einführung
"Ja, wenn ich der Hugo Wolf wäre, das wäre gut."
(hugo wolf zu einem wärter der irrenanstalt)
grundsätzliches
der text "hugo wolf und drei grazien, letzter akt" geht auf mein schon seit langem gehegtes vorhaben zurück, ein sprechstück für fünf personen zu verfassen, von denen jede ausschließlich wörter auf einen der vokale U, O, A, E, I spricht, die sich allmählich zu fünfstimmigen vokalklängen überlagern.
nachdem ich umfangreiche monovokale wortlisten erstellt hatte, musste für dieses formale grundkonzept natürlich ein thematischer aufhänger gefunden werden, der dem ganzen einen inneren zusammenhang verleiht. ich beschloss schließlich auf eine bekannte historische persönlichkeit bezug zu nehmen, deren name schon die ausgangsvokale U und O enthält. nach längerem suchen stiess ich auf hugo wolf, der sich auch biografisch als glückstreffer erwies. wolf hatte in seinem – aufgrund einer frühen, zu geistiger umnachtung führenden syphilisinfektion – verbitterten leben drei intensive liebesbeziehungen: mit vally franck, mit melanie köchert-lang und – als turbulentes zwischenspiel – mit der sängerin frieda zerny. es ist ein merkwürdiges zusammentreffen, dass die ersten silben der drei vornamen die vokale A, E, I enthalten. wenn man hugo wolf eine doppelrolle zuweist, was im hinblick auf seine bewusstseinsspaltende erkrankung motiviert erscheint, sind mit den drei "grazien" (a, i, e!) die geforderten fünf vokale auf einsichtige weise besetzt.
die wenigsten monovokalen wörter finden sich mi U und O, die meisten bei E. um zwischen den fünf wortgruppen mengenmässig ein ausgeglichenes verhältnis herzustellen, habe ich jeder stimme 50 verschiedene vokabeln zugewiesen – U und O sind mit jeweils 25 vokabels hugo wolf und seinem alter ego als doppelrolle vorbehalten. natürlich lässt sich mit einem derart reduzierten wortfundus kein längerer beschreibender text, geschweige denn ein fortlaufender dialog erstellen, was auch keineswegs vorgesehen war. handelt es sich hier also nicht um ein mehr oder weniger freies wolf-porträt, so gibt es doch, nicht nur auf der handlungs- und geräuschebene, punktuell anekdotische anspielungen auf biografisch belegte ereignisse und charakterzüge hugo wolfs.
der titelzusatz "letzer akt" verweist darauf, dass meine sprechoper wolfs letzte lebensphase anvisiert, die einerseints von wahnvorstellungen, andererseits von zunehmender körperlich-geistiger erstarrung bestimmt war. das erscheinen vallys, melanies und friedas ist also so als als halluzinative projektion wolfs zu verstehen, während die reduzerung und semantische verwischung des wortbestandes in seiner zunehmenden überlagerung als modellhafter prozess gedanklichen versiegens gedeutet werden kann: gesagtes verliert sich am ende in reinem klang.
"hugo wolf und drei grazien, letzter akt", als bühnenstück und als hörspiel konzipiert, ist sowohl als autonomes theatralisches ereignis wie als auditiver text im sinne der "konkreten poesie" zu verstehen.
(S. 7-8) © 2014 Ritter Verlag, Klagenfurt.