Bohumil Hrabal: Ich habe den englischen König bedient (Roman) |
Bohumil Hrabal:
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Inhaltsangabe:Der Ich-Erzähler, der als uneheliches Kind bei seiner Großmutter in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, wird mit vierzehn Jahren Pikkolo im Hotel "Goldenes Prag" in einer tschechischen Kleinstadt. Zu seinen Aufgaben gehört es, am Bahnsteig Würstchen zu verkaufen. Dass viele der Reisenden kein passendes Geld, sondern nur größere Geldscheine bei sich haben, nutzt der neue Pikkolo schamlos aus. [...] dann klimperte ich in der Tasche mit dem Kleingeld, doch der Fahrgast schrie, ich solle das Kleingeld behalten, Hauptsache, ich gäbe die Scheine raus, und ich klaubte langsam in der Tasche die Scheine zusammen, und der Vorsteher pfiff schon, und ich zog langsam die Scheine hervor, und der Zug rollte bereits an, und ich lief neben dem Zug her, und wenn der Zug an Tempo gewann, dann hob ich die Hand, und die Geldscheine berührten gerade noch die Finger des sich streckenden Reisenden [...] (Seite 8) Als er genügend Geld ergaunert hat, klettert er eines Nachts aus dem Fenster seiner Kammer im Hotel "Goldenes Prag" und schleicht sich ins Bordell "Bei Rajský". Dort führt ihn Jaruska in die Liebe ein. [...] mir war heiß, doch ich legte nur die Jacke ab, und sie sagte, auch ihr sei heiß und ob sie wohl ebenfalls das Kleid ausziehen dürfe, und ich half ihr und legte ihr Kleid ordentlich über den Stuhl, und sie knöpfte mir den Hosenlatz auf, und ich wusste nun, dass es bei Rajský weder hübsch noch schön, noch wunderbar war, sondern paradiesisch. (Seite 16)
Als er nach dem Akt durstig aus Jaruskas Glas trinkt, merkt er, dass sie statt Champagner Limonade getrunken hat. Er nimmt den Betrug nicht schwer, achtet allerdings bei seinen weiteren Bordellbesuchen darauf, dass es nicht wieder vorkommt. Ein fürstliches Trinkgeld verschafft ihm Anerkennung. Auf der Ablagefläche türmte sich der Aufschnitt, er wuchs, als hätte er fast die ganze Wurst in Scheiben geschnitten, obwohl sie kaum kleiner geworden war. (Seite 32) In der Erwartung, damit viel sparen zu können, kauft der Hotelier die Geräte. Als der Pikkolo Herrn Walden eine Flasche Wasser aufs Zimmer bringt, sieht er, wie der dicke Gast am Boden liegt und die gesamte Fläche mit Banknoten auslegt. Walden, der den Pikkolo respektiert, weil er schon einmal von ihm am Bahnsteig hereingelegt wurde, rät ihm: "Merk dir, das Geld öffnet dir den Weg in die ganze Welt." (Seite 51)
Durch die Vermittlung Herrn Waldens wechselt der Erzähler nach drei Jahren zum Hotel "Tichota" in Prag. Bevor er seinen Dienst als zweiter Kellner unter dem Oberkellner Zdenek antritt,
[...] setzten sie die Brillen auf und betrachteten jede Falte dieses schönen Frauenleibes und baten das Mädchen, wie auf einer Modenschau oder wie im Atelier einer Malerakademie, sich hinzustellen, aufzurichten, sich hinzuknien [...] Mit unverminderter Begeisterung beschauten sich diese Greise aus der Nähe und durch die Brille hindurch hier einen angewinkelten Ellenbogen, dort von unten her die gelöste Haarfülle, da einen Spann und einen Knöchel, dann wieder den Bauch, ein anderer wieder schob sanft die schönen Gesäßbacken auseinander und betrachtete voll kindlicher Bewunderung, was sich seinen Augen darbot, ein anderer wieder schrie vor Begeisterung auf und blickte zur Zimmerdecke hinauf, als wolle er Gott selber dafür danken, dass er zwischen die gespreizten Beine des Fräuleins sehen und mit Fingern oder Lippen berühren durfte, was ihm ganz besonders gefiel ... (Seite 125f)
Die Fräulein werden durch die "Visitation" so erregt, dass sie am Ende keuchend darauf warten, dass der Erzähler zu Ende führt, was die Alten begonnen haben. "Ich habe den englischen König bedient." (Seite 120)
