David Malouf: Die Nachtwache am Curlow Creek (Roman) |
David Malouf: Die Nachtwache am Curlow Creek |
Inhaltsangabe: [...] Jed Snelling war ohne warnendes Vorzeichen zu etwas Unvorstellbarem geworden, zu einem Mann, dem ein Speer seitlich im Hals steckte und der auf dem unebenen Boden in die Knie gesunken war, gurgelnd [...] (Seite 20)
Als Garrety eine Gruppe von fünf Rebellen aufgespürt hatte, schickten sie Jonas zurück zu einer Trooper-Einheit auf der anderen Seite des Berges. Die traf sechsunddreißig Stunden später ein, aber sie warteten auch noch die ganze nächste Nacht und griffen die schlafenden Rebellen erst im Morgengrauen an. Sie töteten den hünenhaften Anführer Dolan und zwei seiner Leute. Lukey Cassidy, ein alberner Bursche, der noch keine fünfzehn war, entkam, aber einige der Trooper verfolgten ihn und töteten ihn drei Tage später. Mit dem einzigen Überlebenden, einem Iren namens David Carney, ritten die Trooper zum Curlow Creek, und weil sie selbst keine amtliche Befugnis für eine Hinrichtung hatten, mussten sie neun Tage lang auf eine Entscheidung aus Sydney warten. Dann traf eine vom Gouverneur unterzeichnete Urkunde ein: David Carney solle gehängt werden, und zwar im Beisein eines Polizeioffiziers, der sich bereits auf den Weg gemacht habe. Der Mann erhob sich schwankend. Blut floß ihm aus einem Auge. Er stand wie ein Stier da, die Schultern vorgestreckt, den Kopf gesenkt. Doch bevor er etwas tun konnte, hatte Garrety so behend wie immer eingegriffen und ihm einen Schlag auf die Kinnlade verpasst, fest und wild, war zurückgetreten, die Fäuste erhoben wie ein Boxer, der willens ist, erneut zuzuschlagen, sollte sich der andere zur Wehr setzen. Aber das tat er nicht. Er sank auf die Knie und verdrehte die Augen, als würde er gleich das Bewusstsein verlieren. Dann erholte er sich, schüttelte den massigen Kopf und schaute aus dem heilen Auge zu Garrety hoch, auf eine jammervolle, verständnislose Art, als könne er nicht begreifen, woher der andere gekommen war. (Seite 27f)
Der wie Carney aus Irland stammende Offizier Michael Adair verbringt die Nacht mit dem verwahrlosten, übel zugerichteten Gefangenen in der stinkenden Hütte. Im Morgengrauen soll David Carney gehängt werden. Die Trooper am Lagerfeuer beobachten argwöhnisch, dass die beiden Männer in der Hütte miteinander zu reden beginnen. Virgilia blieb die bewegende Kraft. Adair hatte ihr schon vor langem und durchaus bereitwillig die Führung überlassen. Aber mit Fergus, klein, wie er war, ließ sich nicht so leicht fertig werden. Er wollte ihr gegenüber nicht widerspenstig sein. Es war bloß so, dass er keine Vorstellung davon hatte, was sie von ihm erwartete, es entsprach nicht seinem Wesen, im Zaum gehalten zu werden. (Seite 100f) Virgilia, Michael und Fergus wurden enge Freunde. Mit der Pubertät wurde ihr Verhältnis komplizierter, denn Michael verliebte sich in Virgilia und diese sich in Fergus.
