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Josef Kleindienst: Mein Leben als Serienmörder

Leseprobe:

Zurück in meiner Wohnung blicke ich auf mein Handy. Ein Anruf in Abwesenheit, eine neue Nachricht. Nummer unbekannt. Ich ziehe meine Laufsachen aus, stelle mich unter die Dusche. Das Wasser auf der Haut beruhigt. Ich trockne mich ab. Ziehe meinen Bademantel an, betrachte mich im Spiegel. Sollte mich mal wieder rasieren. Setze mich an den Computer. Zwölf neue Mails, eins vom Möbelhaus. Mein Regal stehe zur Abholung bereit. Sollte ich es nicht in den nächsten zwei Wochen holen, würde es zu meinen Kosten gelagert werden. Facebook: Coca Cola steht in der marokkanischen Wüste vor einem Kamel. Nur Sand, blauer Himmel. Nehme das Telefon. Noch immer steht auf dem Display: Eine neue Nachricht. Der Maler in der gegenüberliegenden Wohnung schaut zu mir herüber. Ich ziehe den Vorhang vor. Höre die Sprachbox ab. "Kommissar Höld", vernehme ich eine klare männliche Stimme. Mein Herz pocht, als hätte ich gerade eine Überdosis Kokain verabreicht bekommen.
"Bitte um einen kurzen Rückruf, danke!" Dann eine Nummer. Ich höre die Mailbox nochmals ab. Ich würde also doch befragt werden. Sie haben die Daten am Geldautomaten überprüft und sind auf mich gestoßen oder ich bin auf einer Überwachungskamera zu sehen. Mittlerweile sind diese Dinger ja überall. Gehe unruhig um meinen Stuhl. Ich überlege, ob ich etwas Make-up auf den Kratzer am Finger geben sollte. Ich stelle mich vor den Spiegel und betrachte die Kratzspuren auf meinem Oberkörper. Ich muss irgendwo hingefallen sein und an einen spitzen Gegenstand gestreift sein. Aber meine Kleidung war nicht zerrissen gewesen. Ich darf mich nicht verrückt machen lassen. Ich kann mich überall verletzt haben. Vielleicht habe ich mich sogar selbst im Traum gekratzt. Ich schaue in den Spiegel. Ich nehme wieder mein Handy, der Anruf hat bereits vor einer Stunde stattgefunden. Soll ich Gerry anrufen? Warum soll ich ihn aus der Sache heraushalten? Er hat mir das Koks gegeben. Gut, ich habe es genommen. Hat mich niemand gezwungen. Hätte jetzt gern eine Line. Besser zwei Lines. Ich muss ruhig bleiben. Wahrscheinlich ist es nur eine rein informelle Befragung als Zeuge. Ob ich etwas gesehen habe, ob mir etwas Verdächtiges aufgefallen sei, so in der Art. Bestimmt total harmlos. Ich mache mir Kaffee. Erhitze Wasser, gebe Kaffeepulver hinein, erhitze nochmals, das Wasser schwappt über und ich lasse die Kanne fallen. Ich rufe die Nummer an. Mein Herzschlag pocht, ich lege auf. Ich schaue auf die Straße, an der Baustelle nebenan werden Verkehrsschilder angebracht. Ich wähle nochmals die Nummer. "Höld", höre ich wieder diese junge, klare Stimme.
"Mola. Ich soll Sie zurückrufen".
"Ach ja, Herr Mola. Einen Moment, bitte".
Ich höre ein paar Papierblätter rascheln, ein Stuhl wird zur Seite geschoben.
"Herr Mola, wir ermitteln in einem Mordfall. Vielleicht haben Sie es schon den Medien entnommen. Es geht um den Frauenmord im 15. Bezirk."
"Ich habe was davon gehört."
"Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass Sie zum Tatzeitpunkt in unmittelbarer Tatortnähe waren."
"Tatsächlich?"
"Sie waren in der Bar Fabriano gegenüber."
"Kann sein", murmle ich.
"Und wir hätten in diesem Zusammenhang ein paar Fragen. Reine Routine."
"Verstehe."
"Ist vermutlich in fünf Minuten erledigt. Könnten Sie in den nächsten Tagen mal vorbeikommen? Wien, 8. Bezirk, Schelhammerstraße."
