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Beiträge 201-210
von: Claudia Bitter, Vera Albert, Gerhard Zeillinger, Veronika Seyr (1), Doris Fleischmann, Veronika Seyr (2), Eva Maria Schalk, Helwig Brunner, Bernhard Heinrich, Eva Maria Schalk
Claudia Bitter
Vor fünfzehn Jahren: Meine Tochter ist ein Nilpferd. Erste Volksschulklassen führen gemeinsam mit der Musikschule „Das kleine Ich-bin-ich“ auf. Ich habe die Ohren für meine Tochter gebastelt, sie sind an einem Haarreifen befestigt. Ich habe keine Ahnung wie Nilpferdohren aussehen. Auf dem breiten Gang wuseln aufgeregte Kinder herum, bis es dann so weit ist – im großen Sendesaal. Ich schaue um mich und fühle mich erhaben, danach kommt Stolz und Rührung – mein Nilpferd im großen Sendesaal. Vor fünf Jahren: Ich sitze mit Mann und Kindern in der Strandtaverne auf einer kleinen kroatischen Insel, es ist sehr heiß und ich bin aufgeregt, eigentlich bin ich gereizt, weil das W-LAN nur schlecht funktioniert. Mit einigen Aussetzern hören wir auf dem Laptop die Lesung meines Textes, der gerade auf Ö1 gesendet wird. Es passiert nicht oft, dass ich meinen Namen im Radio höre. Nach der Übertragung können wir endlich zu essen bestellen, was es eben gerade gibt auf der autofreien Insel. Ich habe großen Appetit. Vor fünf Wochen: Zu Fuß gehe ich fast eine Dreiviertelstunde zum Funkhaus, hüpfe die Stufen rauf und schnurstracks ins Studio drei. Gerade setzen die Maschinisten das Riesending in Bewegung: ein Poltern zuckt, ein Hebeln schleift, ein Blasen seift, ein Scheppern quietscht, ein Hüpfen kasperlt, ein Brummen radelt, ein Scheppern klingelt, ein Rasseln wimmert, ein Schlängeln zwitschert, ein Drehen geigt, ein Tuckern hämmert, ein Federn blinkt, ein Pinseln karussellt. Unter Maschinistenaugenkontrolle rührt sich alles um und die Laute hüpfen im Raum dazwischen. Was da vor sich geht, frage ich den Kasperl, aber der weiß nicht einmal, dass die Kunst heut Geburtstag hat. Vor fünf Minuten: Es ärgert mich wirklich und es passiert immer wieder, jemand hat mir den Ö1-Sender am Wohnzimmerradio verstellt, ich kann mir auch vorstellen, wer es war, möchte aber hier keine Namen nennen. Auf jeden Fall, das muss nicht sein, das soll nicht sein, das darf nicht sein!
Vera Albert: Postadresse: ORF- Funkhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
Die Erinnerung an all meine Jahre im Funkhaus – als Schauspielerin, Sprecherin und Trainerin – zaubern ein Lächeln, nicht nur in mein Gesicht. Trotz der Hürden, die im Funkhaus-Alltag mit den diversen räumlichen wie technischen Veränderungen etc. zu bewältigen waren. Allein das Innere des Gebäudes, diese Mischung aus wunderbaren alten und neuen Bauelementen, den verwinkelten Gängen, den auf aktuellsten technischen Stand gebrachten Tonstudios: so einfach und doch eben einfach wunderbar. Es sind dort JournalistInnen, Fachleute aus den verschiedensten Bereichen kreativ, kritisch und niveauvoll tätig. Das RSO ebenso wie die Backstage Fachleute – die Tonfrauen und -männer, die Techniker (Danke vielmals für all die Unterstützung im hürdenreichen Aufnahme- und Digas-Alltag!) und und und ... Die Nähe zur Innenstadt, der Flughafen- und Bahnhofnähe ermöglicht Interviews mit vielen GesprächspartnerInnen für die der Weg zum Küniglberg zeitlich kaum planbar wäre. Aus jahrelanger persönlicher Erfahrung weiß ich, ob mit eigenem Auto, Taxi oder U-Bahn: man benötigt dorthin für eine(!) Fahrt ca. doppelt so lange wie zum Funkhaus. Naja, die Beamtechnik soll ja Fortschritte machen, obwohl ... möchten Sie sich zum Interview beamen lassen? Selbst wenn: Das Flair, die Atmosphäre des Funkhauses ist – ohne dem Haus am Küniglberg seine Einmaligkeit abstreiten zu wollen – unvergleichbar und doch möglicher wie erschreckender Weise bald vergangen. Denn so wie es noch ist wird es nicht mehr sein können, selbst wenn es durch die IG Funkhaus Wien weiter belebt und erlebbar werden kann, um diese Kraft, die Wärme und die in sich ruhende journalistische, literarische, musikalische Kraft zu bewahren. Sie zu unterstützen ist Dank und Ausdruck der Hoffnung. Tempora mutantur et nos cum illos – die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Das hat schon seine Richtigkeit, doch: Dieses Haus aufzugeben, bei all den Möglichkeiten die es bietet, bei all den Umbauten wie dem FM4 Studio oder der Radio Wien Ebene, die sinnvoller Weise stattgefunden haben: WARUM AUFGEBEN? WARUM ETWAS ZERSTÖREN DAS INHALTLICH WIE LOGISTISCH SINNVOLL IST? Das ist die Frage.?
