logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

traduki

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land.

de     en     fr     es     tr

Roman.
Stuttgart: Klett-Cotta, 2019.
350 Seiten; geb.; Euro 22,-.
ISBN: 978-3-608-96436-3.

Autorin

Rezension

 

Leseprobe:

Das Ende des Winters und die Schneeschmelze vor ein paar Monaten hatten in kürzester Zeit die Hälfte der Stadt um über einen Meter tiefer sinken lassen und die Straßen in einen so desolaten Zustand gebracht, dass man beim Überqueren meinte, im Morast zu waten. Sämtliche Pflastersteine, die den historischen Belag der Stadt bildeten, waren von den Absenkungen geradezu fortgesprengt worden und lagen nun lose auf den Plätzen und Straßen. Zwar hatte man zwischendurch immer wieder versucht, sie anzubetonieren, doch lösten sie sich, sobald das Loch durch eine feuchte Nacht auch nur einen Millimeter absackte. Ganzjährig herrschte akute Rutschgefahr: Wir alle waren Meister darin geworden, uns dennoch fortzubewegen. Sogar die Greise, normalerweise kaum in der Lage, auf festem Untergrund im Equilibrium zu bleiben, streckten versiert den Gehstock von sich, als wären sie auf hohen Seilen unterwegs. Der Hauptplatz war das Zentrum des Einbruchs: Auf ihm waren die Steine nicht bloß lose, sondern in der Mitte geradewegs auf einen Haufen zusammengerutscht – trichterförmig fiel er zum Bildnis des ehemaligen Erzengels hin ab. Dort unten, also am Tiefpunkt der Parabel, hatte sich im vergangenen Monat der erste Durchbruch ins Bergwerk ereignet. Dünn wie ein Nadelöhr erst, dann bald faust- und beindick. Ich sah diese schwarze Leerstelle, von der ich durch meine Berechnungen wusste, dass sie über der tiefsten Senke des Loches lag, täglich auf meinem Weg zur Arbeit, und stellte mir vor, wie ein Stein, in diese Auslassung geworfen, hundertfünfzig Meter in den Berg einfallen würde.

Fortbewegen konnte man sich über den trichterförmigen Hauptplatz nur mehr auf seinem steinernen Pizzarand. Ich und die anderen, die es dennoch tun mussten, schoben uns am schmalen Grat neben der Häuserfront entlang, einander höflich, wie auf einer Einfahrt, den Vorrang lassend – den Bekannten zuwinkend, wenn sie sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes an den Laternen entlanghangelten. Man stand auf derselben Struktur und war einander dennoch unerreichbar. Ich schob mich mit dem Rücken zur Wand an der Ostseite des Platzes vorbei, langsamer als sonst, weil um diese Zeit schon eine Gruppe Volksschüler, vorne und hinten mit Seilen an die Lehrerinnen gespannt, auf dem Weg zur Schule war. Trotz des desolaten Zustandes ihrer Stadt hatten die Groß-Einländer frohen Mutes Blumenzwiebeln in die Pflanzkästen gesteckt, deren ausbrechende Triebe sich nun in meinem Nacken rieben. Es fühlte sich an, als wäre man stundenlang damit zugange, diesen Platz zu überqueren, dabei dauerte es nur ein paar Minuten. Das vielleicht Merkwürdigste war überhaupt, wie sehr der Rhythmus der Einbrüche sich auf das Zeitgefühl der Groß-Einländer übertrug: In Wochen, in denen die Einbrüche rasch vor sich gingen, schien die Zeit zu rasen und man hatte kaum Gelegenheit, die vielen Veränderungen im Ortsbild zu bemerken, sodass sich in wenigen Momenten die Verwitterung von Jahren zu ereignen schien. Blieb aber alles konstant, so nahm der Fluss der Dinge fast eine gewisse Zähigkeit an, und die Monate rollten in belangloser Indolenz über mich. Ich bemerkte dann kaum, wie ein ganzer Herbst vergangen war. So wie die Natur in der Taktung ihrer vier Jahreszeiten die Zeitwahrnehmung normalerweise beeinflusste, so sehr standen und flossen die Dinge hier mit den Absenkungen. Den Hauptplatz zu verlassen war ein Segen. Zwar war der Rest der Stadt ebenfalls bis zu einem gewissen Grad verheert, doch hatte man mit keinem so groben Gefälle zu rechnen.

(S.170f.)

© 2019 Klett-Cotta, Stuttgart

>> Incentives

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Sehr geehrte Veranstaltungsbesucher
/innen!

Wir wünschen Ihnen einen schönen und erholsamen Sommer und freuen uns, wenn wir Sie im September...

Ausstellung

Tipp
OUT NOW: flugschrift Nr. 35 von Bettina Landl

Die aktuelle flugschrift Nr. 35 konstruiert : beschreibt : reflektiert : entdeckt den Raum [der...

INCENTIVES - AUSTRIAN LITERATURE IN TRANSLATION

Neue Buchtipps zu Ljuba Arnautovic, Eva Schörkhuber und Daniel Wisser auf Deutsch, Englisch,...