Monika Maron: Stille Zeile Sechs (Roman) |
Kritik: Obwohl der Inhalt des Romans "Stille Zeile Sechs" von Monika Maron bedrückend ist, machen kluge Gedanken, feinsinnige Beobachtungen und sprachlich geschliffene Formulierungen die Lektüre zu einem Lesevergnügen. ![]() |
||||
Monika Maron: |
||||
Inhalt: 1985 beendet die 42-jährige Ostberliner Historikerin Rosalind Polkowski ihre Berufstätigkeit, weil sie nicht mehr gegen Bezahlung denken möchte. Als ihr der 78-jährige frühere Funktionär Herbert Beerenbaum vorschlägt, sich von ihm zwei Nachmittage pro Woche seine Memoiren diktieren zu lassen, nimmt sie sein Angebot an. Eigentlich will sie nur tippen, aber sie kann nicht anders, als mit dem Stalinisten zu streiten ... ![]() |
Stille Zeile Sechs |
|||
Monika Maron: Stille Zeile Sechs |
Inhaltsangabe:Rosalind Polkowski wurde 1943 geboren. Ihren Vater Fritz Polkowski sah sie zum ersten Mal, als sie sieben Jahre alt war; da kam er aus der Gefangenschaft. Obwohl er nur einen Volksschulabschluss hatte, wurde er Lehrer und arbeitete sich zum Rektor hoch, ausgerechnet in der Ostberliner Schule, die auch Rosalind besuchte. Mit dreizehn fragte sie ihren Vater, warum die Arbeiterklasse die Nationalsozialisten nicht verhindert habe. Da rastete er aus und warf ihr vor, die Opfer zu verhöhnen. Aber sie erwiderte: Wenn das Opfer sich nicht wehrt, hat es auch Schuld. (Seite 74)
Damals lernte sie, dass ihr Vater sie beachtete, wenn sie ihm unbequeme Fragen stellte. Nachdem es ihr nicht gelungen war, ihm zu gefallen, trachtete sie aufgrund dieser Erkenntnis danach, ihm zu missfallen, und sie kritisierte die Kommunisten bei jeder Gelegenheit. Die Eltern konnten sich ihren politischen Meinungswandel nicht erklären. Weil Fritz Polkowski daraufhin die Schulklasse, zu der seine Tochter gehörte, besonders streng führen ließ, Rosalind aber verhindern wollte, dass ihre Mitschülerinnen sie für eine Petze hielten, gebärdete sie sich besonders aufsässig.
Die Parteikonferenz hatte mich zu interessieren für Geld, das ich für Würstchen ausgab, die ich an Katzen verfütterte [...]
Sie will nicht mehr für Geld denken müssen und kündigt. Unsere Universität war der Klassenkampf. Unser Latein waren Marx und Lenin. (Seite 135)
Nach Hitlers Machtübernahme schickte ihn die Untergrund-Parteiführung nach Moskau, während seine Freundin Grete in Berlin zurückblieb und im Herbst 1939 ins Konzentrationslager Ravensbrück gesperrt wurde. Nach dem Krieg trafen sie sich wieder und heirateten. Grete Beerenbaum starb vor drei Jahren. Der Sohn des Paares, Michael Beerenbaum, ist Major.
Es war eine schöne, aber schwere Zeit, sagte ich, weil ich wusste, dass dieer Satz jetzt gesagt werden musste.
Zufällig erfährt sie, dass Beerenbaum im Herbst 1962 dafür sorgte, dass der Sinologe Karl-Heinz Baron ("Graf"), ein gemeinsamer Freund von ihr und Bruno, für drei Jahre eingesperrt wurde, weil er einem Republikflüchtling das Manuskript der Doktorarbeit nachgeschickt hatte und denunziert worden war. Beerenbaum, der damals Staatsfeinde an der Universität beobachtete, meldete ihn der Sicherheitspolizei und bezeichnete ihn in einer Stellungnahme der Universität als "reaktionäres Subjekt". |
Buchbesprechung:Monika Maron erzählt die Geschichte in "Stille Zeile Sechs" in der Ich-Form aus der Sicht der Protagonistin Rosalind Polkowski. Elegant wechselt sie zwischen der Gegenwart – dem Begräbnis des früheren SED-Funktionärs Herbert Beerenbaum – und ihren Erinnerungen an die Auseinandersetzungen mit ihm während der letzten Monate hin und her. Obwohl der Inhalt bedrückend ist, machen kluge Gedanken, feinsinnige Beobachtungen und sprachlich geschliffene Formulierungen die Lektüre zu einem Lesevergnügen. Ich hätte gerne noch gesagt, dass im Konkretum Mensch das Abstraktum Freiheit existieren könne wie eine Luftblase im Bernstein, die ohne den Bernstein schließlich nichts sei als Luft und keinesfalls eine Blase. (Seite 54) |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Monika Maron: Animal triste |