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Gábor Fónyad: Zuerst der Tee.

Roman.
Wien: Verlag Wortreich, 2015.
200 Seiten; gebunden; Euro 19,90.
Cover: Alice Haring
ISBN 978-3-9503991-7-2.

Autor

Leseprobe

Wie lebt ein Mensch, um seine Ziele zu erreichen? Verordnet er sich selbst ein strenges Programm, von dem er unter keinen Umständen abzuweichen wagt? Oder überlässt er alles ein bisschen dem Zufall, den spontanen Ideen und lässt sich treiben? Lebenswege, die diametral voneinander abweichen, lässt der 1983 geborene Autor Gábor Fónyad in seinem so leicht erscheinenden ersten Roman „Zuerst der Tee“ aufeinanderprallen.
Mit dem Titel verweist der Schriftsteller nicht nur auf den Handlungsort seines Romans, das kleine Städtchen Rye an der Südküste Englands, sondern er spielt auch auf den pedantischen Alltag seiner Hauptfigur Eduard an. Alles hat einen festgelegten Zeitplan. Nichts darf seinen Tagesablauf, der sich ausschließlich an seiner wissenschaftlichen Karriere ausrichtet, stören.
Oder ist es eher so, dass sehr viele Menschen Eduard einreden wollen, zuerst einmal Tee zu trinken und sich ein bisschen fallen zu lassen. Der Autor lässt das bewusst offen und spielt mit der Doppeldeutigkeit nicht nur seines Romantitels.

Eduard, ein ehrgeiziger junger Sprachwissenschaftler, fühlt sich in seiner Arbeit durch die profanen zwischenmenschlichen Streitereien an seinem Institut in Wien gestört. Er flieht in das südenglische Städtchen Rye, um hier in Ruhe eine neue Theorie zu den Kasussuifixen der tschuktischen Sprache zu vollenden. Eduard verfolgt eine Forschung, die keinen anderen Zweck hat, als über andere Wissenschaftler zu triumphieren. Die sehr wenigen Tschukten in Nordostsibirien hat er selbst nie besucht, ja er erschrickt gar vor der Idee, in Kontakt mit diesen zu kommen. Fónyad nutzt die absurden Theorien um die Kasussufixe auf gewitzte Weise als ein immer wiederkehrendes Motiv und offenbart damit die Weltfremdheit von Eduard und der Wissenschaft an sich, ohne sich abwertend lustig zu machen. Billige Kalauer liegen dem Autor nicht.
Doch Eduard erwartet nicht die ersehnte Ruhe in Rye. Seine Zimmervermieterin will ihn mit ihrem anderen Dauergast Pauline verkuppeln. Pauline ist eine französische Pianistin, die sich zum Üben für ein Vorspiel nach Rye zurückgezogen hat. Mit ihrer Lebensweise ist sie der absolute Gegenpart zu Eduard. Pauline hat ihr Studium abgebrochen, und auch das Üben vernachlässigt sie für jede sich ergebende Ablenkung. Ablenkungen, die sie in ihrer selbst zusammengeschusterten Theorie zur Musik braucht, um eines Tages wirklich Geniales leisten zu können. Eduard, der Pedant, der seine Umwelt absolut ausblendet, und Pauline, der Freigeist, der sich nicht konzentrieren kann, werden so zwangsweise miteinander verbunden.
Als Dritter kommt der stille Beobachter Oscar hinzu, der sich immer wieder nach Rye zurückzieht, um die Menschen zu beobachten, und der zu Beginn seines Aufenthalts sowohl Pauline als auch Eduard als Störfaktoren in dieser idyllischen Stadt empfindet. Oscar, der von Fónyad auffallend unkonkret beschrieben wird, spielt als Dritter in diesem Bildungsroman eine nicht unwichtige Rolle. Ist er doch für Eduard der Auslöser, sich seinen neuentdeckten Gefühlen zu öffnen und seinen sturen Arbeitsablauf zu verändern, was zu fieberhaften Anfällen führt.

So wird in dieser idyllischen Kleinstadt, die nicht nur aus der Zeit gefallen zu sein scheint, sondern wie eine Insel umgeben von Marschland und aller sozialen und gesellschaftlichen Probleme scheinbar enthoben ist, eine kleine Liebesgeschichte erzählt. Es ist ein Bildungsroman, in dem Eduard, der kommunikationsgestörte Sprachwissenschaftler, eine andere Welt entdeckt.
Das Buch zeugt von einem Humor, der nie dick aufträgt, selbst wenn er ins Absurde abschweift. Gábor Fónyad, der 1983 in Wien geboren wurde und dort lebt, hat Finno-Ugristik studiert und beweist mit diesem Romandebut ein erstaunliches Talent für einen lockeren Erzählstil. Er besitzt einen liebevollen und sehr gebildeten Blick auf Details. Viele seiner wie nebensächlich angeführten Bemerkungen – und sei es nur der Name der Pension, „The House Opposite“, das „The House with Two Front Doors“ gegenüber steht – sind klug durchdachte Bilder, die aus seiner Erzählung einen feingewebten Roman machen, der niemals die Leichtigkeit verliert.
Fónyads leiser Humor ist die ideale Grundlage, um die unterschiedlichsten Lebensentwürfe und Kulturen aufeinanderprallen zu lassen, ohne abgehoben zu wirken. Es ist ein Buch, das gute Laune macht. Ideal, um es bei einer guten Tasse Tee zu lesen. Und wenn man zu Ende gelesen hat, wünscht man sich noch mehr Bücher von Gábor Fònyad. Eine große schriftstellerische Begabung ist hier zu entdecken.

Spunk Seipel
9. September 2015

Originalbeitrag.
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.


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