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Jochen Jung
Verlag Jung und Jung

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Wieser Archiv
Lojze Wieser
Wieser Verlag

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Christoph Links ist seit Juni 2017 Sprecher der
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Meinungsfreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
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Jörg Sundermeier
ist Vorstandsmitglied der
Kurt Wolff Stiftung

Klaus
Bittermann,
Edition Tiamat, Berlin
© Herbert Debes

Christina C. Henrich-Kalveram,
Henrich Editionen

Daniel Kampa,
Kampa Verlag |
»Sie
wollen ihn kleinkriegen«
Jochen Jung zu der Kontroverse um Peter Handke:
G&E: Herr Jung, wie schätzen Sie die mediale Situation rund
um die Empörung von
Saša Stanišić
gegen Peter Handke ein?
Jochen Jung: Die Situation ist in meinen Augen so, daß wir
aufgefordert sind, uns darüber klar zu werden, warum wir eigentlich
Bücher lesen. Was suchen wir darin, und was ist der Sinn von
Literatur in unseren Augen und zwar von großer Literatur. Für mich
ist das eine Sache des Umgangs mit der Sprache und des Umgangs mit
dem Leser. Und zwar als Ganzes, als Gemüt, als Kenner, als
Nichtkenner, als Nichtswissender, als Fragender usw.
Und Peter Handke ist jemand, der immer von Grund auf die Welt
angeschaut hat, nicht von oben oder aus der Zeitungslektüre heraus,
sondern von unten. Was wir als Kinder schon wahrzunehmen beginnen,
wenn die Sonne kommt und der Mond scheint, der Vater sehr streng
ist, und die Mutter mir das gibt, was ich brauche. Solche Dinge hat
er im Sinn und im Kopf, so geht er auf die Welt zu und so ist er
auch auf dieses Thema damals zugegangen. Er als einer, der in der
Nähe von Slowenien geboren ist als Südkärntner und als einer der
sich seine ganz eigenen Gedanken gemacht hat. Das hat er auch nie
anders behauptet. Er hat nie verlangt, daß die ganze Welt so zu
denken hat wie er. Er hat nur gesagt: so denke ich.
Und er hat es auch revidiert, wie wir wissen. Er hat das alles
korrigiert und hat am Schluß gesagt: ich habe überzogen,
übertrieben, so war es denn doch wieder nicht. Seltsamerweise will
das keiner gewußt haben oder mitgekriegt haben damals, aber es stand
in allen Zeitungen, es war überall zu lesen.
Jetzt kann es natürlich keiner gebrauchen, weil es nichts Schöneres
gibt, als sich über einen großen Autor herzumachen und ihn mit
wenigen Sätzen platthauen zu können. Und daß das auch noch ein Herr
Stanišić
gemacht, der ja selber ein Autor ist und eigentlich wissen sollte,
was Sinn und Zweck von Literatur ist, finde ich deprimierend.
G&E:
Saša Stanišić
sprach nach der Preisverleihung ja als Betroffener, ist das
glaubwürdig, oder ist seine Reaktion ein um die Medienpräsenz
bewußtes Kalkül?
Jochen Jung: Also, unsere Sprache kennt die Formulierung
Partei ergreifen. Und das heißt nicht nur, sich auf die ein oder
andere Seite zu begeben, sondern auch im Sinne von bestimmten
politischen oder gedanklichen Vorstellungen sich als Sprachrohr zu
verhalten, und das tut er in diesem Falle. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß jemand, der sich um seine eigenen Sätze soviel Mühe
macht, nicht begriffen hätte, was der Unterschied zwischen Literatur
und Gerede ist.
G&E:
Stanišić
Empörung mündete ja am Ende in eine Beschimpfung Handkes, die sehr
unversöhnlich im Raum steht. Handke ist doch mit Sicherheit kein
Knut Hamsun, der zum Führer nach Berlin fährt das kann man doch
sicher nicht vergleichen.
Jochen Jung: Nein auch Goethe hat sich ja auf die Seite von
Napoleon gestellt, den er unendlich bewundert hat, das haben auch
alle vergessen und weggeschoben.
G&E: Liegt das an unserer medial überfrachteten Zeit, die auf
solche Affekte glaubt reflexartig reagieren zu müssen und daß das
Eigentliche, das Lesen der Bücher irrelevant geworden ist. Ist Peter
Handke ein Vehikel, auf das man sich eingeschossen hat?
