Henry James: Eine Dame von Welt Eine Salonerzählung |
Henry James: Eine Dame von Welt |
Inhaltsangabe:Zwei befreundete Amerikaner, der Legationssekretär Rupert Waterville und der zehn Jahre ältere Privatmann George Littlemore, besuchen eine Aufführung des Stücks "L'Aventurière" von Émile Augier in der Comédie-Française in Paris. Littlemore entdeckt eine Frau im Publikum, die er von früher kennt. Als sich die Herrschaften im Foyer treffen, stellt sich heraus, dass die Amerikanerin inzwischen den Namen Headway trägt. Ihr junger englischer Begleiter heißt Sir Arthur Demesne. Als Littlemore die Dame zuletzt sah, vor längerer Zeit in New Mexico, lautete ihr Name Nancy Beck, und sie war mit Philadelphus Beck verheiratet, dem Herausgeber einer demokratischen Zeitung.
"Headway – Headway? Wo zum Teufel hat sie diesen Namen her?", fragte Littlemore, als sie in die belebte Dämmerung hinabblickten. Littlemore schätzt das Alter der Dame auf 37 und beschreibt sie seinem Freund: Alle müssen furchtbare Rüpel gewesen sein, denn ihre eigene Liebenswürdigkeit stehe außer Frage. Man wusste nur zu gut, dass alles, was sie getan habe, reiner Selbstschutz gewesen sei. Kurzum, sie habe gewisse Dinge getan, das sei des Pudels Kern! Sie sei sehr hübsch, gutmütig und gescheit und so ziemlich die beste Gesellschaft in jenen Breiten – ein echtes Kind des fernen Westens, eine Blume der Pazifikküste, ungebildet, keck, grob, aber voller Schneid und Feuer, ausgestattet mit natürlicher Intelligenz und einem sprunghaften, willkürlichen guten Geschmack. Sie hatte immer gesagt, sie wolle nur eine Chance bekommen – offensichtlich hatte sie eine gefunden.
George Littlemore ist seit drei Jahren Witwer. Mit Anfang 40 hatte der Besitzer einer Silbermine und einer Rinderfarm eine 23-Jährige kennengelernt und sie geheiratet, aber sie war bereits ein Jahr nach der Eheschließung gestorben. Littlemore hat die halb verwaiste Tochter seiner Schwester Agnes anvertraut, die mit ihrem englischen Ehemann Reginald Dolphin auf dessen Gut in Hamshire lebt.
"Er weiß nichts über Ihre Vergangenheit?", fragte Littlemore, bemüht, nicht impertinent zu klingen. Als sie davon spricht, dass ihr Mann gestorben sei, fragt Littlemore, welchen ihrer Ehemänner sie meine, denn sie war vier- oder fünfmal verheiratet:
"Als ich mich von Ihnen verabschiedete, war Mr Headway Zukunft."
Mrs Headway, die von der Upper Class in New York gemieden wurde, ist bestrebt, in die Haute Volée Englands bzw. Frankreichs eingeführt zu werden und hofft, dass ihr früherer Freund ihr dabei behilflich ist. George Littlemore, der im Theater Rupert Waterville gegenüber andeutete, dass es sich bei ihr nicht um eine ehrbare Frau handelt, hält das Ansinnen für ärgerlich. Statt selbst einzugreifen, zieht er es vor, alles nur zu beobachten. Er befürchtet, dass Mrs Headway auch auf seine Schwester zählt. Das wäre peinlich, denn Agnes Dolphin würde sie keines Blickes würdigen. [...] und bei diesen Anlässen nahm Mrs. Headway sogar in den teuersten Restaurants eines der Privilegien einer Dame für sich in Anspruch und wischte ihre Gläser mit der Serviette nach.
Als die Witwe Lady Demesne auf der Durchreise von London nach Cannes bei ihrem Sohn in Paris Station macht, weigert Mrs Headway sich, der Mutter ihres Verehrers ihre Aufwartung zu machen, und schließlich ist es Lady Demesne, die den ersten Schritt unternimmt. "Lieber Mr Waterville", schrieb sie, "mein Sohn sagt mir, dass es Ihnen vielleicht möglich wäre, uns hier am 17. zu besuchen und zwei, drei Tage zu bleiben. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie Zeit hätten. Wir können Ihnen versprechen, dass Ihre bezaubernde Landsmännin Mrs Headway ebenfalls zugegen sein wird." Als George Littlemore nach London kommt, teilt ihm sein Freund Rupert Waterville mit, dass ihn Lady Demesne bereits ungeduldig erwartet. Sie befürchtet nämlich, dass ihr Sohn vorhat, Mrs Headway zu heiraten, und die Lady möchte das verhindern: "Aber ich traue ihr nicht. Ich weiß nicht, was über ihn gekommen ist; in dieser Familie ist es nicht üblich, solche Personen zu heiraten. Ich halte sie nicht für eine Dame." Bevor George Littlemore Lady Demesne seine Aufwartung machen kann, bittet ihn Mrs Headway zu sich und meint dann: "Sie halten mich für eine unanständige Frau, Sie respektieren mich nicht; schon in Paris habe ich Ihnen das gesagt. Ich habe Dinge getan, die ich bis heute nicht verstehe, das gebe ich zu, so unumwunden, wie Sie wollen. Doch habe ich mich völlig verändert, und ich möchte alles ändern."
Kurz nach seinem Eintreffen kündigt der Diener Sir Arthur Demesne an, und als Mrs Headway die beiden Herren gleich darauf allein lässt, begreift George Littlemore, dass sie die Zusammenkunft arrangiert hat, weil sie hofft, dass ihr Landsmann bei dem englischen Aristokraten ein gutes Wort für sie einlegt. Stattdessen fragt er sein Gegenüber, ob er etwas über Mrs Headway wissen wolle, und als Sir Arthur Demesne dies verneint, verabschiedet er sich rasch. "Ich möchte dir liebend gern Lady Demesne vorstellen und hatte gehofft, du würdest vorbeikommen. Müssen Sie wirklich gehen – möchten Sie nicht kurz bleiben?", fügte sie, an ihre Freundin gewandt, hinzu, und ohne auf eine Antwort zu warten, sprach sie hastig weiter: "Ich muss Sie einen Augenblick verlassen – entschuldigen Sie. Ich bin gleich wieder da!" Ehe er wusste, wie ihm geschah, fand Littlemore sich allein in Gesellschaft von Lady Demesne. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen fühlt George Littlemore sich als Opfer eines Arrangements. Er fragt geradeheraus, was Lady Demesne von ihm hören wolle, und sie antwortet:
"Ob Sie sie für ehrbar halten." [...] Jetzt, wo George Littlemore weiß, dass er damit wegen der heimlichen Verlobung keinen Schaden mehr anrichten kann, wiederholt er den Satz, den er bereits in der Comédie-Française zu seinem Freund sagte:
"Ich glaube nicht, dass Mrs Headway ehrbar ist." |
Buchbesprechung:
Nancy Headway, eine Southern Belle Mitte 30, hat nicht nur vier oder fünf Ehen hinter sich, sondern wohl auch einen unsoliden Lebenswandel. Dass George Littlemore dabei eine Rolle spielte, deutet Henry James nur an.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Porträt des Meisters in mittleren Jahren (Roman von Colm Toíbín über Henry James) |