Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit (Roman) |
Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit |
Inhaltsangabe:
Paris. Zum wiederholten Mal hat Ramon vor, die Chagall-Ausstellung im Musée du Luxembourg anzuschauen, aber die Menschenschlange schreckt ihn erneut ab und er schlendert stattdessen in den Jardin du Luxembourg. Dort trifft er auf D'Ardelo, einen früheren Kollegen, der soeben vom Arzt kommt, der ihm das Gesamtergebnis mehrerer Untersuchungen mitteilte. D'Ardelos Befürchtung, todkrank zu sein, hat sich nicht bestätigt. Als Ramon jedoch meint, D'Ardelo führe ein vergnügliches Leben, reagiert dieser spontan mit der Lüge, er habe gerade die Diagnose erhalten, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein; seine Geburtstagsparty in drei Wochen werde deshalb auch ein Abschiedsabend sein. Er zieht einen alten Parka über, schnallt Skier an, nimmt eine Flinte und legt dreizehn Kilometer zurück. Da sieht er vor sich auf einem Baum Rebhühner sitzen. Er bleibt stehen und zählt. Es sind vierundzwanzig. Aber was für ein Pech! Er hat nur zwölf Patronen dabei! Er schießt, tötet zwölf, dann kehrt er um, fährt die dreizehn Kilometer zurück nach Hause und holt noch ein Dutzend Patronen. Wieder legt er die dreizehn Kilometer zurück, um wieder bei den Rebhühnern anzukommen, die noch immer auf demselben Baum sitzen. und er tötet sie endlich alle …
Keiner der Genossen glaubt die Geschichte, aber niemand wagt es, sich zu äußern. Erst als sie zusammen die Toilette aufsuchen und unter sich sind – Stalin benutzt einen eigenen Abort –, schimpfen sie aufgebracht über den Lügner, ohne zu ahnen, dass Stalin an der Tür horcht und sich amüsiert. "Menschen begegnen sich im Leben, plaudern, diskutieren, streiten miteinander, ohne sich bewusst zu machen, dass sie aus großer Entfernung miteinander sprechen, jeder von einem Beobachtungsposten aus, der an einem anderen Ort in der Zeit steht."
Charles erzählt seinen Freunden weiter von Stalin. Der wusste, dass Michail Iwanowitsch Kalinin, der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, wegen einer vergrößerten Prostata alle paar Minuten zur Toilette musste. Kalinin war zwar das formelle Staatsoberhaupt, hatte aber in Wirklichkeit nichts zu sagen.
"Seine Freiheit. Er kann behaupten, was er will. Doch genug davon. Die wirkliche Frage lautet: Es gibt ebenso viele Vorstellungen der Welt, wie es Menschen auf dem Planeten gibt; das schafft zwangsläufig Chaos; wie kann man Ordnung in dieses Chaos bringen? Die Antwort ist klar: Indem man allen eine einzige Vorstellung aufzwingt. Und die kann nur von einem einzigen Willen aufgezwungen werden, einem einzigen, ungeheuren Willen, einem Willen über allen anderen Willen. Eben das habe ich getan, soweit meine Kräfte es mir erlaubt haben."
