Selma Mahlknecht: Luba und andere Kleinigkeiten (Roman) |
Selma Mahlknecht:
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Inhaltsangabe:Luba stellt mit einem Teststreifen fest, dass sie schwanger ist. Ihr Lebensgefährte Horst würde sich darüber gewiss freuen, aber erst einmal behält sie die Neuigkeit für sich, zumal sie mit dem Gedanken an eine Abtreibung spielt. Noch könnte ich mich auch anders entscheiden. Zum Arzt gehen. Heimlich das Geld für den Eingriff zusammenkratzen. Einen Scheinurlaub buchen. Drei Tage später wäre alles wieder wie sonst, und Horst hätte nichts gemerkt. Wenn ich ihm jetzt aber Bescheid sage, dann ist es plötzlich auch seine Sache. Dann werden wir Eltern, gemeinsam. Mit einem Kind könnte die 31-Jährige ihre Karriereträume begraben. Sie hatte zunächst ein wenig Germanistik, Komparatistik, Ethnologie, Anthropologie, Philosophie und Psychologie studiert und war dann auf Publizistik umgestiegen. Mit dem Studium hatte es noch hoffnungsvoll angefangen. Eine der Besten war ich immer schon gewesen.
Ihre ersten journalistischen Erfahrungen sammelte Luba beim radikal-feministischen Studentinnen-Sender "Radio Lederstrumpf". Als sie ihren ersten eigenen Sendeplatz bekam, dachte sie bereits, sie stünde kurz vor dem Durchbruch,
Ein Schloss in Schottland ("McLuba Castle"). Ein Château in der Provence ("Château Loubeau"). Einen hochlukrativen Bio-Bauernhof im Burgenland mit dem europaweit gefragten Label "Bioluba". Aber die Schwangerschaft stellt alle bisherigen Zukunftspläne in Frage. Der Absturz in die Mutterschaft wird nun endgültig alle meine hochfliegenden Pläne zunichtemachen. Im Grunde ist meine eine typische Frauenlaufbahn. In der Schule immer vorneweg, Hoffnungsträgerin ihrer Generation, dann kommt der Motor ins Stottern, ein Mann mischt sich ein, neidische Kolleginnen werfen Sand ins immer trägere Getriebe, Intrigen bringen alle ambitionierten Projekte zum Erliegen, der Hormonkollaps lässt nicht lange auf sich warten und irgendwann sind Heim und Herd und Babynahrung die letzten Bastionen eines Egos, das man nach anfänglicher Aufgeblasenheit nunmehr mit der Lupe suchen muss. Was bleibt, ist ein klägliches Arsenal zwangsneurotischer Ersatzhandlungen, die an die Stelle der erstrebten Höhenflüge treten. Anstatt den Chemie-Nobelpreis abzuholen, experimentiert man mit einer alternativen Rezeptur für Tomatensauce. Die kreative Ader wird beim weihnachtlichen Salzteigbasteln ausgelebt. Würde Luba das von Horst gezeugte Kind austragen, müsste sie außerdem ihre Hoffnungen auf einen Traummann aufgeben. Ein Mann mit dunklen Geheimnissen und einer einzigen großen Leidenschaft: mir. Rasende Ritte auf weißen Pferden über einsamwild-romantische Landstriche wie bei Rosamunde Pilcher. Diesem Ideal entspricht Horst in keiner Weise. Als sie ihn vor drei Jahren ihrer Mutter vorstellte, meinte diese:
"Schönling ist er ja keiner. Aber ich glaube, er hält es mit dir aus. Du kannst froh sein."
Lubas vorübergehende Arbeitslosigkeit federte Horst ab, indem er als Softwareentwickler bei der örtlichen Gebietskrankenkasse anfing. Sein Hobby ist das Beobachten von Vögeln, und er schreibt Artikel für das ornithologische Fachmagazin "Vogelperspektive". Sein Kosename für Lupa lautet Spatz. "Der Kerl hat eine Meise", meinte Lubas Freundin Annelies.
