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Leseprobe: Reinhard Kaiser-Mühlecker - Roter Flieder.


Sie stapften hintereinander her über den verharschten Schnee. Nach einigen Hundert Metern blieb der Wirt stehen. Wie er zuvor auf das Haus gezeigt hatte, zeigte er nun auf eine mächtige, viele Meter hohe Fichte. „Die da drüben“, sagte er, „links“, während sie schon auf sie zuhielten. Ferdinand fühlte die Kraft, die zwischen ihnen beiden strahlte, ein unsichtbares Licht. Bei der Fichte angekommen, stellten sie sich auf, einer links, einer rechts. Das unsichtbare Licht hatte sich deutlich spürbar um den Baum gelegt. Sie spuckten in die Hände, rieben die Spucke in die Handflächen, stellten sich breitbeinig hin und fassten die Axtstiele fest. Dann warfen sie sich einen einzigen Blick zu, nickten leicht und begannen zu fällen. Schnell fielen die Hiebe einer in den anderen. Es knallte, und Ferdinands Unsicherheit verflog. Stattdessen kam Kraft in ihn, mit jedem Schlag mehr Kraf. Wie lange hatte er das nicht mehr gehört – und jetzt war, was einfach Axthiebe geheißen hatte, Musik, Singen. Ferdinand genoss es, wie er das Gehen genossen hatte. Es war wie Gehen mit den Händen. Es geschah von selbst. Doch schon nach wenigen Minuten – zumindest kam es Ferdinand so vor: dass erst wenige Minuten vergangen waren – kam es zu einer jähen Unterbrechung. Denn plötzlich schrie der Wirt fürchterlich auf. Sofort brach Ferdinand die Ausholbewegung ab; es warf ihn einen Schritt nach hinten, er taumelte. Jetzt erschrak er erst. Was war geschehen? Noch einmal stieß der haargleiche Schrei durch die Luft. Da sah Ferdinand das Gesicht des Wirts. Es war nicht schmerzverzerrt, nein, es lachte. Kein Unglück war geschehen, der Wirt hatte bloß gejauchzt, einmal, und dann, nach einem tiefen Luftholen, noch einmal […].
Seit Ferdinand denken konnte, war er seinem Vater nachgelaufen – seine Axt jener des Vaters nachgelaufen; jeden Tag außer Sonntag, und nie hatte er sie einholen können. Und nicht nur das; immer hatte er es zudem verbergen müssen, ihr nicht nachzukommen, damit sein Vater es nicht bemerkte. Und jetzt? Jetzt versuchte ein anderer ihn einzuholen, und es war ihm vollkommen unmöglich. War er denn vielleicht gar nicht so schwach wie immer gedacht? Er strengte sich gar nicht extra an. Was da die Arbeit für Spaß machte. Ja, es war überhaupt keine Arbeit mehr. Kraft flog ihm zu, er brauchte fast keine eigene. Auf einmal war alles anders.

(S. 114ff)

© 2012 Hoffmann und Campe, Hamburg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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