Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues (Roman) |
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues |
Inhaltsangabe: Wir lernten, dass ein geputzter Knopf wichtiger ist als vier Bände Schopenhauer. Zuerst erstaunt, dann erbittert und schließlich gleichgültig erkannten wir, dass nicht der Geist ausschlaggebend zu sein schien, sondern die Wichsbürste, nicht der Gedanke, sondern das System, nicht die Freiheit, sondern der Drill.
In der Nacht bevor Paul Bäumer und seine Kameraden an die Front verlegt werden, lauern sie Himmelstoß nach dessen Kneipenbesuch auf, werfen ihm von hinten ein Bettlaken über den Kopf, damit er sie nicht erkennt und verprügeln ihn. Sie [die Lehrer] sollten uns Achtzehnjährigen Vermittler und Führer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen kleine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autorität, dessen Träger sie waren, verband sich in unseren Gedanken größere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrümmerte diese Überzeugung. In den verschiedenen Unterrichtsfächern haben sie allerhand gelernt.
Aber niemand hat uns in der Schule beigebracht, wie man bei Regen und Sturm eine Zigarette anzündet, wie man ein Feuer aus nassem Holz machen kann – oder dass man ein Bajonett am besten in den Bauch stößt, weil es da nicht festklemmt wie bei den Rippen. Josef Behm, der einzige Klassenkamerad, der bis zuletzt gezögert hatte, sich freiwillig zu melden, ist einer der Ersten, die fallen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schuss in die Augen, und wir ließen ihn für tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir überstürzt zurück mussten. Nachmittags hörten wir ihn plötzlich rufen und sahen ihn draußen herumkriechen. Er war nur bewusstlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, sodass er von drüben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen.
150 Mann zählt die Kompanie, als sie wieder in den Kampf geschickt wird. Zwei Wochen später kommt die Ablösung. Da sind es nur noch 80. Nachts rücken sie in die Quartiere neun Kilometer hinter der Front ein und erheben sich erst gegen Mittag wieder aus ihren Feldbetten. Der Furier hat für 150 Mann Versorgung erhalten, und der Küchenbulle für 150 gekocht. Deshalb ist es ein guter Tag für Paul Bäumer und seine Kameraden. Wenn Müller gern Kemmerichs Stiefel haben will, so ist er deshalb nicht weniger teilnahmsvoll als jemand, der vor Schmerz nicht daran zu denken wagte. Er weiß nur zu unterscheiden. Würden die Stiefel Kemmerich etwas nutzen, dann liefe Müller lieber barfuß über Stacheldraht, als groß zu überlegen, wie er sie bekommt. So aber sind die Stiefel etwas, das gar nichts mit Kemmerichs Zustand zu tun hat, während Müller sie gut verwenden kann. Kemmerich wird sterben, einerlei, wer sie erhält. Warum soll deshalb Müller nicht dahinter her sein, er hat doch mehr Anrecht darauf als ein Sanitäter! Wenn Kemmerich erst tot ist, ist es zu spät. Deshalb passt Müller eben jetzt schon auf. Stanislaus Katczinsky ist mit vierzig Jahren mehr als doppelt so alt wie die früheren Klassenkameraden, aber sie haben sich im Feld mit ihm angefreundet und sind froh darüber, denn er verfügt über eine besondere Begabung, etwas Essbares aufzutreiben. Ich bin überzeugt, wenn man ihn in der Wüste aussetzte, würde er in einer Stunde ein Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden. Erneut müssen die Jungen nach vorne. Wir fahren ab als mürrische oder gut gelaunte Soldaten, – wir kommen in die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
Einem Rekruten wird das Hüftgelenk zerschmettert. Bäumer springt während eines Angriffs in einen Granattrichter. Es ist dunkel, aber er spürt einen Toten neben sich und greift in Holzsplitter: Es handelt sich um einen Friedhof. Sein früherer Klassenkamerad Haie Westhus erwischt ein französisches Stangenbrot und schiebt es hinter sein Koppel. Das eine Ende ist blutig, aber das kann man wegschneiden. Einen Verwundeten hören sie zwei Tage lang schreien und können ihn nicht finden. Haie Westhus wird mit abgerissenem Rücken fortgeschleppt; bei jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde. Ich kann ihm noch die Hand drücken; – "is alle, Paul", stöhnt er und beißt sich vor Schmerz in die Arme.
