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Anton Badinger: Zwei unter einem Schirm.

Leseprobe:

Sie wankte nur leicht, als sie sich zur Arbeit zurückschlich. Die Pause hatte etwas länger gedauert, als in der Abteilung üblich war. Als sie mit ihrer Mitarbeiterkarte eincheckte, reichte das Baugerüst bereits bis unter das Dach. Ohne den erstklassigen Espresso mir seiner fingerdicken Crema hätte der Nachmittag sie jetzt zu Boden gedrückt. So aber fühlte sie sich bereit für neue Daten, wie Haslinger nach seinen Kantinebesuchen gerne witzelte. Sie war zufrieden mit sich. Als Dr. Friedrich und Patricia vorhin an ihrem Tisch vorbeigeschlendert waren, hatte sie ihnen ins Gesicht gegrinst. Ja, sie hatte gewissermaßen den Sieg davongetragen und am Ende elegant mit VISA bezahlt. Der Vernacchia hatte ihr die Augen geöffnet. Dieser nicht gerade billige Wein hatte sie in eine andere Dimension katapultiert, und als sie sich wieder hinter die Platte ihres Schreibtischs zwängte, tat sie es wie Superman mit einer geheimen ldentität. Das Leben ist ein Spiel. Und zwar eines, das sie nach den neuen Regeln nicht mehr verlieren konnte.
Im Eingang ihres Mailaccounts war eine Anfrage der Außendienstabteilung: wo die kontrollierten Gehaltsabrechnungen denn blieben? Lotta dachte sich eine Ausrede aus, allerdings war es viel zu heiß, um sie zu versandfähigen Sätzen auszuformulieren. Stattdessen tippte sie zwei Wörter in das Eingabefenster:
FICK DICH.
Lotta war aufrichtig erstaunt über das, was sie da eben geschrieben hatte. Die beiden Wörter passten nicht zu ihr. Sie waren ihr nicht einmal selbst eingefallen. Aber wo kamen sie her? Ach ja, sie schmückten die Ziegelmauer einer aufgelassenen Kaserne, an der sie auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag vorbeifuhr. Die gnadenlose Kontinuität, mit der sie der Botschaft ausgeliefert war, hatte sie in ihr Unterbewusstsein einsickern lassen, und nun war der Zeitpunkt gekommen, sie der Welt zurückzuspucken. Um das Spiel interessanter zu machen, setzte sie Dr. Friedrichs Mailadresse in die Empfängerzeile und ergänzte die Mail um seinen Nachnamen und ein Rufzeichen. FICK DICH, FRIEDRICH! stand nun hinter dem blinkenden Cursor. Dann setzte sie, um den Nervenkitzel zu steigern, die acht weiteren Vorstandsmitglieder des Unternehmens in CC. Eine Weile gab sie sich der Vorstellung hin, mit dem Drücken des Send-Buttons eine private Katastrophe auszulösen. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich auf diese Art die Zeit vertrieb, schließlich zählte es zu den schillerndsten Aspekten einer Büroexistenz, dass man sie mit der Bewegung einer Fingerkuppe jederzeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen konnte.
Während sie diesen Zustand auskostete und den kalten Schauer genoss, der ihr über den Rücken rieselte, wurde sie durch ohrenbetäubendes Getöse aus ihren Gedanken gerissen, und alle Kollegen reckten gleichzeitig die Köpfe in die Höhe. Eine Probebohrung beziehungsweise ein kleiner Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Tägen und Wochen auf sie zukommen würde.
"Oh,mein Gott", winselte Haslinger, als wäre das Ende der Welt angebrochen, dabei hatte der Krach nur anderthalb Sekunden gedauert.
Dann war es wieder ruhig. Immer noch flimmerte die anstößige Botschaft über Lottas Bildschirm, doch die Wirkung des Weins schien langsam nachzulassen. Belustigt über sich selbst schüttelte sie den Kopf und zog die Tastatur näher heran. Mit der Delete-Taste wollte sie das Mitteilungsfenster säubern und sich endlich den Gehaltsabrechnungen widmen. Doch in diesem Moment donnerte der Pressluftbohrer ein zweites Mal los, und zugleich wurde ihre Botschaft mit Lichtgeschwindigkeit in den Äther des Internets hinausgesogen.

(S. 78-80)

© 2018 Carl Hanser Verlag, München

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



 

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