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Friedrich Hahn: Peter & Peter

Namen tun nichts zur Sache.
Roman.
Graz: edition keiper 2022.
159 Seiten. EUR 20,-.
ISBN 978-3-903322-60-8.

Friedrich Hahn

Leseprobe

Kann ich mir das glauben, was ich mir selbst erzähle? Muss ich mich an das vorgegebene Schicksal halten, oder darf ich selbst in meine Identität eingreifen und dadurch die Geschichte verändern?
Friedrich Hahn kümmert sich Roman für Roman um Identität und Lebenssinn der "kleinen Leute", die im Laufe des Lebens aus der eigenen Geschichte herausrutschen. Dabei gehen zumindest die Romane bei Friedrich Hahn immer gut aus, vermitteln sie doch zwei Botschaften: Jeder ist zu einem Leben im Standby-Modus fähig, und jede Vita lässt sich aussitzen bis hin zum wohlverdienten Tod.

In Peter & Peter erzählt im vorderen Teil ein Graphiker in der Midlifecrisis von seinem Werdegang, simpel formuliert: ein unauffälliges Kind mutiert zu einem unauffälligen Erwachsenen. Hineingeboren in durchschnittliche Verhältnisse besteht sein erstes Aufzeigen darin, dass er beim Gewickelt-werden kurz verschwindet. Während die Mutter abgelenkt ist, rollt sich der Held von der Wickelmatte und bleibt regungslos unter Hygienematerial liegen. Die Mutter glaubt ihren Sohn verloren, sucht ihn im ganzen Haus, ehe sie das stille Kind endlich aufstöbert und in die tumultöse Welt zurückführt. Aus dieser Zeit ist dem Erzähler "das Burli" geblieben. Wann immer etwas besonders Putziges passiert, wird es geschlechtsneutral dem Burli zugeschoben.

Peter entwickelt sich zu einem Durchschnitts-Loser, seine Ehe scheitert mit Effet, sodass auch noch die Schwiegereltern in die Tiefe gerissen werden. Sie haben nämlich gutgläubig für einen Kredit gebürgt und dürfen jetzt in Miete irgendwo unterkriechen. Haus, Familie, Träume: alles hat sich in Luft aufgelöst. Geblieben ist ein ruhender Lebensstil vor dem Fernseher, in dem ständig die Träume von anderen gezeigt werden.
Beruflich arbeitet Peter als Graphiker und leistet sich die Illusion eines eigenen Ateliers. Seine Nichte hilft ihm bei der originellen Visualisierung von Buch-Covern.

Im zweiten Teil tut sich ein schier unglaublicher Ausweg aus diesem eingefrorenen Leben auf. In einem Park sichtet die Schwester einen Doppelgänger von Peter, aus einer Laune heraus bittet er sie um Kontaktaufnahme, und tatsächlich steht eines Tages der Doppelgänger vor Peter, er heißt ebenfalls Peter.
Jetzt werden alle Varianten durchgespielt, was wohl zur Duplizität geführt haben könnte. Ist es ein geheimer Zwilling, der bei der Geburt verlorengegangen ist, ein geheimer Vater, der überall als Samenspender (Spreader) gearbeitet und seine Einheitsgesichter hinterlegt hat? Und wie viel verliert ein Leben an Wert, wenn es gedoubelt wird?
Der Doppel-Peter scheint ein ähnlich ereignisloses Leben zu führen wie der Erzähl-Peter, als Amateur-Tennislehrer nächtigt er am Tennisplatz in mediokren Verhältnissen.
Beide reitet der Teufel, als sie versuchen, ihre Leben zu tauschen. Wenn man die Gewohnheiten eines anderen annimmt, gibt es vielleicht einen Kick, wie wenn man nach einer abgelaufenen Ehe wieder eine gleich gestaltete Ehe eingeht.
Der Tausch funktioniert anstandslos, weil die Menschen immer das sehen wollen, was sie schon gewohnt sind.
Peter und Peter übernehmen beruflich anstandslos die Rolle des anderen, verführen dieselben Frauen mit dem ewig gleichen Charme des Durchschnittsfreiers und tauschen sogar die Pässe.
Das Ergebnis ist ernüchternd. Identitäten sind austauschbar wie Kindheitserinnerungen, hinter jedem Gesicht steckt eine Burli-Anekdote, jeder hat eine Mutter, die schon einmal das Kind beim Wickeln verloren hat. Und jede Biographie lässt sich austauschen, weil es ja immer nur um das Abarbeiten von Zeit geht.
Es ist zu vermuten, dass es das Individuelle, Aufregende nur in der Literatur gibt, denn in der Lebenspraxis verliert etwas seinen Reiz, wenn es als Double auftritt. 

Dahinter steckt eine Portion Konsumkritik: Mit jedem Konsumgut, das wir uns als vorgebliche Einmaligkeit aneignen, werden wir Mitglieder in einem großen Pool an Austauschbarkeit. Wenn wir die Rollen tauschen oder jemanden nachahmen, wird aus Individualität pure Trivialität.
Die beiden Peter werden höchst literarisch von diesem Feldversuch befreit. Der Erzähler liest in der Zeitung, dass er gerade selbst im Gebirge tödlich verunglückt sei. Ok, das ist sein Pass, der da gestorben ist, aber wie soll er nun in Zukunft heißen? – Da muss er erst selbst im eingetauschten Pass nachschauen.

Friedrich Hahn schildert mit allen erzähltechnischen Raffinessen das gewöhnliche Leben eines tapferen Menschen. Vielleicht müssen wir nur die Träume laut aussprechen, damit aus einem Peter ein anderer wird. Im Kartenspiel heißt es, den Schwarzen Peter loszuwerden.

Rezension von: Helmuth Schönauer
Erstveröffentlichung 01/05/22, GEGENWARTSLITERATUR 3097

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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