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Anna Rottensteiner: Nur ein Wimpernschlag.

Roman.
Innsbruck: Edition Laurin 2016.
Hardcover, 176 Seiten; Euro 19,90
ISBN 978-3-902866-37-0.

Autorin

Leseprobe

Nur ein Wimpernschlag ist Anna Rottensteiners zweiter Roman und verhandelt wie der erste, Lithops. Lebende Steine (2013), Reibeflächen zwischen dem eigenen Sein und dem politischen Geschehen. In Lithops wird rückblickend über ein Paar erzählt, das sich im Zweiten Weltkrieg an verschiedenen Fronten befindet. Sie ist Mussolini-Anhängerin, er Mitglied der deutschen Spionageabwehr. Nur ein Wimpernschlag verbindet ebenfalls verschiedene Zeitebenen, und greift dabei ein Thema auf, das von besonderer zeitgenössischer (und zeitloser) Bedeutung ist, nämlich jenes der Flucht und damit auch der Suche nach Heimat.
Der Roman bringt dabei ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen. Erzählt wird einerseits über Kindheit und Erwachsenwerden einer jungen Italienerin, über deren Suche nach einem eigenen Lebensentwurf, deren Verankerung in der eigenen Familiengeschichte; andererseits über eine junge Äthiopierin, die entführt und versklavt in Venedig landet, wo ihr schließlich die Flucht gelingt. Es sind dies völlig verschiedene Welten: die eine privilegiert europäisch; die andere kolonialisiert, unterdrückt und von Gewalt bestimmt. Während die eine Frau sich auf die Suche nach einer eigenen Identität machen kann, wird die andere ihrer Identität beraubt. Während es für die eine heißt, dass „der prüfende Blick des Grenzbeamten“ „regelmäßig die rechtmäßige Existenz” der Identität verbürge (60), hat die andere „zwar einen Pass“ (162), doch dieser ist gefälscht und befindet sich im Besitz ihrer EntführerInnen.
Diese beiden Welten kollidieren in einem Namen: Meta. Er wird für beide Frauen verwendet und verbindet somit verschiedene Erzählebenen miteinander: „Bin eine ängstliche Europäerin, / die deinen Namen trägt. / Den hab ich mir gegeben. / Man taufte mich auf einen anderen. / Den hab ich abgelegt“ (121). Die ‚afrikanische Meta‘ erweist sich im Laufe des Romans vor allem als Imagination der ‚europäischen Meta‘, der Ich-Erzählerin, und damit als Konstrukt eines kolonialistischen Blicks, der sich ‚ein Anderes‘ erdichtet. In diesem Fall handelt es sich um ein ‚leidendes Anderes‘, von dem angenommen wird, es sei übers Meer geflüchtet – ein Narrativ, das die reale Fluchtroute hunderttausender Schutzsuchender übers Mittelmeer und die mediale Inszenierung aufgreift.
Nur ein Wimpernschlag
bricht dann mit diesem – hier idealisierten – Narrativ und reflektiert dessen Verklärung: „Mein Leben in deiner Fiktion. Mal gut und mal böse, so waren sie schon immer, eure Vorstellungen von uns, die deine von mir. Ich will dir jetzt sagen, so sagst du zu mir, dass es nicht so war. Kein Meer, kein Boot, kein beinahe Ertrinken. Mit dem Flugzeug kam ich, mit jenen Menschen, die mich gekauft haben und als Sklavin in ihrem Haus hielten.“ (160f.)
Der Text versucht damit, die Konstruktion eines – gefährlich verklärten – ‚Anderen‘, zu hinterfragen, bleibt aber perspektivisch der Ich-Erzählerin verhaftet. Deren erzählerische Machtposition – und damit auch deren bestimmender Blick – zeigt sich in der auffallenden Verwendung der zweiten Person Singular: „so sagst du zu mir“ (siehe oben), als „du mich gesehen habest, seist du ruhig geworden“ (170), oder: für „dich bin ich Meta, fügtest du hinzu“ (173).
Insgesamt tendiert der poetisierende Sprachduktus, den der Text über sein Thema breitet, dazu, die reale Katastrophe in die Ferne zu rücken. Begriffe wie „Brandanschlag“ (139) und „Asylantrag“ (145) wirken wie Fremdkörper, provozieren einen stilistischen Bruch, erinnern aber auch an die gar nicht poetische Dimension von Flucht, Vertreibung, Gewalt. Gleichermaßen einsichtig wie paradox heißt es denn auch: „Ich will erzählen, dass ich dich nicht zwischen den Büschen der Ausfallstraßen stehen sehe, in dunklen Kellerlöchern und Freudenhäusern sehe ich dich nicht liegen, wenn schon wieder dein Körper geschändet, von gierigen bleichen Männern, ich höre dich nicht schreien [...]. Das erzähle ich nicht, weil das schon Wirklichkeit ist. / Ich ängstliche Europäerin will glauben können, dass es auch anders geht“ (72). Insofern vollzieht der Roman selbst eine Fluchtbewegung nach und versucht der Grausamkeit seines Themas zu entkommen, um unweigerlich immer wieder darauf gestoßen zu werden.

Marina Rauchenbacher
4. April 2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.


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