Jochen Jung: Das wird offensichtlich jetzt passieren, die
richten sich ja sozusagen darauf ein, ich glaube, daß es jetzt viele
gibt, die sich damit bemerkbar machen und sich als
Positionsverteidiger oder Anstandsburschen profilieren wollen.
»Wir
leben in einer Zeit der Begriffslosigkeit«
Ein Appell von Lojze Wieser zur Causa Handke
»Wir leben in einer Zeit der Begriffslosigkeit, und wir haben in den letzten
zwei, drei Jahrzehnten, nach dem Zerfall der eisernen Mauer und dem Zerfall von
Jugoslawien, eine Zeit erlebt, in der das politische und das literarische Denken
vollkommen durcheinander geraten ist und neu geordnet wird. In diesem
Zusammenhang hat Peter Handke, als einer der wenigen, in der Literatur eine
Begrifflichkeit zu entwickeln begonnen, die hinter all die scheinbar klar
definierten Positionen schaut, die das Denken, das Hinterfragen, das Befragen,
als Wegweiser für eine neue, oder andere, Sicht der Welt eröffnet.
Es geht schon längst nicht mehr um Handke und die Gegensätze im damaligen
Jugoslawien. Es geht um eine andere Welt, die in der
Sprache noch als alte fortlebt und um neue Sichten und Begriffe für Veränderungen.
Eine Sprache, die neue Worte dafür finden will, muss, soll, um die
Welt in eine ideologiefreie wachsen zu lassen, zu wandeln, um
Frieden und Freiheit durch Worte zur Wirklichkeit werden, entstehen,
wachsen zu lassen.«
Weiterlesen
Herr Links, wie schätzen Sie die Kontroverse zwischen
Saša Stanišić
und Peter Handke anläßlich der Verleihung des Literaturnobelpreises
ein?
Christoph Links: Ich konnte die Reaktion von
Saša Stanišić
durchaus verstehen, und er hat sie auch in seiner Rede gut
begründet. Wenn er sagte, er erwarte von Literatur Aufrichtigkeit
und Genauigkeit, Und er hat Peter Handke vorgeworfen, in einem Text
in dem er die Ereignisse in seiner Heimatstadt in Visegrad, dieser
kleinen Stadt im Osten von Bosnien schildert, daß er dort die
Verbrechen der serbischen Milizen ausgeblendet hat und nur über
andere Sachen geschrieben hat, und damit auch alle Opfer dieser
serbischen Übergriffe übergangen hat. Und das hat ihn offensichtlich
auch aus persönlicher Betroffenheit veranlaßt, von Handke eine
andere Literatur zu verlangen, eine, die den historischen Wahrheiten
nahekommt, wenn man sich mit ihnen konkret literarisch beschäftigt.
Und daher hat er die Vergabe des Literaturnobelpreises an ihn
kritisiert. Soweit bin ich völlig auf seiner Seite und kann das
nachvollziehen. Natürlich hat er damit nicht das gesamte Werk von
Peter Handke gewürdigt, sondern die Preisverleihung auf einen Punkt
fixiert, und da könnte man natürlich einwenden, daß Handke ja auch
viele wichtige Bücher geschrieben hat, auch in seiner frühen
Schaffensphase, bevor er sich dem Thema Serbien zugewendet hat, und
das es auch ein literarisches Werk außerhalb des unmittelbaren
Bezuges zu dem ehemaligen Jugoslawien gibt. Das ist dann natürlich
nicht berücksichtigt worden. Insofern ist die
Stanišić
Rede natürlich einseitig, aber sie hat in der Sache recht.
Und daher gehörte ich zu denen im Saal, die laut für ihn applaudiert
haben und finde es gut, daß über diese Art von Literatur offen
geredet wird, denn immer da, wo sich Literatur mit konkreten
Vorgängen auseinandersetzt, muß sie sich, genau wie wir im Sachbuch
Bereich fragen lassen, wie weit sie den konkreten historischen
Dingen gerecht wird.
Jörg Sundermeier,
Verbrecher Verlag:
Zur Causa Handke kann ich nicht viel sagen, weil ich die letzten
Tage nicht viele Artikel zum Thema habe lesen können. Das ist
messebedingt. Es stellt sich mir bei aller berechtigten Kritik aber
eine Frage. Heute wissen alle, was damals passiert ist, aber damals
wußten es nicht alle, die es heute ganz genau gewußt haben. Bei
alldem stellt sich die Frage, warum kommt die Kritik an Handke
jetzt, und warum kommt sie so massiv. Wo war sie, als sein letzter
Roman erschien und wo war sie, als der vorletzte Roman erschien. Das
finde ich bei diesem Literaturbetrieb etwas bigott.