Gerhard Zeillinger: Und ausschütteln und halt!
Mit Radiokultur bin ich aufgewachsen, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, dass es so etwas wie ein Radiokulturhaus gibt. Aber wo sollte denn sonst die Kultur herkommen? Es begann jeden Tag schon nach sieben Uhr früh, bevor ich in den Kindergarten, später in die Schule ging. Ich saß in der warmen Küche beim Frühstück und hörte im Radio „Morgengymnastik mit Ilse Buck“, die ich mir im schwarzen Turnanzug an einer Stange vorstellte, an der sie ihre Bein- und Armübungen vorführte und gleichzeitig für die Zuhörer ansagte. Der immer gleiche Satz am Ende einer Übung hat sich mir wie eine Zeile gute Literatur eingeprägt und blieb in meinem Kopf, als ich Ilse Bucks Stimme schon lange nicht mehr hörte: „Und ausschütteln und halt!“ Zu Mittag dann immer „Autofahrerunterwegs“, das kurz vor zwölf sehr dynamisch intonierte, während um Punkt zwölf Glockenläuten von irgendeiner Kirche in Österreich zu hören war, dabei erfuhr man Kulturgeschichtliches über Kirche und Ort. Der Rest der Sendung war wohl eine Mischung aus Autofahrertipps und Weltnachrichten. Am späten Nachmittag, wenn das Radio im Wohnzimmer aufgedreht wurde, waren es Märchen und anderes ‚Kindgerechte‘. Bis jedes Mal, punktgenau zum Abschluss meines Radiotages – ich glaube, dass das fünf vor sechs oder fünf vor sieben war –, das Traummännlein kam. Eigentlich war mir weniger interessant, was dabei erzählt wurde, als vielmehr die Signation, die, wie gesagt, immer zur selben Zeit ertönte und einem deshalb so wie die Morgengymnastik fast Halt und Ordnung im täglichen Leben gab. Dass die Stimme des Traummännleinsprechers ebenso wie die von Ilse Buck und der jeweiligen Moderatoren von „Autofahrer unterwegs“ aus einem Funkhaus kamen, das weit weg in Wien stand, kümmerte mich dabei nicht, im Gegenteil, es war mir fremd, und hätte mich jemand darüber aufgeklärt, ich hätte es, zumindest am Anfang, wahrscheinlich nicht geglaubt: Ilse Buck und das Traummännlein kamen aus dem Radio, also waren sie für mich auch im Radio. Als ich dann Jahre später, Anfang der 1980er-Jahre, erstmals das Funkhaus in der Argentinierstraße betrat, um selbst meine Stimme mittelbar in dieses Radio zu sprechen, hatte ich an meine Erziehung durch den Rundfunk nicht mehr gedacht. Ich hatte gerade mein erstes Literaturstipendium erhalten und wurde am Ende der halbstündigen Sendung gefragt, ob das Geld dieses Stipendiums – das waren 4.200 Schilling, die ich ein Jahr lang monatlich bezog – nun mein Leben verändern würde. Irritiert und dennoch überzeugt antwortete ich: Nein. Nachher belustigte mich die seltsame Frage, dann begann sie mich zu ärgern. Vor allem aber ärgerte mich, dass ich die Gelegenheit verpasst hatte, nach dem Turnzimmer von Ilse Buck zu fragen. Vielleicht hatte es dieses ja wirklich gegeben. Und vielleicht wurde darin immer noch vorgeturnt. „Hoch die Arme und schwingen und danke.“ Jetzt, wo ich eben Ilse Buck gegoogelt habe, weiß ich, dass es damals noch lange jene Morgengymnastik gab, die ich nach meiner Kindergarten- und Volksschulzeit nie wieder hörte: „Ihre ORF-Sendung wurde 1998 ohne ihr Zutun beendet“, heißt es am Ende des Wikipedia-Artikels. Gleiches gilt auch für das Radiokulturhaus. Ohne sein Zutun.