"Die Sache ist mir wichtig", beharrt Werner. "Ich weiß, du und Annelies, ihr seht nur eine Turmfrisur und teure Schminke." Oha. Ich hielt es für billige Schminke. Zufällig läuft Luba ihrer früheren Mitschülerin Jeannie Bach über den Weg. Jeannie war als Schulflittchen verschrien. Mit 17 wurde sie schwanger. Ihre Tochter Helen ist jetzt 14. Dass Jeannie vor zwei Jahren ein BWL-Fernstudium abschloss und inzwischen ihr eigenes Finanzberatungs-Büro betreibt, überrascht Luba. Jeannie beneidet Luba und die anderen Mitschülerinnen von damals, die sich aussuchen konnten, was sie werden wollten.
"Ich hatte damals keine Wahl, aber ihr wart ja alle frei." Luba will das anders machen – falls sie das Kind austrägt, das sie inzwischen Bernadette nennt.
Wenn sie nämlich mit drei noch nicht lesen kann, kann sie nicht mit dem Geigenunterricht anfangen. Mit vier muss sie fließend Englisch und Französisch sprechen, damit sie in England bei einer französischen Lehrerin Unterricht nehmen kann. Sobald sie fünf ist, schreibe ich sie in ein amerikanisches Elite-Internat ein. Mit sechs hat sie ihren ersten Fernsehauftritt mit David Garrett. Mit sieben spielt sie mit den Wiener Philharmonikern Vivaldis Vier Jahreszeiten in einer Neubearbeitung von John Williams. Der Livemitschnitt schreibt als 3D-Film Kinogeschichte. Mit acht erhält sie einen Lehrstuhl auf einer Universität, doch sie beschließt schon mit neun, sich nur noch der Kunst zu widmen, da sie mittlerweile auch dirigiert und Symphonien schreibt. Mit zehn wird ihr der Literaturnobelpreis für ihr viel beachtetes essayistisches Meisterwerk Notes of Harmony zuerkannt.
Horst spürt, dass Luba etwas beschäftigt, das sie vor ihm verheimlicht. Zunächst befürchtet er, dass sie ihn verlassen will, und nachdem sie ihn diesbezüglich beruhigt hat, fragt er unvermittelt: "Findest du, wir sollten heiraten?" Aber damit verunsichert er Luba noch mehr. "Ich weiß nicht", beginnt sie dann langsam, "ob ich einen Krankenwagen oder die Polizei rufen soll. Oder ob ich Sie am besten einfach rauswerfe." Als sie erfährt, dass Luba schwanger ist, erzählt sie von ihrer eigenen Schwangerschaft. Die dauerte nur zwei Monate. Dann endete sie mit einer Fehlgeburt. Luba fragt, ob sie erleichtert gewesen sei. "Ja, klar. Da war auch Erleichterung. Aber noch viel mehr Scham. Es war, als hätte ich versagt." Die beiden Frauen reden über Medea, und die Regisseurin meint: "Sie ist die gefährlichste Idee von allen. Die ungehorsame Frau, die alles zurücknimmt, was sie gegeben hat – und triumphiert. Das bedroht nicht nur den Einzelnen. Es bedroht die Spezies." Zwei Tage später taucht Noémia Da Silva Pinto überraschend in der Redaktion auf und wartet sogar eine Stunde, bis Luba eintrifft: Die Opernregisseurin hat sich entschlossen, ihr erstes Interview zu geben.
