Douglas Hofstadter: Ich bin eine seltsame Schleife (Sachbuch) |
Douglas Hofstadter:
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Inhaltsangabe:Ich denke über das Denken nach. (Seite 53) Douglas Hofstadter glaubt nicht, dass es ihm dabei helfen würde, Aminosäuren, Neuronen und Dendriten zu untersuchen.
Zu behaupten, dass ich das Gehirn studiere, wenn ich diese physischen Gegebenheiten untersuche, kommt mir so vor, als würde ich von der Literaturkritik verlangen, sich mit den physischen Substraten und Prozessen zu befassen, die mit Literatur zusammenhängen: Papier und Buchbinderei, Tinte und ihre chemische Zusammensetzung, Seitenformate und Randgrößen, Schriftarten, Absatzlängen und so weiter. Wo aber bleiben die abstrakten Ideen, das Herz der Literatur: Plots und Figuren, Stil und Perspektive, Ironie und Humor, Anspielungen, Metaphern, Einfühlung und Distanz und so weiter? (Seite 54) Deshalb bezweifelt Douglas Hofstadter, dass Neurologen besser verstehen, was das Bewusstsein, das "Ich" oder das Denken ausmacht.
Ihre fachliche Nähe zu den Gehirnaspekten der unteren Ebene führt bei ihnen zu einer generellen Skepsis gegenüber der Perspektive, dass Bewusstsein und freier Wille überhaupt jemals in physikalischen Begriffen gefasst werden können. Zwischen Geist und Materie sehen sie einen unüberwindlichen Abgrund, und davon fühlen sie sich so vor den Kopf gestoßen, dass sie all ihre Anstrengungen einstellen, herauszubekommen, wie Bewusstsein und Selbst aus physikalischen Prozessen hervorgehen können; stattdessen werfen sie das Handtuch und werden zu Dualisten. (Seite 270) Bis vor hundert Jahren kam die Menschheit gut zurecht, ohne etwas über Atome und Elementarteilchen zu wissen, denn im Alltag geht es um makrokosmische Objekte und Vorgänge. Das Verhalten von Mikro-Teilchen können wir auch gar nicht wahrnehmen. Obwohl wir inzwischen zu wissen glauben, dass Vorgänge auf der mikrokosmischen Ebene "die Realität am Laufen halten" (Seite 229), dass Mikroben Infektionen auslösen und die Befruchtung durch die Verschmelzung von Zellen erfolgt, ist unsere Wahrnehmung auf eine makrokosmische Ebene beschränkt.
Wir Menschenwesen sind makroskopische Strukturen in einem Universum, dessen Gesetze sich auf einer mikroskopischen Ebene abspielen. (Seite 459) Im Alltag, so Douglas Hofstadter, kommt es nicht darauf an, dass wir wissen, was auf der mikrokosmischen Ebene passiert.
Diese Idee – dass die untere Ebene, obwohl sie hundertprozentig für ein Geschehen verantwortlich ist, gleichzeitig für dieses Geschehen vollkommen irrelevant ist – mutet fast paradox an, dabei ist sie eine alltägliche Binsenweisheit. (Seite 73)
Auf dem Bildschirm eines Computers können hundert verschiedene Dinge stattfinden, aber wer denkt dabei schon daran, dass dies alles nur auf der Grundlage von On-Off-Zuständen bzw. simpler Additionen binärer Zahlen geschieht? (Deshalb heißt das Gerät ja auch Rechner bzw. Computer.) Auf einem eingeschalteten Fernsehbildschirm sehen wir keine Lichtpunkte, sondern Bilder, nicht nur zwei-, sondern auch dreidimensionale, und wir erleben, was im Film geschieht: Wir werden an einen anderen Ort und in eine andere Zeit versetzt, "teleportiert". Ähnliches geschieht, wenn wir einen Roman lesen: Da schauen wir zwar nur verschieden geformte schwarze Flecke an, aber wir blenden unsere aktuelle Umwelt aus und erleben, was in der Handlung geschieht, beinahe als wären wir dabei. (Daraus schließt Douglas Hofstadter, dass wir durchaus in der Lage seien, uns gleichzeitig an verschiedenen Orten aufzuhalten.) Die Zellen in einem Gehirn sind nicht die Träger seines Bewusstseins; die Träger des Bewusstseins sind Muster. Die Muster der Organisation spielen die entscheidende Rolle, nicht die Substanz. (Seite 334)
Ein komplexes Muster entsteht beispielsweise, wenn wir ein mit einem Lautsprecher verkabeltes Mikrofon in die Nähe des Lautsprechers bringen oder eine laufende Videokamera in die Richtung des damit verbundenen Bildschirms halten. In der Systemtheorie spricht man in solchen Fällen von Rückkopplung und Selbstreferenz; Douglas Hofstadter bevorzugt die Bezeichnung "Schleife". Wahrnehmung ist ein lebhaftes Hin und Her von Signal-Schauern, wobei die Input-Signale durch von innen kommende Signale modifiziert werden; im Endeffekt lösen sie dann eine kleine Anzahl von Symbolen aus oder in weniger biologischen Termini: aktivieren ein paar Begriffe. (Seite 114) Auch wenn ein bestimmter Gegenstand gerade nicht in unserer Nähe liegt, können wir uns unter Umständen vorstellen, wie er aussieht. Vorstellungen sind nichts anderes als aktive Symbole im Gehirn. Überall, wo ein Muster vorliegt, kann es entweder als es selbst wahrgenommen werden oder als Vertretung von irgendetwas, zu dem es isomorph ist. (Seite 319)
Dabei ist das Gehirn kein Fernsehbildschirm, und die Annahme, der Wahrnehmung oder Vorstellung eines Kreises würde ein kreisförmiges Muster im Gehirn entsprechen, wäre falsch.