Veronika Seyr
Am denkwürdigen 2. Februar 2000 wollte mein jüngster Bruder heiraten. Ich war gerade erst in Wien angekommen und musste in kürzester Zeit ein Kleid, Schuhe, Tasche und Strümpfe zusammensuchen, dazu noch einen Besuch beim Friseur und bei der Kosmetikerin machen. Nach der Doppelbehandlung bei „Kopfart“ hetzte ich die Gumpendorferstraße hinunter auf der Suche nach einem Geschäft mit Strumpfhosen. Mit dem halben linken Auge sah ich im Vorbeilaufen in der Auslage einer Schneiderei eine Kleiderpuppe mit wunderschönen, schwarz durchbrochenen Leggings. Ich betrat die Schneiderei; der Schauraum war bis auf ein paar falsche Biedermeiermöbel, Schirmlampen und bekleidete Schaupuppen leer. Aber im hinteren Raum sah ich hinter einem halbaufgezogenen Vorhang eine Frau an einer Nähmaschine sitzen. Etwas lauter als gewöhnlich grüßte ich und fragte mit erhobener Stimme, ob sie Strumpfhosen zu verkaufen habe. Die Frau reagierte, sie schaute auf, sah zu mir her, sagte aber nichts. Also wiederholte ich Gruß und Frage laut mit einer angeschlossenen Entschuldigung. Immer noch starrte mich die Schneiderin mit offenem Mund an. Sie wirkte wie gelähmt, für mich ein eingefrorenes Bild. Was war los, was war mit mir nicht in Ordnung? Ich war zwar mit meinen Einkäufen schwer bepackt, aber sonst sollte mein Aussehen in Ordnung sein, kam ich doch gerade aus einer umfassenden Schönheitsbehandlung. War die Schneiderin vielleicht taubstumm? Ich durchquerte den Schauraum und näherte mich ihrem Arbeitszimmer. Die ließ die Frau das Kleidungsstück, an dem sie gearbeitet hatte, fallen, sprang auf, ging um die Nähmaschine herum, umarmte mich stürmisch und drückte mir immer wieder die Hand, während sie zu einer Suada ansetzte. "Sie sind das, so schauen Sie aus, Frau Seyr, Veronika Seyr. Ich höre bei der Arbeit immer Ö1 und kenne Ihre Stimme." Sie hält mich noch immer an den Händen und rückt mich ein Stück von sich weg. „Oft habe ich mich gefragt, wie Sie wohl aussehen. Ich habe keinen Fernseher, weil ich mag die Menschen nicht sehen, das ist mir peinlich, und bei der Arbeit könnte ich ja auch nicht auf den Schirm schauen.“ Jetzt ließ sie meine Hände los und zog eine Lade mit einer großen Auswahl von Strumpfhosen heraus. Viele Packungen waren geöffnet. Frau Antoinetta erklärte, dass viele Damen zum Anproben geeignete Beinkleider aussuchten. „Ich kann Sie Ihnen nicht verkaufen, sie sind sauber, aber gebraucht. Ich schenke sie Ihnen, suchen Sie aus, was und wie viele Sie wollen. Ich erinnere mich an Ihre Stimme ganz besonders gut, Sie klangen immer so menschlich, mitfühlend. Allein von der Stimme her hab ich Ihnen Ihre Geschichten abgenommen.