Timur Vermes: Er ist wieder da (Roman) |
Timur Vermes: Er ist wieder da |
Inhaltsangabe:
Als Adolf Hitler zu sich kommt, liegt er auf einem unbebauten Grundstück mitten in Berlin. Die Wände der umliegenden Häuser sind beschmiert. Er hat Kopfschmerzen und einen Filmriss, aber an übermäßigem Alkoholkonsum kann es nicht liegen, denn er trinkt ja nichts außer Wasser, Tee und Fruchtsaft. Das Letzte, an das er sich erinnert, ist, wie er mit Eva auf dem Sofa saß und ihr seine alte Pistole zeigte. Seine Uniform riecht nach Treibstoff. Vermutlich hat Eva zu viel Reinigungsbenzin verwendet. Aus der Tatsache, dass kein Geschützdonner zu hören ist, schließt Hitler auf eine Gefechtspause. "Da hätte ich mir den ganzen Krieg ja schenken können!" Offenbar gibt es inzwischen wieder Parteien mit dem dazugehörigen Gezänk. Das Volk hat mich wohl am meisten überrascht. Nun habe ich ja wirklich das Menschenmögliche getan, um auf diesem vom Feinde entweihten Boden die Grundlagen für eine Fortexistenz zu zerstören. Brücken, Kraftwerke, Straßen, Bahnhöfe, ich habe die Zerstörung all dessen befohlen. [...] Man muss alle, und ich unterstreiche es nochmals, alle Sachwerte zerstören, nicht nur Häuser, auch Türen. Und Türklinken. Und dann auch die Schrauben, und nicht nur die großen. Die Schrauben muss man herausdrehen und sie dann unbarmherzig verbiegen. und die Tür muss man zermahlen, zu Sägemehl. Und dann verbrennen. Denn der Feind wird sonst unnachsichtig selber durch diese Tür ein und aus gehen, wie es ihm gerade beliebt. Aber mit einer kaputten Klinke und lauter verbogenen Schrauben und einem Haufen Asche, da wünsche ich dem Herrn Churchill viel Vergnügen!
Am nächsten Morgen rät ihm der Kioskbesitzer, etwas anderes anzuziehen, nicht nur wegen der Kunden, sondern vor allem, weil die Uniform so nach Benzin stinkt, dass man nicht wagt, in der Nähe eine Zigarette anzuzünden. Und weil Hitler keine anderen Kleidungsstücke besitzt, bringt ihm der Kioskbesitzer einen Tag später ein paar alte Sachen mit. Hitler zieht sich um und macht sich auf den vom Kioskbesitzer beschriebenen Weg zum "Blitzreinigung's Service Yilmaz". Mehmet, der Sohn des Besitzers, hält den Kunden für "Stromberg" aus der gleichnamigen Comedy-Fernsehserie und ist enttäuscht, als der Mann ihm zwar ein Autogramm gibt, aber nicht mit "Bernd Stromberg", sondern mit "Adolf Hitler" signiert. "Soit fönf Ohr fönfonvörzäg wörd zoröckgeschossen!" Da blickt Hitler ihn erst einmal aufmerksam an. Dann fragt er ihn über Polen aus und tut das, was Sawatzki aufsagt, als "Bücherwissen" ab.
"Vielleicht sind Sie ja in der Praxis besser. Sie haben 1,4 Millionen Mann zur Verfügung und 30 Tage Zeit, um ein ganzes Land zu erobern. 30 Tage, mehr nicht, denn im Westen rüsten fieberhaft Franzosen und Engländer. Wo fangen Sie an? Wie viele Heeresgruppen bilden Sie? Wie viele Divisionen hat der Feind? Wo erwarten Sie den größten Widerstand? Und was tun Sie, damit der Rumäne sich nicht einmischt?"
Die beiden Herren von Flashlight sind überzeugt, dass dies eine einstudierte Nummer ist. Sie sind begeistert, und Sensenbrink fordert Sawatzki auf, dem Mann ein Hotelzimmer zu besorgen. Stets war einer dabei, der das Allerblaueste vom Himmel zusammenlog. Der andere hingegen hatte danebenzustehen und den Mund vor Staunen nicht mehr zuzubekommen, hatte "hei" und "Nein!" auszustoßen oder auch "Das ist ja unglaublich!".
Die Menschen, die im Fernsehen auftreten, heißen Menndi, Senndi oder Enndi, und sie telefonieren mit einem Henndi. "Tach, Meesta! Sinwa wieda im Lande?"
