logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Leseprobe: Reinhard Federmann - "Die Stimme."

Ein Augenblick der Lust

Leo erinnerte sich seiner Mutter nur als einer äußerst empfindlichen Dame, auf die man in jeder Weise Rücksicht zu nehmen hatte. Seit ihrer Scheidung von seinem Vater Dr. Heymerle lebte sie in Rom. Von dort aus sandte sie Leo zu Weihnachten und zu seinem Geburtstag kleine lila Kärtchen, die sie in ebensolche Kuverts steckte. Außer den jeweils indizierten Glückwünschen stand auf diesen Kärtchen mit geringfügigen Variationen stets das Folgende:
"Mein liebster Sohn! Ich hoffe, daß Du große Fortschritte machst und Deinem geplagten Vater keine Sorgen bereitest. Mir geht es hier im sonnigen Italien ausgezeichnet, die Leute sind alle so rücksichtsvoll. Mein einziger Kummer ist, daß ich Dich, mein liebster Sohn, nicht hier bei mir habe. Zu gerne würde ich Dir einmal das ewige Rom zeigen."
Sooft Leo diesen nichtssagenden Text zu Gesicht bekam, ärgerte er sich darüber. Manchmal sammelte er die Kärtchen, die in seiner Tischlade durcheinandergeworfen herumlagen, und betrachtete sie konzentriert. Auf den Karten, die über zwei Jahre alt waren, sah man noch die Rundstempel der Zensurstelle. Über diese Stempel ärgerte sich Leo am meisten. Der Gedanke, daß irgendein Zensurfräulein die abgeschmackten Zeilen seiner Mutter las und daraus die Berechtigung ableitete, auf ihn, Leo, als dummes Muttersöhnchen herabzusehen, verursachte ihm starkes Unbehagen. In einem Augenblick allgemeiner Unlust schnitt er den Rundstempel säuberlich aus, holte die Reproduktion eines Halbakts, der ein kauerndes Proletariermädchen mit abwesendem Blick und stämmigen Schenkeln darstellte, aus der Egon-Schiele-Mappe seines Vaters und klebte den Zensurstempel mit Gummi arabicum auf die delikateste Stelle der Zeichnung. Gern hätte er das also zensurierte Blatt über sein Bett gehängt, aber das ging nicht wegen des Dienstmädchens, und auch seinen Mitschülern konnte er es nicht zeigen, da sie als rohe und phantasielose Burschen die Feinheit dieser Retouche nicht begriffen und sicherlich lieber das unverhüllte Original gesehen hätten.
(S. 28f)

©2001, Picus Verlag, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Junge LiteraturhausWerkstatt - online

Mi, 13.01.2021, 18.00–20.00 Uhr online-Schreibwerkstatt für 14- bis 20-Jährige Du schreibst und...

Grenzenlos? (Literaturedition Niederösterreich, 2020) - online

Do, 14.01.2021, 19.00 Uhr Buchpräsentation mit Lesungen Die Veranstaltung kann über den Live...

Ausstellung
Claudia Bitter – Die Sprache der Dinge

14.09.2020 bis 25.02.2021 Seit rund 15 Jahren ist die Autorin Claudia Bitter auch bildnerisch...

Tipp
LITERATUR FINDET STATT

Eigentlich hätte der jährlich erscheinende Katalog "DIE LITERATUR der österreichischen Kunst-,...

OUT NOW flugschrift Nr. 33 von GERHARD RÜHM

Die neue Ausgabe der flugschrift des in Wien geborenen Schriftstellers, Komponisten und bildenden...