Das Bewusstsein erscheint in diesen Abläufen als eine aktive operationale Kraft [...] Diesen Ausführungen stimmt Douglas Hofstadter zu, und er beantwortet die folgende selbst gestellte Frage mit "ja":
Kann ein verschwommenes, nicht festzumachendes "Ich" konkreten physischen Objeken wie Elektronen oder Muskeln [...] vorschreiben, was sie zu tun haben? (Seite 62) Das "Ich" ist für Douglas Hofstadter kein Ausgangspunkt, sondern ein Ergebnis, und zwar das Ergebnis einer Illusion.
Das Ding, das wir "Ich" nennen, resultiert aus dieser referenziellen Stabilität, das ist alles. (Seite 385)
Wer liest dann aber die Symbole in unserem Gehirn? Diese Frage stellt sich für Douglas Hofstadter nicht, denn er geht davon aus, dass der Tanz der Symbole selbstreferenziell ist: Die seltsame Schleife nimmt sich selbst wahr und entwickelt sogar ein episodisches Gedächtnis und ein episodisches Projektorium.
Wozu braucht es [...] all dieses Gewese um den "freien Willen"? [...] Was bringt es uns, oder besser, was würde es uns bringen, wenn das Wort "frei" zuträfe? Ich weiß es ehrlich nicht. Ich sehe in dieser komplexen Welt nicht den Platz, den mein Wille bräuchte, um "frei" zu sein.
In einem Gedankenexperiment stellt Douglas Hofstadter zwei Kameras auf, die jeweils mit einem Bildschirm verbunden sind und getrennte Video-Feedbacks erzeugen (also Teile des eigenen Bildschirms filmen). Verdreht er nun eine der Kameras so, dass auch der andere Bildschirm teilweise von ihr erfasst wird, beginnen die beiden Schleifen sich gegenseitig zu beeinflussen. Damit veranschaulicht Hofstadter, was bei der menschlichen Kommunikation geschieht: Während meine Sinnesorgane direkt auf mein Gehirn einwirken, kann ich entsprechende Symbole im Gehirn einer anderen Person hervorrufen, indem ich ihr etwas von meinen Erlebnissen und Erfahrungen mitteile. Das ist wie beim Tennisspiel: Da kontrolliere ich meine eigenen Bewegungen, indirekt aber auch die des anderen Spielers, der auf meine Bewegungen reagiert. Wenn Sie wirklich davon überzeugt sind, wie ich es bin [...], dass Vorstellungen aktive Symbole in einem Gehirn sind, und wenn Sie weiter wirklich davon überzeugt sind, dass Menschen nicht weniger als Objekte durch Symbole im Gehirn repräsentiert werden [...], und wenn Sie schließlich wirklich davon überzeugt sind, dass ein Selbst also eine Vorstellung ist, nur eben eine noch komplexere [...], dann ist die notwendige und unvermeidliche Schlussfolgerung dieser Gruppe von Überzeugungen, dass Ihr Gehirn in wechselndem Ausmaß von anderen Ichs bewohnt wird, von anderen Seelen, wobei die Ausdehnung jeder einzelnen Seele sich bemisst nach dem Grad der Wiedergabetreue und danach, wie Sie mit dem fraglichen Individuum in Resonanz stehen. (Seite 323)
Die landläufige Auffassung, dass einem Körper eine Seele entspricht und umgekehrt, tut Hofstadter als "Vogel-im-Käfig-Metapher" ab.
Muster können von einem Medium in ein anderes kopiert werden, auch dann, wenn es sich um vollkommen verschiedene Medien handelt. Ein solcher Vorgang wird "Transplantation" genannt oder kurz "Translation". (Seite 335) In diesem Zusammenhang zitiert er aus dem Roman "Das Herz ist ein einsamer Jäger" von Carson McCullers: [...] vielleicht muss der Verlassene bleiben, damit die Geliebte auferstehen kann – der Mensch, der gegangen ist, wäre also nicht wirklich tot, sondern er wächst und wird ein zweites Mal erschaffen in der Seele des Überlebenden? (Seite 336) Douglas Hofstadter glaubt nicht an den abrupten Tod, sondern er nimmt an, dass die Seele eines Verstorbenen im Gedächtnis anderer Menschen weiterlebt und erst allmählich verblasst.
In der Zeit nach dem Tod eines menschlichen Wesens bleibt in dem Kollektiv der Gehirne all derer, die ihm am nächsten standen, eine Anzahl von Nachglüh-Phänomenen lebendig, einige heller, einige schwächer [...] |
Buchbesprechung:
Zwar veranschaulicht Douglas Hofstadter (das "R" seines zweiten Vornamens Richard hat er diesmal weggelassen) seine Ausführungen in "Ich bin eine seltsame Schleife" wieder mit Analogien und konkreten Beispielen, vermeidet Fachjargon und lässt sich in keine Schublade pressen, aber das neue Buch ist nicht so genial wie sein zum Kultbuch avancierter Bestseller "Gödel, Escher, Bach. Ein Endloses Geflochtenes Band". Da fehlt das virtuose Wechselspiel von Form und Inhalt, von Ausführungen, Dialogen, Gedankenspielen, Strukturen und verblüffenden Querverbindungen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Kybernetik, Systemtheorie |