Einige Zeit später wird der abessinische Kaiser Haile Selassie mit seinem Gefolge in Prag erwartet. Da es in der Burg an Goldbestecken fehlt und Herr Brandejs nicht bereit ist, das Goldbesteck für 325 Gedecke des Hotels "Paris" auszuleihen, findet das Festmahl dort statt. Dazu wird ein Kamel geschächtet, mit zwei Antilopen gefüllt, die ihrerseits mit zwanzig gefüllten Truthähnen gefüllt sind und im Ganzen am Spieß gebraten. Während des Essens bemerkt der Erzähler, dass versäumt wurde, dem Kaiser vom Moselwein einzuschenken. Ohne nachzudenken, schiebt er eine Flasche in eine Serviette, sinkt vor dem Kaiser auf die Knie und füllt dessen Glas. Danach serviert er ihm auch von dem Kamel. Am Ende führt man ihn zum Kanzler des Kaiserreichs, der ihm mit Handschlag für die vorbildliche Bedienung des Kaisers dankt und ihm einen abessinischen Orden anheftet, zu dem eine blaue Schärpe gehört. [...] ich hatte mir in den Kopf gesetzt, Millionär zu werden, mit allen gleichzuziehen und mir später ein kleines Hotel, ein winziges Schmuckkästchen irgendwo im böhmischen Paradies zu pachten oder zu kaufen. Dann würde ich heiraten, mir eine reiche Braut nehmen und mein Geld und das meiner Frau zusammenlegen. Man würde mich achten wie andere Hoteliers auch, doch selbst wenn man mich nicht als Mensch anerkannte, als Millionär, als Hotel- und Realitätenbesitzer würde man mich anerkennen müssen [...] (Seite 151f)
Bei einem Kinobesuch tritt der Erzähler unabsichtlich einer sudetendeutschen Turnlehrerin auf den Fuß. Lisa Elisabeth Papanek ist Gaumeisterin im Schwimmen, Mitglied der Partei von Konrad Henlein und stammt aus Eger, wo ihr Vater das Hotel "Zur Stadt Amsterdam" besitzt. Um ihren neuen Freund zu sehen, kommt Lisa ins Hotel "Paris". Das wird diesem zum Verhängnis: Weil er sich mit einer Deutschen abgibt, meiden ihn die Kollegen, und der Hotelier entlässt ihn. "Nun, da sehen Sie, einen Dreck hat es Ihnen geholfen, dass Sie den englischen König bedient haben." (Seite 160) Danach nimmt Lisa ihn mit in ihre Wohnung. Lisa zitterte und bebte entsetzlich, und mir wurde zum erstenmal bewusst, dass ich verliebt war und geliebt wurde, es war ganz anders als früher, sie bat mich gar nicht erst, aufzupassen oder vorsichtig zu sein [...] (Seite 162)
Er dekoriert ihre Scham mit Fichtenreisig aus einer Vase, wie er es sich bei den Fräulein im Bordell "Bei Rajský" angewöhnt hatte. Lisa sorgt dafür, dass er zunächst Kellner, später Oberkellner in der ersten europäischen Station zur Edelzucht von Menschen wird, die die Nationalsozialisten in den Bergen von Tetschen eingerichtet haben. Hier wird er mit "Herr Ditie" angesprochen, aber die schwangeren Frauen, die sich nach dem Schwimmen sonnen, betrachten ihn offenbar nicht als Mann, sondern nur als Diener, denn sie bleiben ungeniert splitternackt, wenn er ihnen kühle Getränke serviert, während sie sich kreischend Handtücher vorhalten, wenn ein betrunkener SS-Mann über den Zaun schaut oder ein Flugzeug zu hören ist. Und während in Prag wie auch in Brünn und bei den übrigen Gerichten, die das Exekutionsrecht besaßen, die Hinrichtungskommandos exekutierten, stand ich nackt vor dem Arzt, der mir mit einem Stöckchen das Geschlechtsteil anhob [...] (Seite 175) Um seinen Samen prüfen zu können, verlangt der Arzt von ihm, auf ein Blatt Papier zu ejakulieren. Ich sah auf einmal, wie aus weiter Ferne, die Zeitungsberichte, dass an ein und demselben Tag die Deutschen Tschechen erschossen und ich hier an meinem Glied herumspielte, um für würdig befunden zu werden, eine Deutsche zu heiraten. Plötzlich packte mich ein Entsetzen darüber, dass ich hier, während anderswo Hinrichtungen stattfanden, vor dem Doktor stand, den Schwanz in der Hand und außerstande war, eine Erektion und ein paar Spermatropfen zu liefern. (Seite 175) Eine Krankenschwester sorgt schließlich mit sachkundigen Griffen dafür, dass er der Aufforderung des Arztes nachkommt, und eine halbe Stunde später wird ihm mitgeteilt, dass sein Samen ausgezeichnet sei. Also hatte das Amt zum Schutze deutscher Ehre und deutschen Blutes nichts dagegen einzuwenden, dass ich eine Arierin deutschen Blutes nahm, und man fertigte mir mit kräftigen Stempelhieben eine Heiratgenehmigung aus, während tschechische Patrioten mit den gleichen Hieben und den gleichen Stempeln zum Tode verurteilt wurden. (Seite 176f)