“ Und tatsächlich zählte die Schneiderin eine Reihe von meinen Beiträgen auf, die sie sich offenbar gemerkt hatte, aus Sarajewo, Kosovo, Bosnien, Belgrad. „Aber, bitte, Frau Antoinetta, ich habe den ORF, das Radio, vor zwei Jahren verlassen, Sie haben mich zwei Jahre lang schon nicht mehr gehört,“ stammelte ich, weil ich im Kopf schnell nachrechnete, ja, zwei Jahre und drei Monate waren seit meinem Abschied vom ORF vergangen. „Das ist schade, aber trotzdem, ich merke mir die Stimmen, weil ich beim Zuhören nähe, da passiert sehr viel, ich nähe das Radio sozusagen in die Sachen hinein, und manche Stimmen vergisst man nicht. Ich habe Sie ja auch jetzt erkannt, wusste aber nicht sofort woher. Sie können keine Kundin sein, sonst hätte ich ja gewusst, wie Sie aussehen. Auch nicht aus meinem Freundeskreis oder dem Sportklub, also war’s das Radio. Aber ich habe nicht nur Ihre Stimme erkannt, sondern glaubte, Sie zu kennen, wegen der Stimme, verstehen Sie? So geht es mir mit den Stimmen, man befreundet sich oder nicht, man identifiziert sich oder nicht, man macht sich eigene Bilder und stellt Fragen, wie geht es dieser Frau, hat sie Kinder, wie hält sie das aus, das alles kann das Radio, naja, bei mir wirkt es zumindest so, weil ich nur Radio höre, Ö1. Ich bin unverdorben von Bildern, eine gute Geschichte und eine gute Stimme können mehr als Fernsehbilder.“ Die Schneiderin überhäufte mich mit Strumpfhosen, und ich kaufte spontan einen Hosenanzug nach Schnitten von Armani, Marke Antoinetta, mit dem eine Puppe bekleidet war und der mir passte, als wäre er für mich geschneidert worden. Antoinetta hat bei Armani Schneiderei gelernt, bekommt von ihm noch immer seine Schnitte und darf bei ihm Stoffe einkaufen. Am Hochzeitsabend war ich dank Antoinettea nach der Braut die Schönste, und den Anzug aus der Gumpendorferstraße trage ich noch immer. Und Ö1 hat noch immer sein ansprechendes Programm für aufmerksame Schneiderinnen und alle anderen Radio-Kulturmenschen.
Doris Fleischmann: Blick zurück nach vorn
Es ist diese spezielle Atmosphäre und die zentrale Lage, die das Funkhaus so einzigartig machen. Ich erinnere mich noch gut an die Jubiläumsfeier 40 Jahre Österreichische Gesellschaft für Literatur im Großen Sendesaal 2001 und an ein wunderbares Gespräch mit Barbara Frischmuth, in dem sie uns voller Stolz von ihrem Sohn, einem begabten Tätowierer, erzählte. Jahre später beklagte sich Mischa Maisky während der Taxifahrt vom Hotel Schubertring in die Argentinierstraße, warum ich ihn nicht davon abgehalten habe, das Cellokonzert von Hindemith mit dem RSO zuzusagen. Er hatte so viel üben müssen! Wir wurden herzlichst begrüßt, die Nervosität war weg und Maisky hat wunderbar gespielt. Ich habe auch mehrmals Musiker zum „Ö1 Klassik-Treffpunkt“ ins Radiocafé gebracht. Während Otto Brusatti seine Fragen stellte, saß ich Kaffee trinkend im Publikum und meistens schien die Sonne zum Fenster herein. Persönlich könnte ich es mir nicht vorstellen, zu einem „Ö1 Klassik-Treffpunkt“ auf den Küniglberg zu fahren. Wie gesagt: Es ist diese spezielle Atmosphäre und die zentrale Lage, die das Funkhaus so einzigartig machen. Und das sollte auch in Zukunft so bleiben.