Dann fragt er, was sein Fahrgast in "Balin" mache. "Wintagaatn? Wühlmäuse?" Hitler ist irritiert.
"Ich meine, ich weiß doch gar nicht, wie Sie heißen." Frank Sawatzki fragt Hitler, ob er schon immer Vegetarier gewesen sei.
"Oder erst, seit Sie Hitler sind?"
Auf der Straße fällt Hitler auf, dass viele Schüler Ohrstöpsel tragen. Weil er den Eindruck hat, dass es sich bei ihnen vor allem um türkisch aussehende Buben handelt, nimmt er an, dass sie diese Stöpsel in der Schule tragen müssen, weil für sie die einfachsten Kenntnisse ausreichen und sie deshalb keine unnötigen Informationen aufnehmen sollen. "JUTEN MORJEN, MEEN FÜHRA! [...] Det gehört so geschrien, wa? Ick hab det ma' innem Film jesehen." Dann hielt sie erschrocken inne und brüllte: "ODA JEHÖRT DET ALLET JESCHRIEN? HAM DIE BEI DEM HITLA IMMA ALLE DAUERND JESCHRIEN?" Hitler ersucht sie, mit dem Gebrüll aufzuhören. "Jawohl, meen Führa!", sagte sie und fügte dann hinzu: "Jut, wa?" Er trägt ihr auf, eine Schreibmaschine mit Schriftyp Antiqua 4 mm zu besorgen, aber Fräulein Krömeier kann nur "oofm Pezeh" arbeiten. Und so erfährt Hitler, was aus Konrad Zuses Rechner geworden ist. Damals hielt er das für eine Spielerei. Da war ja im Grunde alles besseres Kopfrechnen, man kann gegen Schacht sagen, was man will, aber das, was dieser Apparat vom Zuse da leistete, da hätte Schacht nach 72 Stunden unter Feindfeuer im Halbschlaf zusammengerechnet, während er sich nebenher ein Kommissbrot schmiert. Inzwischen kann man damit nicht nur richtig schreiben und rechnen, sondern auch ins Internetz, und da findet man beispielsweise ein urgermanisches Nachschlagewerk mit dem Namen Wikipedia, "eine Art Winterhilfswerk des Wissens". Fräulein Krömeier will ihm ein Konto für elektronische Post einrichten und fragt ihn nach dem gewünschten Namen. "Adolf Hitler" sei verboten, erklärt sie ihm, probiert es dann aber doch und stellt fest: "Da ham wa et schon: Adolf Punkt Hitler is wech [...]. Adolfhitler im Janzen ooch und Adolf Unterstrich Hitler sowieso. [...] nee, mit Ihrem Namen kommen wa nich weita"
Um ihm die Wahl eines Pseudonyms zu erleichtern, nennt sie ihm ihre eigene Adresse: "Vulcania17 et web Dee Ee". Schließlich meldet sie ihn als "Neue Reichskanzlei" an. Und auf dem Handy, das Flashlight ihm zur Verfügung stellt, richtet sie den Klingelton "Walkürenritt" ein. Der Mann hatte einen Befehl bekommen. Der Befehl lautete: Laub blasen. Und er führte diesen Befehl aus. Mit einer fanatischen Treue, die Zeitzler gut zu Gesicht gestanden hätte. Ein Mann befolgte einen Befehl, so einfach war das. Und klagte er dabei? Heulte er auf, das sei doch sinnlos bei diesem Wind? Nein, er erfüllte stoisch lärmend seine Pflicht. Wie die treuen Männer der SS. Eine junge Frau, die ihn vor seinem ersten Auftritt in "Krass, Alter" schminkt, fragt ihn:
"Sie waren schon mal im Fernsehen?" [...] Ali Wizgür begrüßt ihn: "Frau Bellini hat mir schon gesagt, dass du die Knaller nur so raushaust. Ich bin der Ali." Während seines Auftritts sagt Hitler unter anderem:
"Der Deutsche der Gegenwart Wizgür beschwert sich nach der Sendung aufgebracht bei der Verantwortlichen: "Carmen! Endlich! Hier läuft eine Riesenscheiße ab! Hast du das gesehen? Hast du das gesehen? Was ist das für ein Arschloch?"