Zwei Stunden bevor D'Ardelos Party beginnt, treffen Charles und Caliban bei ihm ein, und Mariana, das portugiesische Dienstmädchen der Familie D'Ardelo, hilft ihnen bei den Vorbereitungen. Die beiden Männer machen sich einen Spaß daraus, Caliban als Pakistani auszugeben, der kein Wort Französisch spricht. Der Schauspieler äußert sich denn auch nur in einer Pseudosprache, und Charles tut so, als dolmetsche er. "Wir haben seit langem begriffen, dass es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürzen oder neu zu gestalten oder ihr unseliges Vorwärtsrennen aufzuhalten. Es gab nur noch einen einzigen möglichen Widerstand: sie nicht ernst zu nehmen. Aber ich stelle fest, dass unsere Witze ihre Macht verloren haben." Aber Ramon warnt Caliban: Das Spiel sei gefährlich, meint er, denn fände jemand heraus, dass Caliban kein Pakistani, sondern ein Franzose ist, würde ihn das verdächtig machen. Niemand würde ihm glauben, dass es nur ein Witz sein sollte. "Scherze sind gefährlich geworden." Dann spricht Ramon mit Caliban über Georg Wilhelm Friedrich Hegel: "Hast du jemals Hegel gelesen? Natürlich nicht. Du weißt nicht mal, wer das ist. In seiner Reflexion über das Komische sagt Hegel, der wahre Humor sei undenkbar ohne die unendliche gute Laune, hör gut zu, was er wörtlich sagt: die unendliche Wohlgemutheit. Nicht der Spott, nicht die Satire, nicht der Sarkasmus. Nur von den Höhen der unendlichen guten Laune kannst du unter dir die ewige Dummheit der Menschen beobachten und darüber lachen."
Sobald die letzten Gäste gegangen sind, packen Charles und Caliban ihre Sachen zusammen, und Mariana hilft ihnen dabei. Caliban gefällt ihr, und sie würde gern mit ihm reden, aber er fällt nicht aus seiner Rolle. Als er sie auf den Mund küsst, lässt sie die Lippen keusch geschlossen. Das gefällt Caliban. "Auch dein Geschlecht hast du nicht gewählt. Deine Augenfarbe auch nicht. Dein Jahrhundert auch nicht. Deine Heimat auch nicht. Deine Mutter auch nicht. Nichts von dem, was wichtig ist. Die Rechte, die ein Mensch haben kann, betreffen nur Belanglosigkeiten, für die zu kämpfen oder großartige Erklärungen zu verfassen es keinen Grund gibt!"
Alain hat in seiner Wohnung keinen Alkohol außer einer Flasche sehr alten Armagnacs. Als Caliban auf einen Stuhl klettert und sie von Alains Kleiderschrank herunterholen will, haut Stalin mit der Faust auf den Tisch. Caliban stürzt zu Boden und zerbricht die Flasche.
Der Leiter, ein zehnjähriger Junge, den Taktstock in der Hand, macht sich bereit, das Zeichen zu geben, damit das Konzert beginnt. Doch er muss noch ein Weilchen warten, da eine von zwei Ponys gezogene, rot-gelb gestrichene kleine Kalesche sich geräuschvoll nähert. Der Schnauzbärtige in seinem schäbigen alten Parka hebt seine Flinte. Der Kutscher, auch er ein Knirps, gehorcht und hält. Der Schnauzbärtige und der alte Mann mit Spitzbart steigen ein, setzen sich, grüßen zum letzten Mal die Zuschauer, die entzückt winken, während der Kinderchor anhebt, die Marseillaise zu singen. |
Buchbesprechung:Den zentralen Satz des Romans "Das Fest der Bedeutungslosigkeit" legt Milan Kundera der Romanfigur Ramon in den Mund: "[...] Die Bedeutungslosigkeit, mein Freund, ist die Essenz unserer Existenz. Sie ist immer und überall bei uns. Sie ist sogar dort gegenwärtig, wo niemand sie sehen will: In den Gräueln, in den schlimmsten Kämpfen, im schlimmsten Unglück. Das erfordert oft Mut, sie unter so dramatischen Umständen zu erkennen und bei ihrem Namen zu nennen. Aber es geht nicht nur darum, sie zu erkennen, man muss sie lieben, die Bedeutungslosigkeit, man muss lernen, sie zu lieben. [...] sie ist der Schlüssel zur Weisheit, sie ist der Schlüssel zur guten Laune …"
Das Leben ist sinnlos, und niemand kann mitbestimmen, ob er geboren werden soll. Die Desillusionierung lässt sich nur mit Humor und Gleichgültigkeit ertragen. Umso schlimmer, dass uns Scherz und Witz abhanden gekommen sind! |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2015
Milan Kundera: Der Scherz |