Träume?"
Bei einem Einsatz über Avignon wird Yossariáns siebzehnjähriger Kamerad Snowden von Flaksplittern getroffen. Yossarián kriecht zu ihm in den engen Tunnel über dem Bombenschacht. Zunächst sieht er nur eine klaffende Wunde am Bein, aber als er die Fliegerjacke des Verletzten aufreißt, quellen die Eingeweide heraus. Gegen die entsetzlichen Schmerzen kann Yossarián dem Sterbenden nur zwei Aspirintabletten geben, denn das Morphium hat offenbar Leutnant Minderbinder aus der Bordapotheke gestohlen, um es zu verkaufen. "Weil mich meine Küchen dann nicht mehr brauchen würden. Siebencenteier für sieben Cent das Stück einkaufen kann jeder." (Seite 280)
Minderbinder ist Bürgermeister in Palermo sowie in den benachbarten Ortschaften Carini, Monreale, Bagheria, Termini Imerese, Cafali, Mistretta und Nicosia, Generalgouverneur auf Malta, Kalif von Bagdad, Imam von Damaskus und Scheich aller Araber. Die Militärmaschinen und –lastwagen, mit denen Milo Minderbinder die Handelsgüter transportiert, tragen die Aufschrift "M & M Feinste Kolonialwaren und Delikatessen".
"Und was soll ich stattdessen den ganzen Tag tun?" (Seite 435)
Eines Tages sackt McWatt mit seiner Maschine so weit durch, dass Kid Sampson von einem der Propeller in zwei Hälften zerschnitten wird. Nach diesem bedauerlichen Vorfall grüßt McWatt seine Kameraden am Boden durch ein Wippen der Tragflächen und rast gegen einen Berg, wo das Flugzeug zerschellt.
"Jawohl, Sir. Ich habe eine solche Bemerkung gemacht. Ich tat das, weil es der Wahrheit entspricht. Atheismus ist nicht gesetzwidrig."
Leutnant Schittkopp, der mit seinen Männern unentwegt für einen Exerzierwettbewerb trainiert und sogar seiner Ehefrau befiehlt, nackt im Schlafzimmer auf und ab zu marschieren, wird zum kommandierenden General befördert. "Möchten Sie denn gar nicht für Colonel Cathcart und mich Ihr Leben opfern?" (Seite 512)
Mit der Drohung, ihn wegen Fahnenflucht vors Kriegsgericht zu bringen, erpressen ihn Korn und Cathcart, ihr Angebot anzunehmen: Sie schicken ihn nach Hause, aber niemand darf erfahren, dass sie es tun, weil er nicht mehr fliegen will, denn sonst würde das Beispiel Schule machen. Stattdessen wird er zum Major befördert und wegen Tapferkeit ausgezeichnet. Als Yossarián das Gebäude verlässt, wirft sich Natelys Hure, als gemeiner Soldat verkleidet, mit einem Küchenmesser auf ihn, und er muss ins Lazarett eingeliefert werden, wo sich allerdings herausstellt, dass die Stichwunde nicht lebensgefährlich ist. Yossarián wird als Held gefeiert, denn Korn und Cathcart beteuern, er habe das Attentat eines getarnten Nazimörders gegen sie verhindert. |
Buchbesprechung:
In seinem absurden Roman "Catch 22" zeigt Joseph Heller nicht nur den Irrsinn des Krieges auf, sondern kritisiert auch die kapitalistische Gesellschaft. Statt eine durchgängige Handlung zu entwickeln, reiht Joseph Heller in "Catch 22" groteske Episoden und Anekdoten aneinander. Dabei überzeichnet er Figuren und Situationen karikaturhaft. Höhere Offiziere stellt er ausnahmslos als Idioten dar, aber auch die Flugzeugbesatzungen, die Einsätze gegen den Feind fliegen, scheinen verrückt zu sein. Leutnant Milo Minderbinder dagegen nutzt den Krieg für den Aufbau eines kapitalistischen Wirtschaftsimperiums und schreckt auch nicht davor zurück, im Auftrag des Kriegsgegners die eigene Einheit zu bombardieren, solange dafür gut bezahlt wird. Obwohl Joseph Heller den Krieg nicht realistisch darstellt, ist das Grauen präsent. Die meisten Kapitel sind mit Namen von Romanfiguren überschrieben, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie von den entsprechenden Personen handeln: Das (scheinbare) Chaos der Erzählstruktur soll wohl die Kriegswirren spiegeln. Der Name des Protagonisten John Yossarián wird "Yo-Yo" abgekürzt. Das ist kaum ein Zufall, denn der Bomberschütze versucht immer wieder vergeblich, sich vor weiteren Einsätzen zu drücken. Für dieses Hin und Her steht das Yo-Yo. Catch 22. Der böse Trick Originaltitel: Catch 22 – Regie: Mike Nichols – Drehbuch: Buck Henry – Kamera: David Watkin – Schnitt: Sam O'Steen – Darsteller: Alan Arkin, Martin Balsam, Richard Benjamin, Art Garfunkel, Jack Gilford, Anthony Perkins, Martin Sheen, Jon Voight, Orson Welles, Bob Balaban, Charles Grodin, Richard Libertini, Paula Prentiss u.a. – 1970; 120 Minuten
Der Erfolg des Romans bewirkte, dass "Catch 22" als Bezeichnung für eine Zwickmühle bzw. paradoxe Situation in den englischen Sprachschatz aufgenommen wurde. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007 |