Statement von Klaus Bittermann, Edition Tiamat, Berlin
G&E: Herr Bittermann, wie schätzen Sie die Kontroverse um Sasa
Stanisic und Peter Handke ein:
Klaus Bittermann:
Saša Stanišićs
Einschätzung, daß Peter Handke den Völkermord verharmlosen würde,
halte ich für falsch, weil es im jugoslawischen Bürgerkrieg keinen
Genozid gab. Es gab einen Bürgerkrieg, und das ist etwas völlig
anderes. Genozid gab es bei den Nazis mit den Juden. In Jugoslawien
gab es größere Massaker, sowohl auf serbischer als auch kroatischer
Seite. Der Bürgerkrieg ist eine direkte Folge davon gewesen, daß die
internationale Politik, allen voran natürlich Deutschland, sich so
für diese Kleinstaaterei eingesetzt haben. Und da hat sich Handke
mit seiner Veröffentlichung, die er damals hatte, für mich sehr
positiv hervorgetan, weil es eine sehr dezidierte Auseinandersetzung
mit der französischen Presse war, die damals einen Schwenk vollzogen
hat von einer relativ objektiven Beurteilung des Konflikts
dahingehend, daß die Serben an allem Schuld waren und diesen
Natoeinsatz initiiert haben. Vor allem auch durch Joschka Fischer,
der Auschwitz ins Spiel gebracht hatte, was offensichtlich dann bei
den Leuten so hängengeblieben ist wie bei
Stanišić,
daß die Serben einen Völkermord begangen haben. Das ist völliger
Humbug.
G&E: Glauben Sie daß dieses Thema Journalisten und die
Medienlandschaft mehr interessiert als die Verlagsszene und die
Leser, weil sich das Thema trefflich ausschlachten läßt?
Klaus Bittermann: In der Öffentlichkeit ist das bloß wieder
so eine Scheindebatte unter Intellektuellen und der Kulturszene.
Christina C.
Henrich-Kalveram, Henrich Editionen
G&E: Frau Henrich-Kalveram, wie schätzen Sie die
Auseinandersetzung um
Saša Stanišić
und Peter Handke ein?
Henrich-Kalveram: Ich finde das Statement von
Saša sehr
mutig, hatte ihn als Jungautor schon mit einem Text selber verlegt.
Es ist ihm bestimmt nicht leicht gefallen, solch ein Statement
abzugeben, aber es brodelte in ihm. Ich bin ihm auf twitter gefolgt
und habe seine Kommentare gelesen, und es ist absolut
nachvollziehbar, daß er so fühlt und bewundernswert, daß er das
überhaupt bei so einer Veranstaltung als Preisträger gekonnt hat.
Ich selber bin auch kein Handke Fan, aber das ist eine
Geschmackssache. Es darf aber nicht durchgehen. Der
Literaturnobelpreis wird seinem Anspruch nicht mehr gerecht, wenn
man sieht, welche Preisträger ihn in letzter Zeit gewonnen haben.
Das schwächelt den ganzen Preis ab.
KD Wolf, ehemals Stroemfeld Verlag
G&E: Herr Wolf, wie schätzen Sie die Aufregung um die Vergabe
des LNP an Peter Handke ein und die Vorwürfe von
Saša Stanišić
gegen ihn?
KD. Wolf: Viele Lügen. Viele Lügen.
G&E: Wer lügt, und warum?
KD Wolf: Stanisic lügt. Warum weiß ich nicht, ich habe mit
Handke nicht viel zu tun.
Mitarbeiter am TAZ-Stand: Vielleicht war er (Handke) damals auf
der falschen Seite, möglicherweise. Wer entscheidet das?
Aber ich frage Sie, wer von uns war nicht einmal auf der falschen
Seite? Wozu also die Aufregung.
Anonymus: Ich
bin Verlagsvertreter, nicht für den Suhrkamp Verlag, und ich fand
Peter Handke zeit meines Lebens außerordentlich langweilig. Und
gelacht habe ich über das Buch,
»Versuch über die Müdigkeit«. Das ist
schon sehr lange her, doch faßt für mich alles zusammen, was es über
Handke zu sagen gibt.
Daniel Kampa, Verleger des neugegründeten Kampa Verlags
Kampa: Durch den Nobelpreis für
Olga Tokarczuk
für unseren erst einjährigen Verlag können wir im Moment
ja gar nicht klar denken. Und daher lasse ich lieber meine Autorin
sprechen, die auf der Pressekonferenz gesagt hat. Sie galt in ihrer
Heimat Polen immer als »bad girl«, weil sie politisch gegen die PIS
Regierung ist etc. und auf einmal ist sie »the good girl«, also eine
ganz neue Rolle für Sie, in die sie erst einmal hineinwachsen muß
und damit schließe ich meinen Kommentar.
Artikel online seit 20.10.19 |
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