Carmen Bellini beschwichtigt ihn. Sie findet, das sei gar nicht so schlecht gelaufen und endlich einmal etwas anderes, etwas Neues. "Irrer Youtube-Hitler: Fans feiern seine Hetze! Ganz Deutschland rätselt: Ist das noch Humor?" Carmen Bellini weiß, dass Gefahr droht, wenn "Bild" sich auf jemanden einschießt. Sie macht sich Sorgen, dass die Journalisten etwas Ungünstiges in der Vergangenheit ihres neuen Stars ausgraben könnten und fragt ihn:
"Wie sieht es mit einem nationalsozialistischen Hintergrund aus?" Fräulein Krömeier staunt darüber, dass er selbst in unerwarteten Situationen kein einziges Mal aus der Rolle fällt. Aber als sie darüber klagt, dass sie aufgrund des Medienrummels von geilen Kerlen mit Mails belästigt werde und Hitler daraufhin bedauernd meint, er hätte sie warnen sollen, aber er habe den Gegner unterschätzt, fährt sie ihn entnervt an: "Können Se nich mal zwei Minuten aufhören? [...] Et jeht hier nicht um die Zukunft Deutschlands! Det ist echt! Det is keen Witz! Det ist ooch keen Auftritt! Det is mein Leben, det diese Arschlöcher da kaputtschreiben!" Im Hotel Adlon gewährt Adolf Hitler der "Bild"-Reporterin Ute Kassler ein Interview. Aber sie bricht es nach einer Weile ab, weil sie annimmt, er verschanze sich hinter seiner Rolle, blocke alle Fragen nach seinem Privatleben ab und verrate ihr nicht einmal seinen richtigen Namen. Hitler wiederum findet: Die Pressearbeit ist schon etwas Mühseliges, so ganz ohne Gleichschaltung. In dem von "Bild" gedruckten Interview mit Adolf Hitler heißt es:
BILD: Verurteilen Sie die Taten der Nazis?
Sensenbrink befürchtet daraufhin gerichtliche Schritte, aber Carmen Bellini versucht ihn zu beruhigen. Ihr neuer Star habe das alles in seiner Rolle als Adolf Hitler gesagt, meint sie, und was sei an der Aussage falsch, dass Hitler für den Tod von sechs Millionen Juden verantwortlich sei? Aufgrund einer Reihe von Anzeigen schaltet sich die Staatsanwaltschaft ein, aber die Ermittlungen werden rasch wieder eingestellt, denn Hitlers Äußerungen sind durch die künstlerische Freiheit gedeckt. "Bild" finanzierte den Führer.
Der Medienkonzern beantragt eine einstweilige Verfügung gegen diese Behauptung, scheitert damit jedoch, weil das Gericht zu der Auffassung kommt, dass der Bezug auf den Hitler-Darsteller klar sei, zumal es "Bild" unter dem NS-Regime noch nicht gegeben habe. Daraufhin schwenkt "Bild" um. Am positiven Grundton war nicht zu zweifeln. Die "Süddeutsche Zeitung" lobte die "geradezu potemkinhafte Retrospektive", die hinter einer "Scheinspiegelung neofaschistischer Monostrukturen die Vehemenz eines leidenschaftlichen Plädoyers für pluralistische beziehungsweise basisdemokratische Prozessvarianten" vermuten ließ. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" begrüßte die "stupende Aufbereitung systemimmanenter Paradoxa im Schafspelz des nationalistischen Wolfs". Und der Wortspielbetrieb von "Spiegel Online" nannte mich den "fremden Führer", was zweifellos wohlwollend gemeint war.
Flashlight dreht nun Einspieler mit Adolf Hitler für die Sendung "Krass, Alter". Beispielsweise klingelt er mit einem Kamerateam am Carl-Arthur Bühring-Haus,
"Nun", sagte ich, "ich nehme nicht an, dass Sie mein Buch gelesen haben."
Schließlich meldet sich Holger Apfel, der Bundesvorsitzende der NPD, am Telefon, aber Hitler findet, die Zeit der Telefonate sei abgelaufen; er besteht auf dem persönlichen Erscheinen des Parteiführers. Inzwischen drängeln sich Kamerateams von Konkurrenzsendern vor dem Carl-Arthur Bühring-Haus. Die NPD kann Hitler deshalb nicht mehr hinauswerfen lassen, denn was würde das für einen Eindruck machen?!
"Und was ist mit Zwickau?" [...] Holger Apfel beteuert, er habe nichts mit der Sache zu tun gehabt. Daraufhin schreit Hitler ihn an:
"Da sind Sie wohl auch noch stolz darauf!" Hitler hat genug. Er verlässt die Parteizentrale der NPD mit den Worten: "Ein anständiger Deutscher hat hier nichts verloren." Bei Flashlight wird Hitler zu einer wichtigen Besprechung in den Konferenzraum gebeten. Es heißt, sogar Herr Kärrner nehme daran teil. Frau Schmackes in der Kantine erklärt Hitler: "Na, ick sach mal so, det is der Chef vons Ganze."