Veronika Seyr: Radio-Schnitt in Kairo
Im Jänner 1989 hat mich meine Stammredaktion auf eine zweiwöchige (!) Dienstreise mit dem damaligen Außenminister Alois Mock und einer 100-köpfigen Wirtschaftdelegation in mehrere afrikanische Länder geschickt – zusammen mit einem dreiköpfigen Team – heutzutage nicht mehr vorstellbar! Erste Station war Kairo, wo wir verschiedene Storys machten, unter anderem eine in der Müllstadt, wo ein halbe Million Menschen in den Höhlen der Müllberge lebten. Eine aus Österreich stammende Klosterfrau kümmert sich um die Armen, sie sollte aus den Händen des Außenministers später einen Orden bekommen. Als der Dreh abgeschlossen war, machten wir uns auf zum Fernsehzentrum, wo ein Schnittplatz bestellt war. Der Fernsehbeitrag war relativ schnell und problemlos fertig gestellt, sehr relativ, denn anfangs weigerten sich die Männer der Schneideeinheit mit einer Frau zu arbeiten. Außerdem war ihr Englisch so mangelhaft, dass wir zwei Übersetzer brauchten. Aber der Radiobeitrag machte Probleme. Die Männer und Übersetzer verschwanden einfach, und für ein neues Cutter-Team fühlte sich niemand zuständig. Gleichzeitig ließ man meinen Kameramann, der auch schneiden konnte, nicht an die Maschinen, die aussahen, als würden sie noch auch der britischen Kolonialzeit stammen. Wie immer in solchen Fällen, hat man ja sehr wenig Zeit, und die Überspieltermine waren gebucht. Endlich trieben meine Männer zwei Ägypter auf, die angeblich Radio-Cutter waren, und wir konnten mit der Arbeit beginnen. Aber sie waren weder Cutter noch waren sie eines einzigen Wortes in Englisch mächtig. So mussten meine Männer mit Körpersprache arbeiten, ich durfte ja die Ägypter nicht berühren. Wir einigten uns auf einen Code von Klopfzeichen auf Kniee, Hände, Arme, Fingerschnippen, Zungenschnalzen für verschiedene Kommandos. Also von mir zu meinen Männern und dann zu den beiden Ägyptern. Als einmal eine Verständigung absolut unmöglich war und die Cutter nicht und nicht das Stück schnitten, das ich ausgewählt hatte, lagen die Nerven schon recht blank. Ich unterdrückte das Bedürfnis, sie anzuschreien, was ja sowieso inhaltlich nicht verstanden worden wäre, sondern nur als Affront einer Frau gegen Männer. So sprang ich auf und lief zum Fenster, öffnete es und stellte mich auf das Fensterbrett. Es war aber nicht das Funkhaus mit seinen Parks in der Umgebung, sondern der 7. Stock in einem Hochhaus der Kairoer Innenstadt. Das war mein intensivster Blick auf diese Stadt, wüster Straßenverkehr tief unten und rundherum ein Meer aus Dächern und Terrassen. Nicht dass ich so verzweifelt gewesen wäre, da hinunter zu springen, ich wollte sie nur ein bisschen drastisch warnen, besser mit mir zu kooperieren. Das Erstaunliche dabei war, dass die beiden Ägypter sitzen blieben und mit keiner Wimper zuckten, sondern nur meine Männer losstürzten und mich vom Fensterbrett herunterholten. Waren sie solche Szenen gewohnt? Oder sagten sie sich, die ungläubigen Frauen spinnen eben, die sollte man da nicht ranlassen? Ich weiß es bis heute nicht. Aber gewirkt hat die Geste. Wir stellten die Geschichte fertig und überspielten sie für eine Religionssendung ins Funkhaus.
Eva Maria Schalk: Kein Burgtheaterdeutsch im Funkhaus
„So a, a, a Bla... Blamage“, hätte der selige Hans Moser gesagt und Christine Hörbiger, ihr großes Vorbild, würde wahrscheinlich sagen: „Das kann ich nicht glauben!“ Ja, es war einfach nicht zu glauben. Dabei war sich Lara so sicher, dass sie als Sprecherin für Hörspiele und Literatursendungen allemal eine Chance hätte. „Tut mir leid, ihre Stimme ist zu deutsch!“ „Zu deutsch?“ „Zu Burgtheaterdeutsch!