Leseprobe
Sechzehn Stunden später hört Renza Rathbauer das Meer rauschen. Im Prinzip hat sie immer gewusst, dass Olbia ihr Zuhause ist. Obwohl sie noch nie auf Sardinien war. Oft wird einem erst klar, wo zu Hause ist, sobald man angekommen ist. Und manchmal, da dauert der Weg dorthin eben fast fünfundsechzig Jahre.
Eine kühle Flasche Ichnusa in der einen Hand und die ganze Welt in der anderen. Sie denkt an den Dohringer, hofft, dass er glücklich ist, erinnert sich an den Tag, an dem sie ihn vom Apfelbaum auf dem Krimmwinger Kirschkernhügel gerade noch rechtzeitig heruntergeschnitten hat.
Niemand ist auf die Idee gekommen, den Steinlechner Sepp von seinem hängenden Schicksal zu befreien. Obwohl einige vorbeispaziert, ein Kind sogar
-Mamamamimuttischaumal! gesagt und auf den kämpfenden Körper gezeigt hat.
Wie ein Marathonsprinter ist der Rathbauer angelaufen gekommen, weil sein Bauchgefühl, wie bei allen misshandelten Kindern, präzise funktioniert wie ein Messgerät.
-Dummer Bub. Du bist ein richtig dummer Bub, murmelt der Rathbauer, hält seine Fußsohlen, drückt sie mit aller Kraft samt den Beinen nach oben.
Die Atmung vom Rathbauer bringt selten etwas aus dem Takt. Aber das Röcheln vom jungen Steinlachner Sepp wird er nie wieder vergessen.
-Wir eröffnen heute noch ein Konto bei der Bank, ich überweis dir eine Summe. Danach gehen wir ins Reisebüro und kaufen ein Ticket nach Johannesburg. Wir rufen den Jackson an. Gemeinsam.
-Okay.
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