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Fabian Oppolzer: Höllensturzsinfonie.

 

Erster Teil

Das Hotel Imnusom


1


Ein heller Nebel, sonst nichts. Ich liege da und lausche in die Stille. Ich bin allein. Ich kann nicht sagen, ob ich die milchige Trübheit um mich herum wirklich sehe, oder ob ich die Augen noch geschlossen habe und sie in meinem Kopf vorherrscht. Ich bin mir nicht einmal ganz sicher, ob ich selbst existiere. Ich habe keine Ahnung, wer ich bin, oder wo ich bin, und es kümmert mich auch nicht.
Dann beginnen sich Konturen zu bilden, vor jedem Inhalt, vor dem Begreifen.
Der Nebel beginnt sich zu bewegen, wölbt sich leicht im Wind, wie ein Segel. Eine ganze Weile nichts anderes, nur das.
Ein Geräusch. Etwas Bekanntes, Vertrautes. Ein leises dumpfes Patschen von etwas, das flattert, um sich schlägt, sich abquält.
Es ist mein eigener Atem. Aber ich atme nicht. Etwas atmet für mich, in mir. Kurz flammt eine Gewissheit in aller Deutlichkeit auf, eine Erklärung, die im selben Moment wieder verschwunden ist, dann verliert das wehende Segel vor mir seine Form, das Grau wird schwarz, die Dunkelheit kehrt zurück, etwas Fremdes greift nach mir.

Zuerst ist da nur die Panik. Ich versuche, mich mit aller Kraft gegen den Griff zu wehren. Aber er ist unnachgiebig. Lange, dürre Tentakel sind unverrückbar, als wären sie aus Metall. Dann schlucke ich Wasser. Es schmerzt in den Lungen. Ertrinken ist die Schönste aller Todesarten, denke ich. Aber schön ist es nicht. Etwas nimmt Besitz von mir. Dann, nach einer Ewigkeit, lässt die Panik nach und ich tauche ein, in eine all umfassende Dunkelheit. Eine Dunkelheit, wie ich sie nie zuvor erfahren habe.
Ich erinnere mich an Geräusche. Leise, gleichzeitig hoch und schrill.
Ich erinnere mich an Laute und an Schmerzen. Die Schmerzen sind irgendwo unter den Lauten, östlich der Sonne, westlich des Mondes.
Es ist mehr als ein Schlaf. Tiefer und dunkler. Es ist auch kein Träumen, sondern etwas viel, viel Echteres. Intensiver als die Realität, denn dort im Dunklen bin ich nicht allein. Dort ist etwas, das diese Laute von sich gibt. Etwas Nasses, Schwarzes, Schleimiges. Ein Wurm mit hundert toten Augen und Fühlern. Sein wabernder Körper taucht vor mir auf, seine schlammglatte Haut ist von schaumigen Gischtwölkchen umgeben.
Ein Wurm, der seine scharfen Zähne aufeinander mahlen lässt.
Ein Wurm, der die Dunkelheit absucht. Nach mir sucht, schmatzend seine blinden Fühler ausstreckt. Ich kann mich nicht bewegen. Ich schwimme in diesem öligen Nass und warte.
Dann wird ein Mund über meinen gestülpt, der keinem menschlichen Wesen gehört, und die Luft aus diesem Mund bläht meine Lungen auf und haucht mir etwas ein, etwas Giftiges, das sich tief in meinem Körper einnistet. Ich kann es schmecken, eine Mischung aus vergorenen Trauben und bitterem Fleisch. Ich kann es hören.

Ein Forte-Schlag, kurz erweckend. Ich kenne jeden Ton. Hoher, atonaler Gesang. Das Thema, Frage und Antwort, jeweils vier Takte umfassend; die Frage einstimmig gestellt, die Antwort wirr, dicht und mehrstimmig.
Ich komme überhaupt nicht auf die Idee zu fragen, woher ich das weiß, dafür ist die Musik viel zu vertraut. Ich lausche und spüre, wie sich die Musik in mir verteilt wie ein Tintentropfen im Wasser.
Nach dem ersten öffnenden Schlag wieder Ruhe. Mit dem Einsatz des zweiten Themas fließen Achteltriolen hinzu, der Kern wird ausgeschöpft, der Gedanke variiert. Es geht nicht um Entwicklung, es geht um Bewahrung. Bewahrung von etwas, das am besten vergessen gehört. Aus der Dissonanz wird Moll, aus Moll wird Dur, trotz weiterer Trübung, die letzte Frage wieder im frei Tonalen. Die Antwort diesmal verhalten, leise, kaum spürbar, ein letztes Aufgeben. Ich kann mich an das Ende nicht erinnern und freue mich darauf. Freue mich darauf, mit dem Ende des Stückes wieder zurück ins Nichts zu gleiten.
Das alles höre und denke ich, ohne zu wissen, wer ich bin. Erst als die Musik kurz vor der Erlösung abgewürgt wird, erinnere ich mich an meinen Atem, an den Wurm.
Ich reiße die Augen auf, will hochfahren, mich dieses fürchterlichen Fremdkörpers entledigen, der Luft in meine Lungen pumpt wie ein bösartiges, riesiges Insekt, das sich auf meinem Gesicht festgesaugt hat, seinen Rüssel tief in meinen Hals gebohrt, aber das Adrenalin durchfährt nur einen tauben, regungslosen Körper.
Etwas Verschwommenes beugt sich über mich.
Mein Herz pulsiert stark hinter den Schläfen und verzerrt bei jedem Schlag das immer klarer werdende Bild. Eine Stimme flüstert in meinem Kopf. Der Kampf ist vorüber. Meine letzten eigenen Gedanken verschwinden. Dann wache ich auf.

(Leseprobe S. 13-15)

© °luftschacht Verlag, Wien 2014.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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