“ Etwas blass verließ sie das Gebäude. Dabei liebte die Schauspielerin das Funkhaus, den Ö1 Sender, die Kantine und einigemale wurde sie hier inter- viewt. Aus der Traum! Angekommen in der Realität zog sich Lara die Kapuze über den Kopf, um ihre frisch gefönte Frisur zu schonen. Eilte durch die Gassen, rempelte dabei so manchen Fußgänger an und schon stand sie vor ihrem weiteren Ziel. Einem gigantischen Marmorpalast einer Versicherungsanstalt, die eine Betreuerin für schwierige Kunden suchte. Verzweifelt murmelte sie: „Vielleicht klappt wenigstens das? Ich muss diesen Job bekommen. Ich werde all meine schauspielerischen Tricks anwenden und den Direktor davon überzeugen, dass ich die beste bin. Ich werde vorsprechen wie auf der Bühne des Burgtheaters. Ich werde...“ Der Portier des Palastes ging auf sie zu, lächelte sie an: „Junge Dame, wo wollen Sie hin?“ Nervös öffnete Lara ihre Tasche, zog eine Zeitungsanzeige heraus und überreichte sie dem Mann. „Direktion, vierter Stock rechts, grüne Tür.“ In der Direktion wurde sie von einer sehr attraktiven Sekretärin empfangen, die ihr neben anderen, gut aussehenden fünf Frauen, einen Platz anbot. Schöne Bescherung, dachte Lara, wie soll ich da eine Chance haben? Höchstwahrscheinlich dieselbe Situation wie im Funkhaus! „Burgtheaterdeutsch! Ha!“ Wieder eine Bla... Blamage. Und dabei hatte sie schon lange keine Kohlen mehr im Keller und einen leeren Kühlschrank. Ihrer Mutter wollte sie heute Abend ein Geburtstagsessen anbieten: Steinpilzcarpaccio und Tafelspitz. Dabei war sie sowas von abgebrannt, wie noch nie. Mama hatte sie noch nicht erzählt, dass ihr Theater pleite ging und schließen muss und dass sie schon über zwei Monate gratis und mit Kerzenbeleuchtung in ihrer Wohnung weilte. Zornig schweiften ihre Gedanken zurück ins Funkhaus. Doch jetzt. Jetzt musste sie sich mit all ihrem Talent beweisen, es ging ja schließlich nicht nur um ihr maßlos überzogenes Konto, es ging ja auch um Steinpilz oder nicht Steinpilz und darum: einen guten Eindruck vor Mama zu machen. Die Sekretärin führte Lara zum Direktor. Laras Hände zitterten etwas und ihr sonst sehr selbstsicherer Schritt wurde ziemlich weich, aber dann ging sie aufrecht und siegesbewusst der Situation entgegen: „Vorhang auf!“, kommt es ihr leise, aber keck über die Lippen. Als der Direktor sagte: „Sie haben keine Papiere abgegeben!“, antwortete Lara selbstsicher: „Die sind noch bei der alten Versicherung.“ Erstaunt wollte er wissen: „Welche?“ Lara schmunzelte und meinte charmant: „Später!“ Die Tür öffnete sich und die Sekretärin führte einen missmutig aussehenden Mann herein, irgendwie stellte Lara Ähnlichkeiten mit den alten Funkhausmauern fest. Ein kurzes Vorstellen folgte. Der Mann trug einen Vollbart und wirkte feindlich. Er nahm ihr gegenüber Platz und musterte sie streng, doch Lara lächelte ihn herzlich an. Der Direktor wies daraufhin, dass es sich um einen Kunden handle, der immer wieder Probleme habe und jetzt alle Versicherungen kündigen will. Gleichzeitig reichte er Lara die Unterlagen und schenkte dann den beiden ein Glas Wasser ein. Lara prüfte scheinbar alles und sagte dann sanft: „Herr Mayer, Sie haben vollkommen recht, da ist einiges nicht in Ordnung.“ Mayer laut und erbost: „Sag ich doch! Meine Rede. Rechnungen, Mahnungen über Mahnungen und...“ „Ab jetzt wird alles anders!“, sagte Lara schmunzelnd. „Aber eines sollte man doch bedenken: So ganz ohne Versicherung geht es auch nicht, denn es können die schlimmsten Tragödien passieren. Wenn Sie wissen, was ich meine.“ Kleinlaut bestätigte ihr der Mann: „Weiß ich doch, aber was zuviel ist, ist zuviel!“ Lara nickte zustimmend: „Ich verstehe Sie!“ Lara beugte sich zum ihm und legte ihre rechte Hand ganz kurz auf seine: „Wir werden gemeinsam einen guten Weg finden, das verspreche ich Ihnen.“ Zwanzig Minuten später verließ der Mann fröhlich gestimmt mit einem neuen Vertrag in der Hand den Raum. Der Direktor kratzte verlegen seine Glatze: „Respekt, Respekt. Ihre Überzeugungskraft ist enorm und ihre Stimme überwältigend. Ich denke Sie haben gute Chancen bei uns!“ Lara selbstsicher: „Chancen? Das ist mir zu wenig. Ich muss mich gleich entscheiden, denn ich hatte heute schon einen Vorstellungstermin. Wenn es Ihnen ernst sein sollte, dann stellen Sie mir bitte als Zusage einen Scheck mit einer kleinen Vorauszahlung aus. Dann fange ich, wenn Sie möchten, morgen gleich an.“ Während der Direktor den Scheck ausfüllte, holte Lara ihr Handy aus der Tasche und schrieb an ihre Mutter ein SMS: „Allerliebste Mama, wir feiern heute ganz groß und anschließend trete ich dem Funkhaus die alten Mauern ein!“
