Fernando Pessoa: Ein anarchistischer Bankier (Roman) |
Fernando Pessoa: Ein anarchistischer Bankier |
Inhaltsangabe:Zwei befreundete Herren haben miteinander zu Abend gegessen. Als die Unterhaltung ins Stocken gerät und erstirbt, wendet der Erzähler sich mit der erstbesten Idee, die ihm durch den Kopf geht, an sein Gegenüber: Mir wurde erzählt, Sie seien früher Anarchist gewesen. (Seite 7) Der Angesprochene, der es vom mittellosen Arbeiter zum reichen Bankier gebracht hat, bestätigt das und beteuert zur Verwunderung des Fragestellers, es immer noch zu sein.
In mir – jawohl, in mir, dem Bankier, dem großen Händler und Schieber, wenn Sie es so hören wollen – in mir vereinigen sich beide, Theorie und Praxis des Anarchismus, aufs genaueste. Sie haben mich mit diesen Idioten von Bombenlegern, mit denen von der Gewerkschaft verglichen, um zu beweisen, ich sei anders als sie. Das bin ich auch, nur ist der Unterschied folgender: die da (jawohl, die da, nicht ich) sind nur in der Theorie Anarchisten, ich bin es in der Theorie und in der Praxis. Die da sind Anarchisten und Dummköpfe, ich bin Anarchist und gescheit. Darum, mein Guter, bin ich der wahre Anarchist. (Seite 9) Dem Anarchisten – so der Bankier –, gehe es darum, alle gesellschaftlichen Konventionen und Fiktionen abzuschaffen, "angefangen von der Familie bis hin zum Geld, von der Religion bis zum Staat" (Seite 14). Anders als etwa ein Sozialist will der Anarchist nicht eine andere Ideologie durchsetzen, sondern alle Fiktionen abschaffen. Und jedes System – außer dem rein anarchistischen, das ja all diese Fiktionen samt und sonders abschaffen will – ist auch nur eine Fiktion. (Seite 15) Um dieses Ziel zu erreichen, hatte er sich noch als Arbeiter mit etwa vierzig Gleichgesinnten zusammengetan, doch unversehens waren innerhalb der Gruppe neue Macht- und Unterdrückungsstrukturen entstanden: Eine kleine Gruppe aufrichtiger Leute (ich stehe dafür ein, dass sie aufrichtig waren!), die sich ausdrücklich zusammengetan und vereint hatte, um sich für die Sache der Freiheit einzusetzen, konnte nach ein paar Monaten nichts anderes an Konkretem und Handfestem vorweisen als – Tyrannei in den eigenen Reihen. (Seite 36)
Aufgrund dieser Erfahrung gewann er die Überzeugung, jeder müsse unabhängig von den anderen weitermachen. Als die Gruppe diesen Vorschlag rundheraus ablehnte, zog er sich frustriert zurück, um den Kampf allein fortzusetzen.
Ich habe Freiheit geschaffen. Ich habe jemanden befreit. Mich habe ich befreit. (Seite 58) Mehr war nicht möglich. |
Buchbesprechung:
Ein wohlhabender Bankier doziert im Gespräch mit einem Freund über den Anarchismus. Mit spitzfindigen Argumenten und verblüffenden Schlussfolgerungen begründet er, wieso er sich für einen konsequenten Anarchisten hält, der nicht nur vom Anarchismus spricht, sondern auch danach lebt. Der radikale Egoismus des Bankiers entspricht Pessoas radikalem (pluralisierten) Individualismus aus dem die Forderung nach der Unantastbarkeit individueller Freiheit spricht – in weltanschaulichen, religiösen, sexuellen, ja auch in nichtssagenden Angelegenheiten. (Reinhold Werner im Nachwort zu "Ein anarchistischer Bankier")
Fernando António Nogueira Pessoa (1888 – 1935) ging nach der Wiederverheiratung seiner verwitweten Mutter in Südafrika zur Schule. 1905 kehrte er nach Lissabon zurück und arbeitete bis zu seinem Tod als Handelskorrespondent. Er veröffentlichte nur wenig, aber in seinem Nachlass wurden mehr als 24 000 zumeist fragmentarische Manuskripte gefunden. Fernando Pessoa gilt als einer der bedeutendsten Lyriker Portugals. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2006 |