Die Hochzeit findet in Eger statt. Während der Feier weigern sich die deutschen Offiziere, dem tschechischen Knirps, den sie immer noch als Böhmaken verachten, die Hand zu reichen. [...] ich konnte alles unter dem Eindruck des Augenblicks tun, doch als sie mir sagte, ich solle mich bereithalten, da wurde mir so zumute wie damals, als mich der Reichsdoktor entsprechend den Nürnberger Gesetzen bat, ihm auf weißem Papier ein wenig Samen zu liefern, genauso war es, als Lisa mir sagte, ich solle mich bereithalten [...] (Seite 182)
Schließlich gelingt es ihm doch, Lisa zu begatten, und der neun Monate später geborene Sohn erhält den Namen Siegfried. Nach einiger Zeit ist allerdings nicht zu übersehen, dass es sich bei dem Kind um einen Kretin handelt. [...] wenn ich über meine Million zu sprechen begann, über meinen Hotelbetrieb im Steinbruch, dann verstummten die Millionäre alle und sahen weg, sie anerkannten meine Million, meine beiden Millionen nicht, und ich begriff, dass sie mich zwar unter sich duldeten, doch dass ich ihrer nicht würdig sei, denn die Millionäre hatten ihre Millionen schon lange besessen, schon vor diesem Krieg, ich dagegen war ein Kriegsgewinnler [...] (Seite 241) Da begreift er, dass er einem falschen Ziel hinterhergejagt war. Um mehr zu sehen und zu erkennen, musste ich wahrscheinlich schwächer werden – so war das. (Seite 258) Er meldet sich zu einer Waldarbeiter-Brigade und wird zusammen mit einem Literaturprofessor und der ehemaligen Schokoladenfabrik-Arbeiterin Marcela in einem Forsthaus einquartiert. Nach diesem Einsatz fährt er mit dem Bus nach Srní und meldet sich bei der Straßenverwaltung: Er will ein Jahr lang die Instandhaltungsarbeiten an einer unbefahrenen Bergstraße übernehmen. Mit einem Pony, einer Ziege und einem Wolfshund macht er sich auf den Weg zu seinem Einsatzort und löst dort eine Gruppe von drei Zigeunern ab, die froh sind, aus der Einsamkeit fortzukommen. Unterwegs ist ihm auch noch eine Katze zugelaufen. Ich dachte daran, wie der Herr Literaturprofessor zu Marcela gesagt hatte, ein wahrer und welterfahrener Mensch sei, wer in die Anonymität treten könne, wer imstande sei, sich von seinem falschen Ich zu befreien. (Seite 292) In der Einsamkeit schreibt er seine Erlebnisse auf, um sich über sein Leben klar zu werden. |
Buchbesprechung:
"Passen Sie auf, was ich Ihnen jetzt erzählen werde", heißt es zu Beginn des Schelmenromans "Ich habe den englischen König bedient", und jedes der fünf Kapitel wird durch eine ähnliche Aufforderung eingeleitet. Damit hebt Bohumil Hrabal die Bedeutung des Erzählens hervor. Dementsprechend sind die Geschichten vom Duktus des mündlichen Erzählens geprägt, und der Protagonist flunkert auch gehörig. Da liegen Pech und Glück, Lächerliches und Entscheidendes, Klamauk und Poesie nahe beieinander. Die Episoden stehen im Zusammenhang mit zeitgeschichtlichen Ereignissen wie der Zusammenarbeit der Sudetendeutschen Partei mit den Nationalsozialisten, die Bildung des "Reichsprotektorats Böhmen und Mähren" (1939), dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und der Umwandlung der Tschechoslowakischen Republik in eine Volksdemokratie unter Führung der Kommunistischen Partei (1948).
Ich habe den englischen König bedient - Originaltitel: Obsluhoval jsem anglického krále – Regie: Jiri Menzel – Drehbuch: Jiri Menzel, nach dem Roman "Ich habe den englischen König bedient" von Bohumil Hrabal – Kamera: Jaromír Sofr – Schnitt: Jirí Brozek – Darsteller: Ivan Barnev, Oldrich Kaiser, Julia Jentsch u. a. – 120 Minuten; 2006 |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2007 / 2008
Bohumil Hrabal: Ich dachte an die goldenen Zeiten |