Das Meeting wurde einberufen, weil aus sicherer Quelle zu erfahren war, dass Adolf Hitler mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet werden soll. Er bekommt nun seine eigene Sendung und ein eigenes Studio mit Kulissen des Führerhauptquartiers Wolfsschanze. Flashlight vergibt außerdem Lizenzen für Merchandising-Produkte wie Tassen und Sportleibchen, die jetzt T-Shirt heißen. Damit wird Hitler promoted.
"In der Energiepolitik können Sie das! Da denken Sie in meinen Dimensionen! Wenige bis keine Importe, vollständige Autarkie aus nachwachsenden Rohstoffen, aus Wasser, Wind, das ist energiepolitische Sicherheit auch in hundert, zweihundert, tausend Jahren. Sie können ja doch ein wenig in die Zukunft sehen. Und was soll ich sagen – es ist das, was ich auch immer schon forderte …" Er geht mit ihr zu einem Kartentisch. Renate Künast fällt eine gegen eines der Tischbeine gelehnte Aktentasche auf.
"Die hat wohl jemand vergessen", sagte ich abwesend, "wo ist eigentlich Stauffenberg?"
Den Gag hatte sich Sawatzki ausgedacht. "Passen Sie auf, eines Tages nimmt Sie noch einer ernst!" Wehmütig denkt Hitler an den "nicht immer problemlose[n] Verlauf des letzten Weltkrieges" und hängt alten Zeiten nach: Wenn Deutschland mich nicht gehabt hätte, wäre 1936 niemand ins Rheinland einmarschiert. Über die Neue Reichskanzlei meint er: Das geht nicht an, dass man da für Millionen und Abermillionen eine Reichskanzlei hinstellt, und dann kommt jemand hinein und denkt sich: "Ach, das hätte ich mir aber größer vorgestellt." Dass der überhaupt denkt, das darf nicht sein [...] Davon muss eine Aura ausgehen, wie vom Papst, aber natürlich wie von einem Papst, der beim geringsten Widerwort mit Flamme und Schwert dreinschlägt wie der Herrgott selbst. Und seiner Sekretärin erklärt er: "1933 wurde kein Volk mit einer Propagandaaktion überwältigt. Es wurde ein Führer gewählt, auf eine Weise, die sogar im heutigen Sinne als demokratisch gelten muss. Es wurde ein Führer gewählt, der in unwiderlegbarer Klarheit seine Pläne offengelegt hatte. Die Deutschen haben ihn gewählt. Ja, sogar Juden. [...] Die Partei hatte damals schon vier Millionen Mitglieder. Und auch das nur, weil ab 1933 keine weiteren Mitglieder mehr aufgenommen wurden. Es hätten 1934 auch acht Millionen, zwölf Millionen sein können. Ich glaube nicht, dass eine der heutigen Parteien nur annähernd diese Zustimmung genießt." Notgedrungen folgt Hitler einer Einladung zum Münchner Oktoberfest. Ein Chauffeur holt ihn vom Hotel ab und bringt ihn hin. Zwei Betrunkene versuchen, ins Auto einzusteigen. Der Fahrer verhindert es und wendet sich dann wieder Hitler zu: "Entschuldigen S', [...] des is halt immer des mit dera Scheißwiesn."
Hitler wird in eines der Festzelte geführt und dort in eine Box mit offenbar Prominenten. Über die Dirndl-Imitationen ist Hitler entsetzt. Als er ein stilles Wasser bestellt, meint ein in der Nähe sitzender beleibter Farbiger anerkennend, er sei wohl ein Profi, rät ihm aber, es so zu machen wie er und sich das Wasser in einem Keferloher bringen zu lassen. Einige erkennen den Hinzugekommenen und erklären den anderen: "Das ist der Hitler vom Wizgür." Jetzt, da ich weiß, dass alles einen tieferen Sinn hat, dass die Vorsehung von mir nicht erwartet, einen Weltkrieg gleich beim ersten oder zweiten Versuch zu gewinnen [...] |
Buchbesprechung:
Bei "Er ist wieder da" handelt es sich um eine Politsatire, mit der Timur Vermes sowohl die noch immer von einer Figur wie Adolf Hitler ausgehende Faszination als auch die Mediengesellschaft aufs Korn nimmt. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2013 |