Leseprobe:
Das Los der Irdischen I
Ach ihr von Elend behausten Greisenasyle,
menschenfreundliche Aufbewahrungsanstalten
beklagenswerter Insassen, die da,
bresthaft an Körper und Geist,
eure Gänge erbarmungswürdig durchwanken,
auf der Suche nach abhanden gekommenen
Räumen und Zeiten!
Manch Uraltes oder auch Frühvergreistes
wähnt sich inmitten der einstmals
zur Sommerfrischenzeit verhüllten Sitz-
möbel in einem leeren Wartezimmer,
vielleicht im Warten auf ein Er- oder Verdämmern.
Und mancher erst Angenachtete weiß noch nichts
von der Gehirnwäsche namens Gedächtnisschwund:
horcht auf nächtliches Glockengebimmel hin,
welches zum Nachbarbett herbeischrillt
eine der Schwestern der Nacht, liebereich
wie die Schwestern des Tages bei Tag.
Und so sei ein Klagelied angestimmt
über eines: das Todeskampfspiel, das wäre
längst den greisen Heroen willkommen,
aber wie sollte ihnen das waffenlos gelingen?
Nur wenigen Irdischen nämlich
die ewiger Jugend frönenden Götter es gönnen,
im Jünglingsalter vor Troja zu fallen:
Einzig diesen kann was nicht zuteil werden?
Erbärmlich-erbarmungswürdige Altersverblödung.
*
(S. 9)
© 2022, Literaturedition Niederösterreich, St Pölten