Er fühlte sich plötzlich erschöpft, vielleicht hatte ihn der gestrige Überfall doch mehr beeinträchtigt, als er dachte. Die bedrohliche körperliche Nähe, den Geruch, den Atem der Männer und seine eigene Ohnmacht gegenüber ihren gewalttätigen Händen hatte er als Schmach empfunden. Mehr als jede verbale Beleidigung hatte ihn der Angriff auf seinen Körper gedemütigt. Er setzte sich in seinen Schlafsessel und schloß die Augen. Er dachte an seine Gefolgsfrau. Wo wohnte sie? Er war sich nicht sicher, ob er sich dafür interessieren sollte. Die Anteilnahme für ein fremdes Schicksal konnte einen Sog entwickeln, fürchtete er, er würde sich selbst womöglich aus den Augen verlieren. Jedenfalls war die Person zur passenden Zeit aufgetaucht. Eines Tages würde er sie wegschicken, wenn er sie nicht mehr brauchte, oder sie würde von selbst verschwinden. Das war unausgesprochen abgemacht, für persönliche Anteilnahme war kein Platz, Gefühle würden nur alles kompliziert machen. Unversehens döste er ein. Als er wieder erwachte, er hatte das Licht nicht ausgemacht, war es zwei Uhr früh. Er fühlte sich gestärkt, sodaß er beginnen konnte, seine Taschen vom Eingang zu holen und über die Stehleiter zu schleppen, auszupacken und den Inhalt aufzuschichten. Das war eine Arbeit, die ihn den Rest der Nacht beschäftigte. Die Integration seiner neuen Funde in die bestehende Sammlung erforderte seine Spitzfindigkeit. Erst im Morgengrauen hatte er alles in seine Schachtelwände eingegliedert. Sein Magen knurrte. In der Küche zerquetschte er vier Kakerlaken, bevor sie auseinanderstieben konnten, dann holte er sich aus dem Kühlschrank ein Sahneyoghurt, aß es, legte danach die toten Schaben in ein neues Zündholzschächtelchen, versah es mit einem Datum und stellte es wieder zurück zu seinem Schlafsessel, in den er sich ermattet, aber zufrieden sinken ließ. Mit einem geblümten Schlafsack, den er sich ebenfalls bei einer Altkleidersammlung organisiert hatte, deckte er sich bis ans Kinn zu. Als er sich mit den Händen über das Gesichte wischte, raschelten seine Bartstoppeln, und er spürte die Blutkrusten, er betastete seine Lippe, die sich wie aufgepumpt anfühlte, und sein Jochbein, das noch druckempfindlich war. Sobald er sich ausgeruht hätte, würde er sein Gesicht im Spiegel betrachten. Doch nun freute er sich auf einen langen und tiefen Schlaf.
(S. 96 f)
© 2006, Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg.