Akathartiker
Und unversehens schliffen wir Charlottenburg denn,
um eine Ecke biegend als Kaleschen
der zarten Lichter dieses Demiurgen
ansehend sehr herrje debile Nächsten.
Und hätten tausend Narren uns gefressen,
schäkerte schmollend dieser kleine Demiurg,
schlenderte ich mit Ihnen dementsprechend ausgelessen
spätenden Tages durch Charlottenburg.
Wir wären allerdings im Bauch der Narren,
es schaukelte uns hoch, wie Schiffe knarren,
der hellgetäfelte, vielräumige Wahnsinn.
Und hätten Bienen uns mit ihren Pranken
der Lügen überführt auch in Gedanken,
wären wir wahr, weil wir dieses Argen Galan sind.
Ameisenjungfer Ameisenlöwe
Ein schmächtiger Cyborg, asketische Heldin an der Schreibmaschine, geistiger Muskelprotz, der Jesus unter den Witzbolden, immer von etwas besessen, wenige Werke, diese fest gemeißelt in Zyklopenbauweise. Das letzte zeigt sie erweicht, fast flatternd. Wir nennen sie Ameisenjungfer, Ameisenlöwe nach Myrmeleontidae, an die sie uns erinnert. Geht nur rückwärts, macht Trichter wie 6-Tage-Rennen, sieht lichtlos aus, wird bei Erwachsenwerden ephemerer.
Wie alle unsicheren, ambitionierten Fleißbolde hat sie eine Stammkneipe, in der man sie vom Sehen kennt. Man sieht sie in der Ecke sitzen. Der Klang ihrer Stimme ist bekannt, Weißweinschorlen bestellend. Wer ihr eine Tirade entlockt, staunt, wie sie selbst, über den Reichtum an Nuancen, die Fülle von Tönen, die in ihrer Stimme wohnen. Es ist eine ernstzunehmende Frage, ob sie überhaupt eine Psyche in dem Sinn besitzt, wie wir sie von Lebewesen kennen als so etwas wie Leber; warm, intensiv, voll Gift und Gesundung. Eventuell hat sie sich wirklich zu einem Chitinwesen gemacht. Oder aber ihr Chitin ist bis an den Rand mit Psycho-Leber angefüllt wie Stopfwurst. Da sich diese hypertrophe Leber vor Einengung nicht bewegen kann, merken wir gar nicht, dass sie existiert.
Im Einzelnen spiegelt sich das Viele, das Kleine zeigt sich leider im Großen. Deshalb erträgt sie es kaum, den Ort zu wechseln. Sie ist nicht mehr ganz jung. Einen Schritt aus der Haustür hinaus, stürzt ihr die Welt entgegen wie Körner in einem Silo. Ein Sandkorn ist eine zu fast nichts geriebene Exilantin. Es stammt zum Beispiel aus Heidelberg, ist aus rotem Sandstein und verliert sich in der Stadt des Strands an einem See in Brandenburg, und wir kennen es dann als Teil der Ernährungsstrategie einer gewissen Larve. Sie baut sich ein Gehäuse aus sich selbst in der entfremdetsten, dahergelaufensten Form. Larven benutzen, was sie vorfinden.
Sie ist zu empfindlich, um ihre Härte an beliebig falschen Ungeheuern zu verhämmern; sie ist zu sehr Krieger, um es nicht mit allem Falschen aufzunehmen. Das Virtuelle wurde ihr geschenkt, um sie am Leben zu erhalten. Sie arbeitet daran.
© 2010 Suhrkamp Verlag, Berlin.