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Saul Friedlaender u. a.: Bertelsmann im Dritten Reich.

Bd 1: Bericht.
München: C. Bertelsmann, 2002.
794 S.; m. Abb.; Euro (A) 36.-.
ISBN 3-570-00711-1.

"Die Belletristik des Dritten Reichs zählt nicht zu den besterforschten Gebieten der deutschen Literaturgeschichte" (S. 15), schreiben die Autoren in der Einleitung des Bandes. Man kann hinzufügen, dass den grassierenden Stereotypen und Klischees über die Kultur- und Literaturpolitik des Nazisystems bislang nur wenige fundierte Studien entgegenstehen (darunter die von Jan-Pieter Barbian). Die vorliegende Untersuchung, auch wenn sie allein dem C. Bertelsmann Verlag und dem assoziierten Rufer-Verlag gilt, hat deshalb exemplarische Bedeutung.

1998 hatte Thomas Middelhoff, der damalige Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, nach der Übernahme des renommierten amerikanischen Verlags Random House (Bertelsmann war damit zum größten amerikanischen Verleger geworden) eine Rede gehalten, in der er den alten Verlag als "one of the few non-Jewish media companies closed down by the Nazi regime" bezeichnet hatte. Weil der Verlag eine subversive Publikationsstrategie verfolgt habe, sei er ins Fadenkreuz der Machthaber des Dritten Reiches geraten und ausgeschaltet worden. Diese durchaus vertraut klingende Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung des Unternehmens stieß in den USA auf scharfe öffentliche Kritik, die dazu führte, dass Reinhard Mohn und Middelhoff eine unabhängige Kommission ins Leben riefen, um die Geschichte des Verlags untersuchen zu lassen.

Eine Unternehmensgeschichte also, eingebettet in den Kontext der politischen, ideologischen und verlagshistorischen Entwicklung in Deutschland zwischen 1920 und 1950. Während die traditionellen Firmengeschichten aber in der Regel in schonfärberisches Licht getaucht sind, nicht zuletzt, weil das Unternehmen seine Rolle als Auftraggeber wahrte, war hier eine unabhängige, hochkarätig besetzte Expertenkommission an der Arbeit, die sich unter der Leitung von Saul Friedländer, dem angesehenen Historiker aus Tel Aviv, selbst konstituieren konnte.

Ihr Bericht ist in 11 Kapitel gegliedert, von denen drei den politischen, lokalen, familiären und unternehmerischen Zusammenhängen gewidmet sind, zwei analysieren das theologische Verlagsprogramm, drei den belletristischen Verlagsteil, ein eigenes Kapitel untersucht antisemitische Tendenzen in den Veröffentlichungen des Verlags, und die beiden letzten Kapitel befassen sich mit dem Ermittlungsverfahren der Nazis gegen das Unternehmen, seiner Schließung, und mit dem Wiederbeginn nach 1945.

Die Firmenlegende wird damit ersetzt durch die Geschichte des sensationellen Aufstiegs eines protestantischen Provinzverlags zum erfolgreichsten Verlagshaus im Dritten Reich. Seit seiner Gründung bildete die Theologie den traditionellen Schwerpunkt des Programms. Im "Gesamtverzeichnis 1921 - 1951" sind bei C. Bertelsmann und dem 1939 angegliederten Rufer-Verlag 1.528 theologische und 1.071 belletristische Titel erschienen. Helmut Thielecke, Martin Niemöller und Otto Dibelius standen hier neben Paul Ettighofer, Ernst von Salomon, Will Vesper und Hans Grimm; die beiden letzteren waren die Starautoren des Verlags. Der theologische Hauptautor war Paul Althaus, dessen Schrifttum die Weltanschauung der Nazis theologisch legitimierte und aufwertete. In dem belletristischen Programm setzte man nach 1934 auf die sogenannten Kriegserlebnisbücher, die die Nähe zum System unterstrichen. Vor allem die Wehrmachtsausgaben nach 1939 ließen dann die Gewinne explodieren.

Ohne sich dem Nationalsozialismus rückhaltlos zu verpflichten (Heinrich Mohn trat nie der NSDAP bei, doch gehörte er einem Förderverein der SS an), stellte der Verlag sich doch immer tiefer in den Dienst einer nationalistischen und schließlich "rassistischen Propaganda" (S. 554). Wenn es in der Verlagsleitung auch keine vorbehaltslose Identifikation mit den nationalistischen Kriegszielen gab, so fand doch, auch in den theologischen Schriften, eine direkte ideologische und propagandistische Unterstützung des Regimes statt, die auch vor antisemitischen Elementen nicht Halt machte.

Die Zusammenarbeit mit Wehrmacht und Propagandaministerium verlief weitgehend komplikationslos; die späte Schließung hatte mit ideologischen Kontroversen oder gar subversivem Widerstand nichts zu tun. Heinrich Mohns Flexibilität, seine nationalistische Gesinnung und die spezifische Verbindung von familiärer Tradition und religiöser Ausrichtung machten ihn zum führenden deutschen Verleger.

Es ist eine exemplarische, auch im Detail spannende Firmengeschichte, die nicht zuletzt detailliert vom Verhältnis von protestantischer Kirche und Nationalsozialismus erzählt und daneben auch von deutschen "Kontinuitäten" handelt. Nach 1945 betonte man gegenüber den englischen Besatzungsbehörden erfolgreich die christliche Tradition des Verlags und setzte dann auf geschäftliche, betriebliche und inhaltliche "Kontinuitäten". Will Vesper und Hans Grimm fungierten nach dem Wiederbeginn als die Berater in literarischen und "weltanschaulichen" Fragen (S. 542). Das vielleicht schockierendste Zitat des Buches stammt aus der Nachkriegszeit. Der neu ernannte Lektor für Belletristik, Wolfgang Strauss, äußerte sich gegenüber Vesper entrüstet über einen Essay, der die NS-Lyrik als verbrecherisch attackierte. In seinen Brief fließt das Wissen über den Holocaust ein: "Den Aufsatz in der 'Sammlung' habe ich mit Erschütterung gelesen. [...] Wenn man also ein höheres Gericht selbst als gegen das Leben verstoßend anspricht, so sollte man alle Deutschen zusammentreiben und sie kurzerhand vernichten. Vielleicht existiert die nötige Einrichtung dafür noch; dann hat die Welt endlich einmal Ruhe" (S. 546).

 

Michael Rohrwasser
28. Jänner 2003

Originalbeitrag

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