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Leseprobe: Raoul Schrott, Hans Magnus Enzensberger - "Mutmaßungen über die Poesie."

RAOUL SCHROTT: Es ist mir einfach alles zu anämisch und zu sehr gespalten in sentimentale Anekdoten auf der einen Seite, wo dann die Rede ist von "Hamlet-Situationen beim Staubsaugen", und man auf der anderen Seite diese ganzen textgenerativen Verfahren hat, wo die Welt der Naturwissenschaft und der Politik überlassen wird und das Gedicht selbst reduziert auf eine Art neurologischen Kurzschluß oder Nabelschau. Das ist mir einfach eine zu große Impotenzerklärung vor der Welt. Für mich ist Lyrik was Sinnlicheres und was Realeres. Lyrik kann sehr, sehr viele Dinge aussprechen, definieren. Nur, es muß halt nicht in diesem betont betulichen, etwas prüden, etwas immer sehr Bennschen Ton gehalten sein, wo die Erhabenheit schon beim zweiten Satz herauszuspüren ist. Das, denke ich mir, muß nicht sein.

[...]

HANS MAGNUS ENZENSBERGER: Man könnte vielleicht schon unterscheiden. Bei jedem Autor wird es einen Kern geben, das worauf es ihm am meisten ankommt. Da ist's egal, was die anderen sagen, und bei mir ist es tatsächlich die Poesie, die der Kern der Produktivität ist. Da schließen sich dann nach außen hin alle möglichen anderen Dinge an. Ich spiele gerne auch auf anderen Spielbrettern. Die anderen Sachen sind im Vergleich dazu für mich dann doch relativ marginal. Nun ist es ja auch so: Man kann schwerlich in einem Paß lesen, daß jemand Dichter ist. Das ist eher die Ausnahme, und es hat auch einen Grund. Denn die Vorstellung, daß man anch dem Frühstück sich hinsetzt und dichtet bis es fünf Uhr nachmittags ist und man dann sozusagen die Mappe zumacht, ist ja eine perverse Vorstellung, und ich finde es ein bißchen krankhaft. Ich bedauere. Es kann vielleicht Menschen geben, die wirklich nichts anderes im Leben zu tun wissen, als Gedichte zu schreiben, aber ich finde das traurig und möchte mich nicht damit abfinden. Denn es gehört vielleicht dann doch auch zu der Poesie, daß sie etwas Seltenes ist. Es gibt ja auch diese Maler, die man im Kaufhaus antrifft. Manchmal sieht man solche Maler, die meterweise malen, und das wird dann auseinandergesägt. Eine solche lyrische Produktion wäre mir nicht recht. Deswegen muß man sich nach anderen Beschäftigungen umsehen. (S. 4)

 

RAOUL SCHROTT: Lyrik hat immer angefangen - und das ist zumindest auch das wahrscheinlichste - in einem sakralen Bereich, in einem religiösen Bereich, in einem kultischen Bereich, obwohl nicht zu vernachlässigen ist, daß es ja auch Volksdichtung gab, die immer wieder nach oben gekommen ist. Aber ich denke mir, die wahrscheinlich erste Instanz und die wichtigste Triebfeder ist das

Religiöse; daß also das Wort durch einen Gott legitimiert werden muß. Das ist ja bei Homer auch so: der Anfang eines Epos, der Anfang eines Gedichtes beginnt mit der Anrufung der Musen, die quasi die Legitimation darstellen, was auch ganz interessant ist. Bei den Griechen hießen diese Dichter damals Aoiden. Das waren Sänger, Seher, Propheten, die mehr mit Medizinmännern und Schamanen zu tun hatten als mit Dichtern in unserer heutigen Vorstellung. Diese damaligen Dichter mußten ja irgendwie belegen, daß die Götter durch sie sprechen, und das kontnen sie durch zwei Mittel: erstens, indem die Sprache metrisch war, also das Musikalische war Ausdruck des Göttlichen, und zweitens, indem sie beraucht waren. Ein nüchterner Dichter redet nur von sich selbst, das war uninteressant, aber nur wenn seine Seele quasi entrückt war und zwischen Himmel und Erde geschwebt hat, dann wußte man, er kann überhaupt Kontakt mit den Göttern haben und er hat überhaupt wahr gesprochen.
Der Begriff Poesie tauchte dann erst im 5. Jahrhundert auf und ist dann sehr abwertend gemeint als die Versemacher, Versezimmerer, die Macher, die das plötzlich jetzt selber machen, ohne darauf zu warten, daß die Musen mit ihnen sprechen. (S. 16f.)

© 1999, Eichborn, Berlin.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

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