Leseprobe:
"Ich war nie so schön wie meine Mutter", sagte sie plötzlich, "aber ich hielt mich lange ziemlich gut, nicht wahr? Er hat mir Rosenquarz geschenkt, weil er wusste, wie sehr ich meine Mutter vermisste. Und ich hatte Heimweh nach den grünen Hügeln, den Wäldern voller Pilze, den Wiesen mit dem Fleckvieh, den blühenden Erdäpfelfeldern."
Aber später, rund um Melbourne, war es doch auch schön. Erinnere dich an die freundlichen Täler im Norden –"
"Ich habe es gehasst."
Ihr Ausbruch überraschte mich. Wie fest ihre Stimme plötzlich klang. Sie richtete sich auf, ihr Körper spannte sich, sie blickte mich direkt an mit klaren Augen und klarem Verstand:
"Ich habe alles dort gehasst. Alles war fremd, anders. Es sah anders aus, es funktionierte anders, roch anders."
"Aber..."
"Nichts war wie daheim. Und ich durfte es mir nicht anmerken lassen. Er durfte es nicht wissen. Es hätte ihm das Herz gebrochen."
[…]
"Du hast nie verstanden, dass es mehr braucht für eine funktionierende Ehe, als verliebt zu sein. Du bist weggelaufen, als es schwierig wurde. Du hast keine Ahnung, wie es ist, die Heimat hinter sich zu lassen, mit allen Freundinnen, allen, die du liebst, und auf einen einzigen Menschen zu setzen, der dir das ersetzen soll und daran nicht zerbrechen darf. Du hast keinen blassen Schimmer!"
In aufwallender Wut wischte sie alles vom Tisch auf den Boden. Ich kniete wortlos hin und sammelte die Stücke auf. Dann setzte ich mich zu ihr. Ich wusste nicht, weshalb. Ich sah nur, dass sich wieder Schleier vor ihre Augen schoben und wie alle Spannung ihren Körper verließ.
(S.116)
© 2019 Carl Hanser Verlag, München