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Brita Steinwendtner: An den Gestaden des Wortes

Leseprobe:

Diese kurze Geschichte ist eine Geschichte der Erinnerung. Ich habe H.C. kennengelernt, als seine wilde Zeit vorüber war. Von den durchzechten Nächten, den hitzigen Aktionen im Wiener ART-CLUB, im strohkoffer oder in der kleinen schaubühne wie auch von den Happenings in der Künstlerszene von Berlin oder Graz, wo er jeweils der adorierte Mittelpunkt war, weiß ich nur aus biografischen Angaben. Ich kenne ihn so, wie er sich gerne sah: als britischer Lord, als Flaneuer über eine italienische Piazza, als Wanderer an den Steilküsten seines Ideenozeans. Habe ihn erlebt als Wortezauberer und verletzlichen Menschen.
Mitunter scheint es mir, als ob das nahe Wirkliche schwieriger zu beschreiben ist als das ferne Imaginierte. Es ist leichter, mir zum Beispiel Mechtilde Lichnowsky auszudenken, wie sie am Blumenmarkt von Cap d'Ail einen Strauß Mimosen kauft und damit in der damals noch nicht belebten Unteren Corniche langsam nach Hause schlendert - weniger schwierig wäre das, als von einem Nachmittag am Schwarzgrabenweg zu erzählen, der mit zu nahe war, um ihn preisgeben zu wollen.

Knarrend ist die alte, steile Holzstiege hinauf in den ersten Stock des Mösler Bauernhauses. Auf dem runden Esstisch mit den vielen Sesseln rundum für heitere Runden steht ein Strauß Wiesenblumen. Wollgras, Bitterklee, Moosbeere, ein paar Margariten, Schafgarben, Zittergras. Die Sonne spiegelt sich auf der dunkelbraunen Politur, die Türe zum schmalen Balkon, der schon etwas morsch ist, steht offen. Nur bei Südwind hört man das ferne Rauschen von der Autobahn her. Der weiter westlich gelegene, sagenumwobene Birnbaum inmitten des Walserfelds war in den frühen 1970er Jahren ein willkommenes Ziel für H.C.s wilde Mopedritte mit Peter Rosei – hier soll der Legende nach in jener fernen Zeit, wenn keine Raben mehr um den Gipfel des Untersberges kreisen werden, Karl der Große aus dem Bergesinneren hervorkommen und die letzte Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse schlagen. Darüber haben schon viel zu viele Leute geschrieben, sagt H.C. und raucht mit Genuss, lacht und sagt, das interessiert mich micht.
Jedes Buch von Artmann erschließt unbekanntes Terrain. Ich könnte ewig so weitermachen und "botanisiertrommeln", sagt er, aber das wäre mir zu langweilig, ich brauche das Neue, nur das Unbekannte reizt mich. Und holt von seinem Schreibzimmer den Band Aus meiner Botanisiertrommel, aus dem er für eine Zeitung ein Gedicht auswählen soll. Und blättert in den Balladen und Naturgedichten über Wiesen und Blumen, den Tosbach und die Lady mit dem blauen Hut, über Nachtigallen, Schmetterlinge und Schaumzikaden, Strophen, für die ihn so mancher müde Städter "versponnen, spinner, später spund" nennen würde, und fragt: Soll ich das nehmen?

Wär ich ein kesselflicker,
ich flickte mir das herz
mit blanken kupfergroschen;
zu stillen meinen schmerz.

durch zauberei und sünde
empfing es loch um loch,
ich geh durch wiesengründe,
und lach ich, wein ich doch ...


... und liest weiter und ich sage, ja, das nimmst du! Vom Untersberg fällt der Föhn über die jähen Waldhänge und Felswände in die Ebene, lähmt die Fantasie, ermüdet den Geist, lässt die Knochen spüren als bleischwere Last, gibt den Verletzungen aus längst vergangenen Tagen neues Leben. Tagen des Krieges, die nicht vergessen sind: nicht im Körper, nicht in der Erinnerung und nicht im Lebensgefühl.

die kismetbilder kleben so
rühr mich nicht an ich bin
verseucht von allzu schicksal

Das Schicksal macht ihn mit neunzehn Jahren zum Soldaten der Deutschen Wehrmacht.

(S. 346-348)

© 2022 Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien

 

 

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