"Meine Kunst ist eine Kunst des Leids, der Wut und der Grausamkeit. Ich dachte, darüber könnte man nicht sprechen." Aber als Noémia Da Silva Pinto geht, bleibt Luba frustriert zurück und spielt mit dem Gedanken, die Aufzeichnung des Interviews zu löschen, denn statt Fragen zu beantworten, warf Noémia neue auf, und Luba hat den Eindruck, sie habe ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Beispielsweise sagte sie: "Für Gewissheiten bin ich nicht zuständig. Es ist nicht Aufgabe der Kunst, Halt zu vermitteln. Es gibt genug Scharlatane, die Sicherheiten verkaufen. Der Preis dafür ist hoch, zu hoch, finde ich. Und doch sind viele bereit, für die Illusion von Ordnung, Berechenbarkeit und Sicherheit ihre Freiheit, ihre Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung aufzugeben." Noémia Da Silva Pinto sprach sich für Anarchie aus und erklärte Luba, dass es falsch sei, dabei an Chaos und Verwüstung zu denken; Anarchie bedeute, dass niemand Macht über andere hat. Auf Lubas Einwand, die Gesellschaft funktioniere ohne Machtstrukturen nicht, entgegnete sie, Regeln und Autoritäten würden genügen. "Aber es müssen Regeln und Autoritäten sein, die immer wieder überprüft werden, die in Frage gestellt werden können." Die Künstlerin zitierte Ophelia in "Hamlet" – "Lord, we know what we are, but know not, what we may be" – und meinte dazu: "Wir leben in einem Prozess, aber nie auf ein Ende hin. [...] Ich empfinde das als befreiend. Wir müssen nicht bleiben, wer wir sind. Wir dürfen erfahren, was sonst noch in uns steckt." Luba denkt: Sie sind eine gefährliche Sache, diese Interviews. Du kommst nicht als dieselbe aus ihnen heraus, als die du in sie hineingegangen bist. Kurz darauf werden Luba und Annelies in einem Café von ihrer früheren Mitschülerin Vicki Fürst erkannt, von der sie wissen, dass sie in Shanghai parallel Sinologie und Betriebswirtschaft studierte. Vicki stellt ihnen ihre Kinder vor – Antonius und Cecilia – und berichtet, dass sie letztes Jahr ihren Jugendfreund Markus Lorenz geheiratet habe.
[Luba:] "Ich dachte, du wärst mit einem anderen zusammen." Am Samstagmorgen wacht Luba auf und vermisst Horst. Seit zwei Tagen hat sie nichts mehr von ihm gehört. Zuerst befürchtet sie, er habe sie verlassen, aber nach einiger Zeit fällt ihr ein, dass er für ein paar Tage mit den "Grünspechten" in den Nationalpark wollte. Klar. Er hatte mir doch davon erzählt, wochenlang hatte er kein anderes Thema mehr. Einmal im Jahr packt er Feldstecher, Poloshirt und Käppi ein und rückt mit den Kindern zur Vogelbeobachtungsexkursion aus.
Luba fährt nach Rauris. Dort trifft sie auf Silke, die Mutter von zwei "Grünspechten". Weil Horst die Exkursion nicht ohne eine weibliche Begleitperson machen wollte, um nicht wegen Pädophilie ins Gerede zu kommen, fuhr Silke mit nach Rauris. An diesem Morgen blieb sie allerdings in der Pension, während Horst mit den Kindern zum Wandern ins Krumltal fuhr. Obwohl Silke meint, die Gruppe sei nicht mehr einzuholen, steigt Luba gleich wieder ins Auto.
So sieht sie aus, Horsts Naturidylle. Protzige Felsen, saftiges Gras, Blümchen. Und tonnenschwere Kampfkühe, die den Weg versperren.
Luba kehrt um. Auf einer Bank sieht sie ein Mädchen sitzen, das den Kopf in den Nacken gelegt hat, um einen rüttelnden Turmfalken zu beobachten. Das Kind heißt Helga und gehört zu den "Grünspechten". Weil Helga sich wie Luba vor den Kühen am Weg fürchtete, sollte sie in einer nahen Gaststätte unter Obhut der Wirtin zurückbleiben, aber sie hat es vorgezogen, auf der Bank im Freien zu sitzen. |
Buchbesprechung:
Selma Mahlknecht (* 1979) versetzt sich in ihrem Roman "Luba und andere Kleinigkeiten" in die Rolle der 31-jährigen Lokalreporterin Luba, die unerwartet feststellt, dass sie schwanger ist. Ihrem Lebensgefährten Horst, dem Vater des Kindes, verschweigt sie es zunächst, denn die Neuigkeit, die alles zu verändern droht, wirft Luba aus der Bahn, verunsichert und überfordert sie.
Mir wird ganz warm bei dem Gedanken. Oder kommt die Wärme daher, dass mein Handy mit seinen Mikrowellen mein Hirn röstet? Ich sollte mich kurz fassen. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2016
Selma Mahlknecht: Helena |