Bäumer erhält schließlich vierzehn Tage Heimaturlaub und drei Reisetage. Als er auf der Treppe in seinem Elternhaus seiner Schwester Erna begegnet und sie rufen hört: "Mutter, Mutter, Paul ist da!", weint er plötzlich. Die krebskranke Mutter fragt naiv: "War es sehr schlimm draußen, Paul?" Wir sind ohne Hoffnung, dass einmal ein Ende sein könnte. Wir denken überhaupt nicht so weit.
Im Sommer 1918 fällt Stanislaus Katczinsky beim Essenfassen unvermittelt um. Sein Schienbein ist zerschmettert. Die Wunde blutet heftig. Bäumer nimmt ihn auf den Rücken und versucht, ihn zur nächsten Sanitätsstation zu tragen. Mehrmals geraten sie unter Beschuss. Mit letzter Kraft schafft Bäumer es bis zur Station; dort bricht er erschöpft zusammen, ist aber noch genügend bei Bewusstsein, um sich nach der Seite von Katczinskys gesundem Bein fallen zu lassen. "Das hättest du dir sparen können", meint der Sanitäter. Unterwegs hat ein Splitter Katczinskys Schädel durchschlagen. Er ist tot.
Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden. |
Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam.
Ungeachtet dieser Zeilen, die Erich Maria Remarque seinem Roman vorangestellt hat, ist "Im Westen nichts Neues" doch eine Anklage gegen den Krieg und vor allem gegen die Erwachsenen, die mit ihren patriotischen Phrasen die Jugend in den Krieg getrieben haben. Erst an der Front durchschauen die jungen Männer, die gerade noch auf den Schulbänken saßen, dass sie dort keine Helden werden können, sondern als Menschenmaterial herumkommandiert werden. Inneren Halt bietet nur die Kameradschaft. Selbst die Überlebenden gehören einer "verlorenen Generation" an, denn sie haben zu viele sinnlose Grausamkeiten erlebt, um jemals wieder ein "normales" Leben führen zu können. Der Ullstein-Verlag warb für das am 31. Januar 1929 mit einer Startauflage von 30 000 Exemplaren veröffentlichte Buch mit einem in Deutschland bis dahin noch nie da gewesenen Aufwand: Die verlagseigenen Tageszeitungen brachten Rezensionen von Carl Zuckmayer und anderen bekannten Schriftstellern, Leseproben wurden als Postwurfsendungen verteilt und Buchhändler erfuhren fast täglich die neuen Verkaufszahlen. Im September lag die Auflage bereits bei 800 000. Mit "Im Westen nichts Neues" wurde Erich Maria Remarque über Nacht weltberühmt. Der in dreißig bis fünfzig Sprachen übersetzte Roman gilt als einer der größten Bucherfolge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Gesamtauflage wird auf 20 bis 30 Millionen geschätzt.
"Im Westen nichts Neues" gibt es auch als Hörbuch, gelesen von August Diehl (Hörverlag, München 2006, 5 CDs).
Im Westen nichts Neues - Originaltitel: All Quiet on the Western Front - Regie: Lewis Milestone - Drehbuch: Del Andrews, Maxwell Anderson und George Abbott, nach dem Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque - Kamera: Arthur Edeson - Schnitt: Edgar Adams - Musik: Sam Perry, Heinz Roemheld - Darsteller: Louis Wolheim, Lew Ayres, John Wray, Arnold Lucy, Ben Alexander, Scott Kolk, Owen Davis Jr., Walter Rogers, William Bakewell, Russell Gleason, Richard Alexander, Harold Goodwin, Slim Summerville, G. Pat Collins, Beryl Mercer, Edmund Breese u.a. - 1930; 135 Minuten
Erich Maria Remarque hieß eigentlich Ernst Paul Remark (1898 - 1970). Der Sohn eines Buchbinders meldete sich 1916 nach dem Notexamen als Kriegsfreiwilliger und kam an die Westfront. Nach dem Krieg schlug er sich jahrelang als Lehrer, Buchhalter, Journalist, fahrender Händler und Organist durch, bis er aufgrund des Romanerfolgs keine finanziellen Sorgen mehr hatte und in den Tessin übersiedelte. Joseph Goebbels organisierte 1930 in Berlin Krawalle gegen die Aufführung des Kinofilms "Im Westen nichts Neues". Die Nationalsozialisten verbrannten 1933 Remarques Bücher und entzogen ihm 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft. 1939 emigrierte er nach New York, und 1947 wurde er Staatsbürger der USA. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2004 Textauszüge: © Kiepenheuer & Witsch, Köln Seitenanfang |