Leseprobe:
„Wissen Sie“ – Schliefer wendet sich an Greta – „ich war beruflich in dieser Oase, wie man sie nennt.“ Die Österreichischen Landesbahnen, sagt Schliefer, hätten eine ganze Etage reserviert. Er sei als Kontrolleur für das Burnout-Wesen bei den Österreichischen Landesbahnen beschäftigt, sagt er. Eine Kontrolltätigkeit, die im Übrigen nicht annähernd so gut bezahlt sei, wie sie, Greta, jetzt wohl vermuten möchte.
Was es da zu kontrollieren gebe, fragt Greta, und Herr Schliefer lacht und sagt: „Eine Menge!“ Viele Bahnmitarbeiter bezeichneten sich als burnoutgefährdet oder gar bereits von Burnout betroffen, obwohl sie doch nichts als müde seien. Müdigkeit aber sei eine normale Begleiterscheinung des Lebens, insofern könne man sie nicht bekämpfen, ohne das Leben selbst in Frage zu stellen. Daher sei davon auszugehen, dass viele Mitarbeiter, die sich im Burnout wähnen, in Wahrheit ganz und gar nicht krank seien, maximal ein wenig müde – hier räuspert sich Schliefer -, so wie wir doch alle erschöpft seien von den Zumutungen, die der Alltag für uns bereithalte. Selbstverständlich seien die Plätze in der reservierten Abteilung den wirklich schweren Fällen vorbehalten, den behandlungsresistenten Fällen, die nicht selten Monate, in Einzelfällen sogar Jahre auf der Station verbrächten.
Erst kürzlich, sagt Schliefer, habe sich ein ältlicher Schaffner selbst eingeliefert, mit Herzflattern, Alpdrücken und gemeingefährlichen Blähungen, so gab er es zumindest dem Chefarzt bekannt. Doch bei der Kontrolle durch seine Wenigkeit habe sich herausgestellt, dass dieser Schaffner lediglich an der Monotonie der Streckenführung leide, ein Syndrom, für das noch kein Name gefunden wurde, das nichtsdestotrotz bei manch sensiblem Gemüt zu einer Affektstörung führe, die jedoch nicht im Mindesten behandlungswürdig sei.
(S. 204/205)
© 2015 Blumenbar / Aufbau Verlag, Berlin