Andrzej Szczypiorski: Eine Messe für die Stadt Arras (Roman) |
Andrzej Szczypiorski:
|
Inhaltsangabe:
Jean war in Gent aufgewachsen und im Alter von zwanzig Jahren ungebildet nach Arras gekommen. Dort nahm sich der sittenstrenge Geistliche Albert des jungen Mannes an, der aus Gent ein frivoles Leben gewohnt war und mit dem Fürstbischof von Utrecht, David von Burgund (1457 – 1496), befreundet war, einem unehelichen Sohn des Herzogs Philipp der Gute. Der königliche Bastard – ein unverwüstlicher Gauner, der Teufel in leibhaftiger Gestalt, ein Vielfraß, ein Lügner, voll wilden Stolzes und der verrücktesten Einfälle –, und ihm gegenüber ein Weiser, nur aus Wissen, Ernst und Tugendhaftigkeit gebildet. (Seite 27)
Albert hielt die Bürger von Arras zu einem gottgefälligen Leben an und drohte ihnen mit Hölle und Fegefeuer. Einige von ihnen waren deshalb fortgezogen, in andere Länder, "dorthin, wo es weniger Heiligkeit, aber dafür mehr zu essen" gab (Seite 32). Wie stets, wenn die Menschen das Ende aller Dinge voraussehen, wurde die Stadt von den zügellosesten Lastern erfasst. (Seite 72)
Auch als die Zahl der Pestopfer zurückging und die Seuche aufhörte, spielten sich noch immer "lästerliche und geile Szenen" ab (Seite 82), doch nach und nach begannen sich die Bewohner von Arras zu schämen, und sie verlangten nach Läuterung. Weil Alberts Gebete und Predigten das Unglück nicht abgewendet hatten, zweifelte man an ihm. Bisher verharrten wir alle ausnahmslos – lebend oder sterbend in einem Zustand der Unterwürfigkeit [...] Unterwürfigkeit, Willfährigkeit, macht den Reiz unserer Existenz aus. Als Gegenleistung empfangen wir Schutz und Friede, mit einem Wort: die Willfährigkeit gestattet uns die Freude am Leben. Ohne sie lässt uns das Schicksal zur Beute unserer Vereinzelung werden. (Seite 79) Zimmerleute, Tuchmacher, Schmiede und Bäcker wurden in den bis dahin Patriziern vorbehaltenen Stadtrat aufgenommen. Das war für die einfachen Leute nicht leicht: Bisher hatten sie immer nur gegen die Verordnungen des Rats protestiert, ohne eigene Vorschläge zu machen, doch nun mussten sie selbst Entscheidungen treffen. Das fanden die neuen Ratsmitglieder unbequem und hörten lieber wieder auf Albert. Indem er die Macht mit den Ungebildeten teilte, behielt er sie ganz für sich! (Seite 114)
1461 fand der Tuchmacher Gervais eines seiner edlen arabischen Pferde, das am Abend noch gesund gewesen war, am nächsten Morgen verendet im verschlossenen Stall vor. Ein Seiler sagte als Zeuge aus, der Jude Celus habe in der Nacht Verwünschungen ausgestoßen. Celus wurde festgenommen, aber noch bevor der Fall geklärt war, erhängte er sich im Keller des Rathauses. Ihr eigenes Unrecht wollten sie in Judenblut ertränken! (Seite 166)
Und weil es ohnehin galt, Arras von allen Teufeleien zu reinigen, ließ der Rat den Juden bei lebendigem Leib auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Außerdem wurden Häuser im Judenviertel angezündet. "Wie gescheit ist Herr Jean!", riefen sie. "Viel zu gescheit, um in unserer Stadt weiterzuleben. Wir verlangen reinen demütigen Glauben, verlangen Gehorsam gegenüber dem Himmel und wünschen keine Neunmalgescheitheiten, die uns mit der Kompliziertheit ihrer Rede und ihrer Gedankengänge beleidigen. Unsere Hände sind schwielig geworden von schwerer Arbeit, und wir vertrauen nur unseren Händen und den Lehren der heiligen Kirche. Herr Jean aber verbringt Tage und Jahre mit Disputen und hat sich einen Verstand angeeignet, der des Satans Altar ist." (Seite 205)
Zunächst musste Jean nur den Rat verlassen, aber kurz darauf warnte ihn das Ratsmitglied Pierre de Moyes vor der bevorstehenden Verhaftung. Jean beschloss, aus Arras zu fliehen und zu Bischof David zu reiten. Ein Diener sollte ihm ein Pferd bereitstellen. Um Mitternacht schlich Jean zum Stadttor des heiligen Ägidius. Während es sonst bei Einbruch der Dunkelheit verriegelt wurde, stand es in dieser Nacht weit offen. Da ahnte Jean, dass ihn der Diener verraten hatte, und statt in die Falle zu tappen, kehrte er nach Hause zurück. Nach außen hin also war die Stadt in Festtagsstimmung, in den Herzen der Menschen aber mehrten sich Trauer und Furcht. (Seite 267)
David, der sich freute, Jean wiederzusehen, las eine Messe für die Stadt Arras. Er vergab alle Sünden, erklärte die Ketzer- und Hexenprozesse der letzten Monate für null und nichtig und rehabilitierte beispielsweise Icchak und Farias de Saxe. Statt die Ratsmitglieder, wie erwartet, hinrichten zu lassen, bezeichnete er sie als Dummköpfe und verbannte sie samt ihren Familien aus Arras. "Also, diese ganze ungeheuerliche gemeine Sünde soll sich nun als ein Nichts herausstellen und diese ganze Grausamkeit als Bagatelle? Wozu kroch denn die Stadt Arras in den stinkenden Mist ihrer Verbrechen und Ungesetzlichkeiten, wenn sich nun herausstellt, dass auch kein einziger Schritt vorwärts gemacht wurde? Haben wir dazu die Scheiterhaufen entzündet, die Juden gemartert sowie das einfache Volk, Adel und Priesterschaft, um nun von Euch zu hören, dass das alles nicht wahr, eitles Truggespinst unserer armen Sinne ist? Ihr sagt, es gibt keine Erlösung, kein besseres Teil für die Stadt Arras, für die ganze Welt? Wozu also hat der Sohn den Vater den Stadtknechten ausgeliefert, wozu hat man die jüdischen Gehöfte verbrannt, wozu die Leiber derer, die die Stadt für Abtrünnige hielt, in Fetzen gerissen? In die tiefsten Tiefen sind wir hinabgestiegen, um uns zu erhöhen – und Ihr, Fürst, sagt uns jetzt, dass ein derartiges Unrerfangen vergebliche Liebesmüh sei!" (Seite 296f) Aus Protest verließ Jean die Stadt und ritt nach Brügge, wo er dem Rat berichtete, was in Arras geschehen war. |
Buchbesprechung:
Die nordfranzösische Stadt Arras wurde im Frühjahr 1458 von der Pest heimgesucht. Gut drei Jahre später, im Oktober 1461 kam es zu einem drei Wochen dauernden Pogrom (Vauderie d'Arras). Einige Zeit später erklärte David von Burgund, der Fürstbischof von Utrecht, ein unehelicher Sohn Philipps des Guten, des Herzogs von Burgund,
|
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2008
Andrzej Szczypiorski: Die schöne Frau Seidenman |