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Wolfgang Pollanz: Die Undankbarkeit der Kinder.

Leseprobe

Verlassen zu werden war immer meine größte Angst. Schon als Kind hatte ich Albträume und Verlassensängste. Mir träumte oft von einem Zug, weil wir nahe einer Bahnstrecke wohnten. Eigentlich war es eine malerische kleine Bahnstrecke, die von der Landeshauptstadt bis an die slowenische Grenze führte. Nachts oder frühmorgens, wenn man noch im Bett lag, konnte man immer zuerst das Schlagen der Schrankensignale hören, dann den Zug. Allein durch das Geräusch konnte man sagen, ob es sich um einen Zug mit einer Dampflokomotive handelte oder um jene damals moderne Triebwagengarnitur, die man den Roten Blitz nannte. Der Zug in meinem Traum sah weder wie die Dampfeisenbahn noch wie die Triebwagengarnitur aus, es war wohl ein Fantasiezug. In meiner Erinnerung dominieren die Farben Gelb und Braun, er wirkt wie ein monströses Spielzeug, das plötzlich den Lauf der Schienen verlässt, um mich, der hinter den Haus der Eltern in ein Kinderspiel vertieft ist, mitzunehmen, mich gegen meinen Willen fortzubringen, vielleicht hinaus aus der Enge des Elternhauses in die Welt. Damals machte mir die Vorstellung Angst, heute weiß ich, dass dieser Traum so etwas war wie der Beginn des Erwachsenwerdens. Einige Jahre später stand ich mit meinem späteren Freund Kurt am Eingangstor des Internats und weinte vor Schmerz, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben von meinen Eltern, von meinem Bruder, von meinem Zuhause getrennt war, allein gelassen mit fremden Menschen, mit Mitschülern, die ich noch nicht kannte, mit Lehrern und Erziehern, und ich keine Vorstellung davon hatte, was da auf mich zukommen würde. Das Internat hat mir geholfen, das Leben nüchterner zu sehen, es hat mich gelehrt, dass man auf der Welt nur sich selbst hat. Und wenn man Menschen findet, die einen lieben und respektieren, dann ist es ein großes Glück und eine Gnade, die es nur selten gibt. Eine Zeit lang habe ich nicht gewusst, wohin ich gehöre, das Internat war nicht mein Zuhause, aber mein Elternhaus auch nicht mehr. Welch große Gefühle des Verlassenseins ich kannte! Es gab Momente, in denen man erkannte, dass man dem Universum völlig egal war, auch wenn man glaubte, man sei dessen Mittelpunkt. World turning around me, hieß ein Song, den ich einmal schrieb, ich war das Zentrum der Welt: No difference where I go/ No difference where I stay/ I am the center of the universe/ and it`s all in my head. In Wahrheit hatte ich Angst davor, Unbehagen vor dieser Erkenntnis, was man wirklich ist, wo man sich wirklich befindet in dieser Welt. Das Gefühl des Verlassenwerdens ist das große Angstgefühl, ich bin unfähig damit umzugehen. Zuerst hatte ich Angst, dass ich von der Mutter und vom Vater verlassen werde, später von einem geliebten Menschen. Bin ich alleine, brauche ich die Sicherheit, den Gedanken, dass es eine Rückkehr geben wird, dass meine Einsamkeit nur befristet ist. Wenn ich einmal sterbe, möchte ich eins werden mit dem geliebten Menschen, aufgehen in dem, was ich mir vorstelle als Ewigkeit, denn das Einzige, das ewig zu währen vermag, ist die Liebe. Wer diese nicht wirklich kennt, kennt auch die Angst vor dem Verlassenwerden nicht, weiß vielleicht auch nicht, wovon ich rede. Das ist meine Metaphysik, die keiner Religion, keines Systems bedarf. Es ist, was es ist, nichts mehr gibt es eigentlich zu sagen als diese Gedichtzeile, die viele kennen, aber nicht verstehen, weil sie die Liebe nie erfahren haben.

(S. 105-107)

© 2014 edition keiper, Graz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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