Es kam die Zeit, da abermals blau gekleidete Männer auftauchten, in aller Herrgottsfrühe, um das rote Plakat, welches schon ganz und gar unansehnlich war, herunterzureißen und an seine Stelle ein frisches hin zu kleistern. Dieses war nicht rot, es war schwarz und grau und weiß: ein junger Mann, der eine moderne Frisur auf dem Kopf trug, sprang in die Luft, über einer riesigen Pfütze, wobei er die Stirn nach oben runzelte und einen modernen Gesichtsausdruck machte; nicht ernst und auch nicht heiter; so als versuche er gewaltsam zu lächeln oder aber bemühe sich, ein Lächeln gewaltsam zu unterdrücken. Der junge Mann war ganz in Schwarz gekleidet. Auf seiner Brust prangte in großen fetten weißen Lettern ein mir unbekanntes Wort, welches, so schien es mir, ein Name war, jedoch kein Vorname und auch kein Nachname; und ein seltsames Gebilde, einem magischen Zeichen gleich, welches ich nicht zu deuten vermochte. Über dem modern frisierten, luftspringenden jungen Mann stand der Satz geschrieben:
TRAG DEN NAMEN, DER DIR PASST!
Die blau gekleideten Männer hatten kaum ihr Werk verrichtet, als eine Frau des Weges kam, welche von einem riesenhaft senffarbenen Hund an der Leine geführt wurde. Vor dem frisch hingekleisterten Plakat hielt der Hund inne, roch daran und richtete alsbald seinen Strahl darauf, just in die Pfütze, über welcher der junge Mann in die Luft sprang. Der Hund führte die Frau weiter. Da erschien der Dichter und schickte sich an, sein Fahrzeug zu besteigen, das ihn zu seiner Arbeitsstätte bringen sollte und welches er tags zuvor unweit des Plakats abgestellt hatte. Doch als er nun unerwartet des frisch hingekleisterten Papiers ansichtig wurde, prallte er zurück und verharrte reglos, in stiller Andacht. Trag den Namen, der dir paßt! Heißer Schöpferstolz breitete sich in ihm aus, Aug in Aug mit dem Plakat, dem ersten, welches er höchstselbst gedichtet hatte. Er sah zu dem luftspringenden jungen Mann auf; und während er diesen betrachtete runzelte sich seine Stirn nach oben, und sein Gesicht nahm, von ihm selbst unbemerkt, den Ausdruck seines Gegenübers an und wurde zu seinem Spiegelbild: nicht ernst und auch nicht heiter, so, als versuche er gewaltsam zu lächeln oder aber bemühe sich, ein Lächeln mit Gewalt zu unterdrücken. Urplötzlich streifte ihn ein Wort: Idiot! Dazu wollten sich noch andere Worte drängen und dazu leise Zweifel. Doch gelang es ihm, die drängenden Worte derart zu zerstreuen, daß sie, anstatt zusammen einen Sinn zu bilden, sich in Fetzen an dem einen Wort erhängten: Idiot! ... freien Stücken ... kannst ... lächer ... lich ... verschwinden ... freien ... und ... Stücken ... Namen ... o ... Werbung ... ist ... so ... namenlos ... freiwillig ... Unterschied ... Idiot! Der Dichter, dem nicht ganz wohl zumute war, verscheuchte gewaltsam das Wort und die Fetzen, die sich daran erhängt hatten, und ließ erneut Schöpferstolz an ihrer Stelle sich ausbreiten, bis ihm wieder wohler zumute war.
(S. 67f.)
© 2003, Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.