Ich schweige. Die Stimme hat etwas Vertraueneinflößendes.
"Wie gesagt, reine Routine."
"Ich könnte am Nachmittag vorbei kommen. So um drei."
"Ist in Ordnung."
Ich schaue auf die gegenüberliegende Wand, auf den Kaktus, der mir jeden Tag größer erscheint. Sie werden doch nicht jeden Lokalgast befragen. Ich versuche mich zu erinnern, worüber wir an der Bar gesprochen haben. Über den Film, die Morde. Vielleicht hat die Kellnerin etwas falsch aufgeschnappt und über die Kreditkarte sind sie auf mich gestoßen. Anders kann es nicht gewesen sein. Ich erinnere mich an das Verhör während des Drehs, Kommissare versuchen meist ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, den Befragten in Widersprüche zu verwickeln. Ich betrachte mich im Spiegel, wirke etwas müde. Ich überlege, ob ich ihm erzählen soll, dass ich einen Serienmörder gespielt habe. Das macht mich doch nicht verdächtig. Und wenn ich es ihm nicht erzähle, würde er es wahrscheinlich schnell herausfinden. Spätestens dann, wenn er Gerry befragen sollte. Ich kann es ihm gar nicht verheimlichen. Soll ich einen Anwalt mitnehmen? Ich gelte ja nicht als Verdächtiger, sondern bin Zeuge, eine Auskunftsperson. Ich umkreise weiter meinen Sessel. Wäre ich Kommissar, wäre ich mir auch verdächtig. Kratzspuren am Körper, Serienkiller gespielt und Gedächtnisverlust. Aber von den Kratzspuren und dem Gedächtnisverlust weiß er nichts. Noch. Ich nehme ein Glas aus der Vitrine, gieße mir einen Wodka ein. Ich bin erledigt. Schuldig oder nicht, es würde zu einem Indizienprozess kommen, in dem irgendwelche Geschworenen über mich urteilen würden. Mein Anwalt würde auf nicht zurechnungsfähig plädieren und ich, wie das Vorbild meiner Filmrolle, für alle Zeit in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verschwinden. Ich nehme einen Schluck Wodka. Versuche nochmals ein Bild der Frau im Netz zu finden. Entdecke ein Polizeifoto, doch die Frau ist darauf nur schwer zu erkennen. Vielleicht muss ich eine DNA-Probe abgeben. Die Möglichkeiten, einen Täter zu überführen, haben sich im letzten Jahrzehnt potenziert. Ich nehme mir vor, während der Befragung nichts zu verheimlichen, möglichst offen zu sein. Der Kommissar würde schnell merken, dass ich nichts zu verbergen habe. Ich nehme noch einen Schluck Wodka. Ich überlege, was ich anziehen könnte. Hemd ist gut, Jeans, möglichst unauffällig, nicht zu leger und auch nicht zu lässig, dazu meine Adidas-Turnschuhe. So ungefähr würde ich auch zu einem Casting gehen, in gewisser Weise ist es ja auch ein Casting. Blicke aus dem Fenster, hinüber zu dem Masseurtisch. Diesmal liegt niemand darauf, der Tisch ist mit einem weißen Tuch bedeckt. Regentropfen klatschen gegen das Fenster. Ich möchte nicht vollkommen durchnässt zum Verhör erscheinen und krame im Kasten nach meinem Regenschirm. Ich erinnere mich, dass er sich bei Wind umspült. Doch es geht kein Wind, bloß Regen. Um 15 Uhr stehe ich in der U-Bahn-Station, der Regen klatscht auf den Bahnsteig. Ein blauer Plastiksack liegt auf den Schienen, hin und wieder flattert er hoch, um ein Stück weiter wieder niederzufallen. Zwei ältere Frauen nebenan unterhalten sich. Ein junger Mann steht etwas dahinter. Er telefoniert. Ich frage mich, wohin er wohl fährt, zu seiner Freundin, zu einem Zahnarzttermin, ins Büro? Weiter dahinter ein Mann mit Glatze. Nervös schaut er auf seine Uhr.

(S. 74-78)

© 2020 Sonderzahl Verlag, Wien

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