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Leseprobe: Gerold Foidl - "Der Richtsaal."

"Halt's Maul, Idiotin! Schau sein Gesicht an, sagt dir das nichts? Durch deine Bldheit hat er jetzt erfahren, was Mutter und ich mehr als neun Jahre geheimgehalten haben. Der denkt nicht länger, er wär damals zur Nachbehandlung seiner Gehirnhautentzündung drinnen gewesen. Das hast du uns eingebrockt. Glaubst, wir werden vor dem noch Ruhe haben? Der ist kein Bub mehr. Das ist das Gesicht eines Mörders, der vor gar nichts zurückschreckt, wenn's drauf ankommt. Den bringt nicht so leicht jemand noch einmal ins Narrenhaus."
Ich hörte die Worte an mein Trommelfell schlagen. Verstand sie, konnte aber nichts erwidern. Die Beine wurden schwer. In meinem Kopf hörte das Uhrwerk zu gehen auf. Gleich würde es stehenbleiben.
So waren die Nächte, so waren die Tage. Die weißgekalkten Wände des Pavillon 3. Das Podest, aut dem die Wärter hinter dem Pult saßen. Der Alustab vor ihnen auf der Pultkante, der mir zum Inbegriff der Angst wurde. Wenn Franz den Mittelgang heraufkam. Wie eine Spinne. Mit seinem Quadratschädel. Meine Hände in den Leinenriemen festgebunden Dann der Stich in die Niere. Um einen Katheter einführen zu kÖnnen. Damit ich draufgehe, sobald das Blut kommt.
Ich möchte schreien, aber ich kann den Mund nicht öffnen. Ich stehe schon eine Ewigkeit so da. In diesem Zimmer, dem "Richtsaal". Geschworene in der Runde. Sie beschließen einen Fememord. Da ist der Mann und neben ihm die Hexe. Sie grinst zufrieden. Ich habe wieder Angst. (S. 69)

Sie kommen einen holen.
Die Hirnfraßanstalt - nur die Experten sagen dazu Psychiatrie - benötigt dauernd Nachschub, sobald mehrere Käfigbetten freistehen. Es wäre kein Beweis von Tüchtigkeit, wenn sich die Pavillonschlafsäle zu sehr leerten. Das ist auf keinen Fall geplanter Zweck dieser wohltätigen Institution im Intereese der Volksgesundheit. Geringe Belegschaft würde den Beweis der Überflüssigkeit dieser geschlossenen Anstalten liefern. Das darf auf keinen Fall geschehen. Es sind die Wärter, die sich Pfleger nennen.
Im Grunde genommen vergewaltigte Naturen. Gezeichnet von den Jahren in einem 36-Mann-Pavillon. Außenseiter wider Willen. Es ist erst 1963. Noch gibt es kein Basaglia in Österreich. Noch gibt es nicht einmal die offenen Abteilungen.
Zuchthaus und Psychiatrie sind voneinander nicht so sehr verschieden, wie es auf den ersten Blick erscheint. Es sind andere Methoden. Doch der Erfolg ist gleich.
Beide zerbrechen Menschen.
Und die Rückkehr ist grausam, isolierend, führt meistens an den Ausgangspunkt zurück Ein Teufelskreis, der entweder in ewiger Verwahrung oder im Selbstmord endet. (S. 111f.)

Es steht bedenklich mit mir. Ich schrecke bereits beim leisesten Geräusch auf. Stehe kurz davor, mich in einem unbekannten Abgrund zu verlieren.
Doch merkte niemand etwas von dieser inneren Erregung, was seinen Widerstand neuerlich stärkte. Ich muß ein guter Schauspieler sein. Anders ist es nicht möglich.
Manchmal kann man es vor unausdenkbarer Brutalität nicht ertragen. Drinnen zuzuschauen. Schnell wird man von den Eindrücken zur Flucht getrieben. Kann trotzdem niemals das Gesicht eines Vierzehnjährigen vergessen, der aus dickverschwollenem Gesicht Blut hustet, während Franz, der Wärter, ihn am Haarschopf des auf die Brust gefallenen Kopfes hochreißt. Dabei höhnisch lachend. Gleichzeitig seine Faust mit aller Gewalt dem Jungen in den Solar plexus rammend.
Der blutspeiende Mund bleibt schmerzentstellt wie eine Fotografie stehen.
Da sind einige dieser Bilder, die man ewig nicht vergißt. Denkt man daran, riecht man das abscheuliche Stinken des Gefühlsfleisches in seinem Inneren. Spürt den Moment, wo man sich der unerträglichen Schmerzen wegen aufgeben will. Man glaubt, das kommende Zerbrechen des eigenen Körpers zu hören. Die Quälerei an dem Vierzehnjährigen wird von der Unheimlichkeit einer Stille begleitet, die einen als zunehmende Leere weiterbegleitet. Ständig peinigend, da der Gedanke, sich aufgegeben zu haben, ein damit zusammenhängender Deliriumszustand ist. Obwohl seine knorrige Härte und katzenhafte Ausdauer während dieser ersten Psychiatrierung keinen einzigen Schmerzschrei aus ihm freisetzt. Nichts diesen von Dr. Hetzer so gehaßten Kern geistiger Verteidigung zu durchbrechen vermag. Die seelische Unbeschwertheit von früher flog allerdings nicht wiederkehrend fort aus ihm. (S. 139)

(c) 1998, Edition Löwenzahn, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

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