Er [Michael Adair] war, auf seine Weise, ebenso fasziniert von Fergus wie sie, aber wenn er sie gewinnen wollte, konnte es nur auf Kosten von Fergus geschehen. Und immer gab es die hoffnungsvolle, hoffnungslose Möglichkeit, dass sie schließlich einsähe, dass ihre Leidenschaft für Fergus zu nichts führen konnte und er es war, der sie immer geliebt und geduldig an ihrer Seite ausgeharrt hatte und ihnen beiden stets eine nicht leichtfallende Treue hielt [...] (Seite 188f)
Mit siebzehn wurde Michael Adair sich darüber klar, dass Fergus der Erbe von Ellersley war, während er selbst eines Tages eigene Wege würde gehen müssen. Ein schlechtes Gewissen hatte er, weil er sich wie ein Kuckucksjunges vorkam und Mama Aimées Liebling geworden war. Wild dreinblickende Burschen, die keinen Ton herausbrachten, tauchten in Ellersley auf und standen da, die Mütze in der Hand, bis er kam und mit ihnen sprach [...] Er ritt dann mit ihnen davon, blieb ganze Tage und Nächte fort und sah, wenn er zurückkam, aus, als hätte er in Gräben geschlafen oder Schlägereien überstanden. Mama Aimée tobte. James Connellan, wie immer mit seinen eigenen Dingen beschäftigt, zuckte mit den Schultern; der Junge war sein eigener Herr. (Seite 186f)
Nach einer Jagd ritt Fergus einmal mit Virgilia und Michael zu einem kleinen Dorf, um Mrs O'Riordan zwei Hasen zu bringen. Sie lebte mit ihrer Tochter Marnie, den Söhnen Donagh und Sean sowie ihren kleinen Kindern Annie und Declan in einer Hütte. Ihren Mann hatte man des Schafdiebstahls beschuldigt und für sieben Jahre nach New South Wales am anderen Ende der Welt deportiert. Sie würde altern im Fanatismus ihrer ersten Liebe. Die Sehnsucht und die Seelenqual, von dieser Liebe verursacht, würden mit der Zeit – er kannte nur zu gut diese Form der Anpassung – eine eigene Art Befriedigung schaffen, bitter, aber auch beruhigend. Sie würde an dem festhalten, was sie verloren hatte, aus keinem anderen Grund, als um zu beweisen, dass sie es einst besessen hatte, und würde Hingabe zum Kult machen. (Seite 221)
Schließlich erfuhr er von Marnie O'Riordan, die inzwischen als Dienstmädchen für Virgilia und ihren seit einem Schlaganfall gelähmten Vater arbeitete, dass ihr Vater glaubte, Fergus in New South Wales gesehen zu haben. Michael Adair machte sich auf den Weg, um seinen Stiefbruder zu suchen. Er [Michael Adair] hat Mama Aimée geschrieben, nicht aber Virgilia. Nicht deshalb, weil jeder Brief, den er jetzt noch schreibt, mit ihm auf dem Schiff reisen müsste, sondern weil er endlich ohne irgendwelche Einschränkungen vor ihr erscheinen will, ohne Vermittler, in eigener Person; das neue Ich, das von diesem herben Land und den Ereignissen der letzten Monate geformt worden ist: ein Ich, das in die Unterwelt gereist und zurückgekehrt ist, sich seiner gewiss geworden und verändert ist. Er hat alles erfüllt, was sie von ihm, ihrem Beauftragten in der Suche nach Fergus und ihrem Boten, hätte er ihn gefunden, erbeten hat, und er hat alles erfüllt, was Fergus und sein eigenes Gewissen an Brüderlichkeit und Liebe verlangen konnten. Er ist frei. Endlich gibt es nur noch sie und ihn. Beide frei, das Leben vor ihnen. Er wird mit der Sicherheit zu ihr kommen, die ihm das gibt, was er ein für allemal zu bieten hat und was sie entweder annehmen oder ablehnen muss. (Seite 262)
Vier Jahre später sieht Ben Langhurst mit seiner achtzehn Monate alten Tochter auf dem Arm seiner Frau beim Aufhängen der Wäsche zu, als ein fremder Reiter die Nachricht überbringt, man habe Tom Garrety als Mitglied einer Bande von Rebellen erschossen. |
Buchbesprechung: |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 Textauszüge: © Paul Zsolnay Verlag Seitenanfang |