Eine KZlerin zur Großmutter. Dazu der behinderte Bruder. Der Vatername. Aus diesen Elementen speiste sich Hannos Alptraum, der fast vier Jahre währte. In ihm erschien als erster Radinger, als zweiter Scheffler, als dritter Prammer, als vierter Kudlich. Zwischendurch Gruppenleiter Kropf, und natürlich Abteilungsleiter Gruber. Hermann Gruber, reizbares Schwergewicht, vor dem alle Schiß hatten, dem sogar der Generaldirektor aus dem Weg ging. Später kamen andere hinzu, ein stellvertretender Gruppenleiter namens Thaler, der Leiter der Personalabteilung Polanc.
Franz Radinger ließ nur wenige Tage verstreichen, ehe er sich vor Hannos Schreibtisch aufbaute: Salzmann, das ist ja ein jüdischer Name! Hanno, überrascht, wusste zunächst nicht, wie er darauf reagieren sollte. Noch widerstrebte es ihm, in Radingers triumphierendem Tonfall, wie von einem, der hinter ein gut gehütetes, schreckliches Geheimnis gekommen ist, eine böse Absicht zu vermuten. Er machte schweigend weiter, über die Arbeitsblätter gebeugt, auf denen er die Versicherungsdaten anhand der elektronisch erstellten Fehlerliste überprüfen mußte. Oder er zuckte die Achseln und sagte, über seinen Namen habe er sich noch nie den Kopf zerbrochen. Möglich also, daß es beim erste Mal dabei blieb, daß auch Radinger die Arbeit wieder aufnahm. Überliefert jedoch ist, daß dieser sich von Hannos Zurückhaltung nicht beirren ließ. Daß er immer wieder auf den Name Salzmann zu sprechen kam, nicht glauben wollte, daß der andere kein Jude sei, dessen zunehmend gereizten Einwurf überhörte, es sei auch völlig irrelevant, ob der Name oder er selbst jüdisch wäre, bald dazu überging, das äußere Erscheinungsbild des jüngeren Kollegen als typisch jüdisch zu beschrieben: die hohe Stirn, den geraden Haaransatz, die krumme Nase (die nicht krumm war, aber besteht ein Trick der Juden nicht gerade darin, arischer auszusehen als ein Arier). So ging das über Wochen, Monate. Es half nicht, daß Hanno sich schon nach der zweiten oder dritten Attacke bei ihrem Gruppenleiter beschwert hatte; Kropf schickte ihn mit Radinger zum Abteilungsleiter, der im Beschwerdeführer den eigentlichen Unruhestifter erkenne wollte. Wenn keine Ruhe ist, sagte er zu Hanno, dann fliegen Sie.
(S.172 f.)
© 2010, Diogenes Verlag, Zürich.