Eric-Emmanuel Schmitt: Oskar und die Dame in Rosa (Erzählung) |
Eric-Emmanuel Schmitt: |
Inhaltsangabe:
... kurz, das Krankenhaus ist spitze, wenn man ein Kranker ist, der Freude macht.
Oma Rosa behauptet, früher eine erfolgreiche Catcherin gewesen zu sein und 160 von 165 Kämpfen gewonnen zu haben, davon 43 durch K. o. "Die Würgerin des Languedoc" sei sie genannt worden. Und sie erzählt Oskar von ihren unglaublichen Kämpfen.
"Oma Rosa, ich hab das Gefühl, dass niemand mir sagen will, dass ich sterben muss."
Von einem anderen Patienten erfährt er eines Tages, seine Eltern seien mit dem Auto gekommen.
Und da habe ich verstanden, dass meine Eltern Feiglinge sind. Schlimmer: Zwei Feiglinge, die mich für einen Feigling halten! (Seite 27)
Damit sie ihn nicht vor der Tür ertappen, versteckt er sich im Besenschrank. "Von heute an wirst du jeden einzelnen Tag so betrachten, als würde er zehn Jahre zählen." (Seite 38) Am folgenden Tag, einem Sonntag, kommen die Eltern wie gewohnt zu Besuch, erwähnen nichts von ihrem Gespräch mit Doktor Düsseldorf und bringen wie immer Geschenke mit. Seitdem ich ständig im Krankenhaus bin, fällt es meinen Eltern schwer, mit mir zu reden; deshalb bringen sie mir Geschenke mit, und den ganzen belämmerten Nachmittag verbringen wir damit, Spielregeln und Gebrauchsanweisungen zu studieren. Mein Vater schreckt vor keiner Anleitung zurück: Selbst wenn sie auf Türkisch oder Japanisch ist, lässt er sich nicht entmutigen, er vertieft sich in die Pläne. Er ist ein Weltmeister im Sonntagnachmittageverderben. (Seite 49f) In dem Krankenhaus sind auch noch andere Kinder: Yves, den sie wegen seiner riesigen Brandwunden "Bacon" nennen. Der neunjährige "Popcorn", der 1.10 m groß ist, 98 kg wiegt und deshalb zum Abnehmen hier ist. "Einstein", der nicht etwa so heißt, "weil er intelligenter wäre als die anderen, sondern weil sein Kopf doppelt so groß ist. Anscheinend hat er Wasser drin." "Peggy Blue", die aufgrund von Sauerstoffmangel eine bläuliche Hautfarbe hat. Von Oma Rosa ermutigt, geht Oskar zu Peggy Blue, um ihr seinen Schutz anzubieten, doch Popcorn verscheucht ihn. Sandrine, die ebenfalls unter Leukämie leidet und ihre Kahlheit unter einer schwarzen Pony-Perücke verbirgt, die sie wie eine Chinesin aussehen lässt, fordert Oskar zu einem Kuss auf und schiebt ihm dabei ihren Kaugummi in den Mund, den er vor Schreck verschluckt. Oma Rosa spornt ihn an, sich nicht von Popcorn einschüchtern zu lassen, und tatsächlich weist Peggy Blue ihn nicht zurück, sondern lässt sogar zu, dass er sich neben sie ins Bett legt. Mit dem Kinderkriegen, so haben Peggy Blue und ich beschlossen, wollen wir uns noch ein wenig Zeit lassen. Peggy ist, glaube ich, noch nicht reif genug dafür. (Seite 57) In der Krankenhauskapelle, wohin Oma Rosa ihn führt, sieht Oskar zum erstenmal ein Kruzifix. Da erklärt ihm Oma Rosa: "Wenn man dir Nägel in die Hände haut oder in die Füße, dann kannst du nicht verhindern, dass dir das weh tut. Das musst du aushalten. Dagegen muss dir der Gedanke zu sterben nicht weh tun. Du weißt ja nicht, was das bedeutet. Also hängt es ganz allein von dir ab." (Seite 65)
Oma Rosa lädt Peggy Blue ein, mit ihr und Oskar Tee zu trinken. Am nächsten Tag wird das Mädchen operiert. Oskar darf mit Peggys Eltern am Bett wachen, während sie aufgrund der Narkose noch schläft. Oma Rosa hat wohl mit ihnen gesprochen; sie behandeln ihn mit Respekt, und als sie gehen müssen, sagen sie: "Wir vertrauen dir unsere Tochter an." |
Ich selbst bin Oskar gewesen. Das Kind, mit dem man nicht mehr spricht, weil einem sein Gesundheitszustand Angst einjagt. Das Kind, das unter dem Schweigen seiner Nächsten leidet, unter dem Schweigen des Himmels, unter all den offen bleibenden Fragen, und das dennoch nie seine unendliche Lebensfreude verliert. (Eric-Emmanuel Schmitt) Mit diesen Worten wird Eric-Emmanuel Schmitt auf dem Buchrücken zitiert. Auf seiner Website heißt es dagegen:
Als Kind war ich oft in Krankenhäusern. Nicht, dass ich oft krank gewesen wäre: ich begleitete meinen Vater, der Kinder betreute. Als Krankengymnast arbeitete er in Kinderkliniken, Heimen für körperlich und geistig Behinderte und in Häusern für Stumme und Taube.
Diese Erfahrung verarbeitete Eric-Emmanuel Schmitt in der Geschichte über einen leukämiekranken Jungen, der nur noch wenige Tage zu leben hat, aber sich seine Lebensfreude bis zuletzt bewahrt, indem er dem Rat einer älteren Krankenschwester folgt und jeden Tag so intensiv erlebt, als handele es sich um eine Zeitspanne von zehn Jahren. "Machen Sie doch nicht so ein Gesicht, Doktor Düsseldorf. Hören sie, ich will ganz offen mit Ihnen reden; ich war immer sehr gewissenhaft beim Schlucken meiner Pillen, und Sie waren immer sehr korrekt beim Behandeln meiner Krankheit. Hören Sie also auf, so schuldbewusst zu gucken. Es ist nicht Ihre Schuld, wenn sie den Leuten schlechte Nachrichten überbringen müssen [...] Sie müssen sich entspannen. Zur Ruhe kommen. Sie sind nicht Gottvater. Sie können nicht über die Natur bestimmen. Sie sind nur eine Art Mechaniker. Sie müssen mal loslassen, Doktor Düsseldorf, locker werden und sich selbst nicht so wichtig nehmen, sonst werden Sie diesen Beruf nicht lange ausüben können. [...] (Seite 95f)
Das Zitat aus "Oskar und die Dame in Rosa" illustriert beispielhaft eine Inkongruenz, die es dem Leser erschwert, Anteil an dem bewegenden Schicksal dieses todkranken Patienten zu nehmen.
Eric-Emmanuel Schmitt selbst verfilmte seine Erzählung "Oskar und die Dame in Rosa":
Oskar und die Dame in Rosa – Originaltitel: Oscar et la dame rose – Regie: Eric-Emmanuel Schmitt – Drehbuch: Eric-Emmanuel Schmitt, nach seiner Erzählung "Oskar und die Dame in Rosa" – Kamera: Virginie Saint-Martin – Schnitt: Philippe Bourgueil – Musik: Michel Legrand – Darsteller: Michèle Laroque, Amir, Max von Sydow, Amira Casar, Mylène Demongeot, Constance Dollé, Simone-Elise Girard u.a. – 2009; 105 Minuten |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003 / 2010
Eric-Emmanuel Schmitt (Kurzbiografie / Bibliografie) |