Helwig Brunner: das poesiedebattedings da sind wir dann gesessen, der an dieser stelle herzlich gegrüßt seiende kollege stefan schmitzer und ich, da sind wir auf der bühne des radiocafés gesessen und haben unser semiperformatives poesiedebattedings durchgezogen. und ich erfreche mich, davon jetzt in just genau exakt dem tonfall zu quatschen, den in unserem jahrelang liebevoll großgezüchteten poesiedebattedings sonst immer der an dieser stelle herzlich gegrüßt seiende kollege stefan schmitzer angeschlagen hat, also diesen gepflegt flapsigen, auf seine weise klugscheißerischen ton, den er meinem unflapsigen, auf meine weise klugscheißerischen ton immer so klassenkämpferisch und poesiedingsbewusst entgegengeschleudert hat. das war schön damals, dieses semiperformative dings damals und all das andere dings drumherum. das ist schön gewesen, weil in so einem radiokunstkulturfunkhauscafé kann schon einiges passieren bis hin zur spontanen selbstneuerfindung, und wenn es dann plötzlich nicht mehr passiert, dann ist es damit vorbei, dann ist man auf sich zurückgeworfen, dann bleiben nur mehr die herzlichen grüße und das ist dann halt nicht mehr so viel.
Bernhard Heinrich: Dem Funkhaus verbunden
Mein Vater musste nach dem Krieg nach Argentinien auswandern. Er war Berufsmusiker und bekam wegen des schlechten Stellenangebots als Hornist in Wien keinen Posten. Er wurde in Mendoza engagiert und ließ später seine kleine Familie, meine Mutter und mich, nachkommen. Nach einigen Jahren waren meine Eltern mit der Situation in Argentinien nicht mehr zufrieden und als mein Vater davon informiert wurde, dass im Großen Wiener Rundfunkorchester eine Hornstelle neu besetzt werden würde, gab es seine Stelle auf und, beschloss, nach Österreich zurück zu kehren, um sich um die Stelle zu bewerben. Der Schritt war mit einem großen Risiko verbunden, da er erst das Probespiel gewinnen musste, er hatte keine Jobgarantie. Er gewann das Probespiel und das bedeutete das Ende unserer Existenzsorgen. 20 Jahre übte mein Vater im Großen Wiener Rundfunkorchester und später im ORF-Symphonie-Orchester seinen Beruf aus. Das Funkhaus war seine Arbeitsstätte. Die Rückkehr von Argentinien in die Argentinier Straße brachte ihm Glück. Für mich selbst hat das Funkhaus ebenfalls große Bedeutung, da ich die Konzerte im Großen Sendesaal damals oft besuchte und später, selbst Musiker, hier bei einigen Aufnahmen mitwirkte. Über die persönlichen Erinnerungen hinaus bin ich auch seit Jahrzehnten Ö-1-Hörer und auch auf diese Weise den Leistungen in diesem Haus freundlichst verbunden.
Cornelia Schäfer: Funkhaus – ein anderes Wort für „Die große Welt“
Als Kind spazierte ich mit einer Gruppe von Freunden an diesem Haus in der Argentinierstraße vorbei. Wir blieben stehen und der Vater eines Freundes meinte: „Schaut, da wird Radio gemacht.“ Zugegeben, kein besonders korrekt formulierter Satz – und doch so am Punkt. In mir entwickelte sich aus diesem Punkt eine ganze Welt, die sich in mir verwurzelte und zu wachsen begann. Die große Welt, die sich in Studiokabinen, Mikrophonen und Menschen verwob. Menschen, die Sprachrohr sein durften für die weltbewegende Dingen, für Musik jedweder Art, für feine Künste, für Worte, die erst lebendig wurden, weil der, der sie sprach, die Botschaft verstand – die Botschaft hinter der Botschaft. Das Funkhaus. Größer als mein kleines Herz, es fassen konnte. Vielleicht war dieser Augenblick die Initialzündung für meinen Weg.
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